7 subscriptions and 4 subscribers
Article

Frauen, Fische, Fine de l'eau

Versprüht noch immer den Charme wie zu Hemingways Zeiten: das Fischerdorf Le Grau du Roi. Credit: Franziska Horn

Als erster Schriftsteller beschrieb Ernest Hemingway die Hafenstadt Le Grau du Roi und das nahe Aigues-Mortes, wie der posthum erschienene Band "Der Garten Eden" dokumentiert. Eine Spurensuche in Südfrankreich.


TEXT und FOTOS: FRANZISKA HORN


 Als der Roman »Der Garten Eden« im Jahr 1986 erscheint, ist Ernest Hemingway

(21. 7. 1899–2. 7. 1961) bereits 25 Jahre tot. Das viel diskutierte Werk nimmt eine besondere Stellung in seinem Schaffen ein, aus mehreren Gründen: Anders als bei dem für Macho- Themen bekannten Autor – Hochseeangeln, Stierkampf, Kriegsberichterstattung – geht es in diesem semiautobiografischen Werk »Der Garten Eden« um Zwischenmenschliches, um das Rollenspiel zwischen männlich und weiblich, um den Wechsel von Identitäten und um die Ménage-à-trois eines Schriftstellers, seiner Ehefrau und der Geliebten – der Geliebten beider Eheleute, wohlgemerkt. Rezensionen bezeichnen das Buch als kontroversestes Werk des

amerikanischen Autors.

Hemingway beginnt die Arbeit an diesem Roman 1946, im Alter von 47 Jahren. Immer wieder

schreibt er die nächsten 15 Jahre bis zu seinem Tode daran, ohne es zu vollenden – über 800 Seiten sind dokumentiert, mit 48 Kapiteln und 200.000 Wörtern. Drei unvereinbare Entwürfe in unterschiedlichen Längen existieren davon, der längste diente als Grundlage

für das heutige Werk mit seinen nur 250 Seiten, 30 Kapiteln, 70.000 Wörtern. Der vom Verlag Charles Scribner’s Sons beauftragte Lektor Tom Jenks straffte das Manuskript mutig um zwei Drittel und entfernte dabei eine ganze Nebenhandlung.

David Bourne, so heißt Hemingways Alter Ego im Werk, ist Schriftsteller und frisch verheiratet mit Catherine. Sehr offensichtlich gleicht die Figur der Catherine Hemingways zweiter Ehefrau Pauline Pfeiffer: eine reiche junge Frau, die als Modejournalistin arbeitet, ein »Flapper«, ein typisches Phänomen der Zeit –  rauchend, trinkend, kurze Haare und ebenso kurze Röcke tragend. Hemingways Biograf James Mellow schreibt, die Idee zur Story entstand bereits während der Flitterwochen mit Pauline Pfeiffer 1927 in Le Grau-du-Roi, kurz nach der Scheidung von seiner ersten Frau Hadley Richardson. Den Sommer des Vorjahres 1926 lebte Hemingway mit beiden Frauen in einer Ménage-àtrois in Paris. Über diese Zeit schreibt er in seinem Buch »Paris – ein Fest fürs Leben« (1964 ebenfalls posthum erschienen). Von Hadley vor die Wahl gestellt, beendet er die 1921 bis 1927 dauernde Ehe mit der Betrogenen, um kurz nach der Scheidung Pauline Pfeiffer zu heiraten. Diese Ehe wiederum dauert von 1927 bis 1940, bis er Pauline für Ehefrau Nummer drei, Martha Gellhorn, verlässt. Die Geschichte »Der Garten Eden« umfasst die Zeitspanne eines Sommers der 1920er-Jahre und beginnt in der Camargue, im Fischerdorf Le Graudu- Roi, wo Mr. und Mrs. Bourne während der Flitterwochen im Hotel wohnen. Später reist das Paar nach Spanien, dann an die französische Riviera in den Küstenort La Napoule, westlich von Cannes gelegen – im schwarzen Bugatti geht es quer durch den Süden. Schon der erste Dialog des Paares, der Seite fünf des Buchs einnimmt, macht dem Leser deutlich: Das kann nicht funktionieren mit den beiden. 240 Seiten später ist das Ehepaar getrennt, nach der verhängnisvollen Dreiecksbeziehung macht sich Ehefrau Catherine im Zug auf und davon, während David Bourne die Liaison mit der Geliebten namens Marita fortsetzt. Wie im richtigen Leben (des Autors) bahnt sich die nächste Ehe an. Zuvor hatte Catherine, eifersüchtig auf das Schreibtalent ihres Ehemanns, dessen Manuskripte verbrannt. Bourne ist verzweifelt, weiß er doch, dass sich die »perfekte schriftstellerische Form« niemals ein zweites Mal finden lässt … Spurensuche im Ort Le Grau-du-Roi. Im Roman steht der Ort für den Anfang, die heile Welt, für die Hoffnung, als die Nähe noch groß und die Zukunft verheißungsvoll scheint. Ein Garten Eden also im paradiesischen Sinn. Die ersten Zeilen des Buches beginnen so: »Sie lebten damals in Le Grau-du- Roi und das Hotel lag an einem Kanal, der von der ummauerten Stadt Aigues-Mortes direkt bis zum Meer verlief. Sie konnten die Türme von Aigues- Mortes jenseits der Tiefebene der Camargue sehen und fuhren mit ihren Fahrrädern fast jeden Tag entlang der weißen Straße, die den Kanal säumte.

Am Abend und am Morgen, wenn die Flut anstieg, kam der Wolfsbarsch mit hinein, und man sah, wie die Meeräsche wild aufsprang, um dem Barsch zu entkommen. Ein Steg führte ins blaue Meer und sie fischten vom Steg aus, schwammen am Strand und  halfen jeden Tag den Fischern, das lange Netz einzuholen, das die Fische an den langen, abfallenden Strand brachte. Sie tranken Aperitifs im Café an der Ecke mit Blick auf das Meer und beobachteten die Segel der Makrelenfischerboote draußen im Golfe du Lion. Es war spät im Frühling und die Fischer im Hafen waren sehr beschäftigt. Es war eine fröhliche und freundliche Stadt und dem jungen Paar gefiel das Hotel, das oben vier Zimmer und unten ein Restaurant und zwei Billardtische mit Blick auf den Kanal und den Leuchtturm hatte.«

Ein paar Seiten weiter fährt David selbst mit den Fischern hinaus, geht Makrelen angeln, fängt wortreich einen Loup de Mer (Wolfsbarsch) von 15 Pfund, während der Mistral von Avignon stetig gen Süden weht. Oft sitzt David im Café und trinkt Tavel, besten Rosé aus dem nahen Weinanbaugebiet – oder Fine à l’eau, einen Drink aus Cognac und Wasser, zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr populär. Zusammen gehen David und Catherine an den Strand, »schwimmen weit hinaus und spielen unter Wasser wie Schweinswale «, in einem Meer, das immer kälter war, als es aussah. Ab Seite 39 kommen für David härtere Sachen

ins Glas, da ist das Paar schon an die spanische Küste weiter gereist, trinkt Absinth und beginnt zu streiten: Sie ist nachhaltig eifersüchtig auf seinen Erfolg, der in zahlreichen Buchrezensionen bestätigt wird. Wiederum später, in La Napoule westlich von Cannes, isst David Fisch aus der Dose – Maquerau vin blanc – und denkt an die guten Zeiten in

Le Grau-du-Roi, als der Fisch noch frisch und die Ehe gut war. Mit der Geliebten Marita versucht das Ehepaar Bourne, die schönen Anfänge zurückzubeschwören. Doch David ist längst Spielball zweier Frauen, die ihn buchstäblich unter sich aufteilen –

 m zweitäglichen Rhythmus wechselt er von einer zur anderen, so ist es abgemacht. Er muss sich entscheiden, zwischen der verrückten Ehefrau und der scheinbar unterwürfigen Marita. Dabei will er doch nur eines: gut schreiben. Und trinken, natürlich.

Und das immer häufiger, je weiter das Unglücksdreieck andauert. Das Fazit? Die Geschichte wirkt modern, zeitlos, wiederholbar. Kurz gesagt: fine foods, fine wine, fine living – and gender studies. Blick ins Le Grau-du-Roi von heute. Das einstige Fischerdorf im Département Gard hat sich zum führenden Schleppnetzfischerhafen am französischen Mittelmeer entwickelt. Der von Architekt Jean Balladur geplante Yachthafen Port Camargue liegt gleich ums Eck und gilt mit 4.600 Liegeplätzen als größter Europas, hinter San Diego sogar als zweitgrößter weltweit. Der von Hemingway gleich auf Seite eins des Buches beschriebene Kanal ist der  berühmte Rhône-Sète-Kanal, der am Étang de Thau beginnt, schnurgerade die Camargue durchquert und in Le Grau-du-Roi ins Mittelmeer mündet. Der Kanal trennt die Uferlinie des Ortes in die Bereiche Rive Gauche und Rive Droite und führt landeinwärts an den Salinen vorbei ins zehn Kilometer entfernte Aigues-Mortes mit der ebenfalls von Hemingway eindrücklich beschriebenen Stadtmauer. An seinen Verleger Charles Scribner schrieb Hem: »Aigues-Mortes ist eine heilige Stadt. Die einzige alte Festungsstadt, die intakt geblieben ist, ohne jemals restauriert worden zu sein. Ich habe diese Ecke immer geliebt!«

Die Einheimischen von Le Grau-du-Roi sagen: Der Kanal trennt die Hafenseiten quasi in zwei verschiedene Orte – und in Licht und Schatten. Während die linke Seite mit dem Quai Colbert zumeist im Schatten liegt, scheint auf den Quai Général de Gaulle lange Stunden des Tages die Sonne. Die Unterteilung erinnert ein bisschen an die von Hemingway beschriebenen Stierkämpfe wie in »Tod am Nachmittag« und an die Arenen, wo die Tickets nach »sol y sombra«, nach Sonne oder Schatten verkauft werden – die in der Sonne sind günstiger, natürlich. Übrigens existiert der Stierkampf auch hier im Süden Frankreichs, wenn er auch in Form der »Course Camarguaise« für Mensch und Tier unblutig verläuft – idealerweise.

Hemingway kam im Mai 1927 nach Le Grau, mit seiner Frau, der Modejournalistin für die »Vogue«, Pauline Pfeiffer, deren Vorfahren aus dem Allgäu stammten. An seinen Lektor Maxwell Perkins schrieb er damals: »Das ist ein besonderer Ort hier zwischen Aigues-Mortes in der Camargue und dem Mittelmeer mit einem langen Strand und einem guten Fischereihafen. «

Das Ehepaar stieg im Grand Hôtel Pommier am Rive Droite ab, wo sie drei Wochen lang wohnten. Hier am rechten Ufer liegt auch das bekannte Maison du Dauphin, das Haus des Delphins, es ist im Jugendstil erbaut und stammt von 1900. Im Dezember 1949 kehrte

Hemingway in den größer gewordenen Ort zurück, mit seiner inzwischen vierten Ehefrau Mary logierte er in Zimmer 22 des Hôtel Belle-Vue d’Angleterre, auf dem linken Ufer direkt am Kanal, denn das Hôtel Pommier war inzwischen verschwunden. Es heißt, er habe sich hier im Café des Hôtels d’Angleterre von der Belle-Époque-Atmosphäre zum Schreiben seines Buches »Der Garten Eden« inspirieren lassen.

Bei einem Besuch im Mai 2023 fällt die Fassade des 1930 erbauten Hotels d’Angleterre mit den blauen Markisen schon von Weitem auf, das Interieur des Zwei-Sterne-Hauses scheint jedoch wenig spektakulär. Sämtliche Zimmer sind belegt, ein Blick ins berühmte

Zimmer 22 ist also nicht möglich. Ab rund 60 Euro ist ein Zimmer in der Nebensaison zu haben, moderat also. In der Lobby hängen Luftansichten der Hafenstadt und Fotografien der heimischen Flamants roses, der Flamingos, die in der Schwemmlandebene

der Camargue mit ihren flachen Étangs ein wahres Vogelparadies finden.

Nur ein paar Meter weiter liegt das Grand Café de Paris am schattigen Quai Colbert. Retro-Stil, Korbmöbel, Kronleuchter, Spiegel. Wie oft mag Hem hier gesessen haben, bei einem Pastis, Rosé oder Whisky und auf den blaugrün schimmernden Kanal geschaut

haben? Ein Bild, das sich bis heute nicht wesentlich verändert hat. Das Wesen von Le Grau-du-Roi erfasst am besten, wer die Stufen des L’Ancien Phare hinaufsteigt. Der alte, denkmalgeschützte Leuchtturm wurde 1839 erbaut und ist frisch renoviert ein Symbol des

Ortes mit seinen rund 10.000 Einwohnern. Von oben erschließt sich auch die Lage mit den durch den Kanal getrennten Hälften des Ortes. »Les Calabrais« nennen sich die italienischstämmigen Einwanderer am Rive Gauche mit seiner Fischerdorf-Atmosphäre und Häusern aus den 30er- Jahren, »Les Tonkinois« heißen die Einheimischen am Rive Droite mit der sonnigen Sommerfrische- Atmosphäre, die in den reicheren Häusern wohnten als die Armen und die Fischer von gegenüber.

Zumindest aus unserer Sicht erscheint es wie eine »drôle d’histoire«, eine lustige Geschichte also, dass beide Uferseiten bis heute miteinander konkurrieren. Eine Rivalität wie zwischen Köln und Düsseldorf, wie zwischen Garmisch und Partenkirchen? Aber noch immer fahren die Fischer morgens um zwei Uhr hinaus und kehren am Nachmittag zurück,

die Flossentiere kommen garantiert frisch auf den Tisch, ob links oder rechts vom Kanal.

Von Hemingway heißt es, dass er mehrmals zurückkehrte, nach Le Grau-du-Roi und auch nach Aigues-Mortes, wehrhafte Stadt der »toten Wasser «, denn das bedeutet der Name in Anlehnung an die stehenden Gewässer der nahen Étangs. Angeblich

hat Hem in Grau-du-Roi sogar einen zweiten Honeymoon verbracht, mit Frau Nummer vier – der Mann neigte zu Wiederholungen. Was sein literarisches Schaffen nicht schmälert. Dazu kommt sein trüffelsicheres Gespür für gute Weine, bestes Essen und charaktervolle Orte auf beinah allen Kontinenten. Le Grau-du-Roi ist genau solch ein special place, und der Besucher versteht, was der Literat dort gesucht und gefunden hat. Buchen Sie sich also ein Zimmer in einem der Hotels am Kanal, und lesen Sie dort ein gutes

Buch – »Der Garten Eden«, zum Beispiel? //

Original