Dass Frauen den Rucksack packen und wochenlang
alleine losziehen, wirkt für manche Menschen ungewöhnlich.
Warum eigentlich? RAUSZEIT hat bewanderte Solistinnen gefragt,
worin Reiz und vielleicht auch Risiko von Alleingängen liegen.
Der Kocher faucht den kleinen Topf an. Nach einem
langen Solo-Wandertag freuen sich Körper und
Geist auf eine warme Mahlzeit. Zelt, Matte und
Schlafsack sind parat für eine Nacht unter Sternen. Alleine.
Als Frau. Hm, aber ist das wichtig? Wäre ein Text
über allein wandernde Männer an dieser Stelle ebenso
interessant? Kaum. Das bedeutet, Frauen, die solo auf
Outdoor-Abenteuer gehen, fallen auf, auch im Jahr 2023.
Warum ist das so? Und was spricht dafür, was dagegen?
Fragen wir bei denen nach, die es wissen müssen: Christine
Thürmer zum Beispiel – die nach eigener Aussage
.meistgewanderte Frau Deutschlands. Sie ist bekannt für monatelange Solo-Trips. In Zahlen: Mehr als 60.000 Kilometer hat Thürmer, Jahrgang 1967, zu Fuß zurückgelegt,
ist über 30.000 Kilometer geradelt, 6500 Kilometer
gepaddelt. Seit 2006 wandert sie .Vollzeit. Thürmer sagt:
.Vor meiner allerersten Tour 2004 auf dem Pacific Crest
Trail sprach ich mit einem Trail Angel, einem Berater. Er
sagte: ›Du hast die größte Chance, durchzukommen!‹ Denn
Frauen sind meist optimal vorbereitet, müssen nichts beweisen,
eignen sich besser für Ausdauersport. Denn ob
man's wirklich schafft, entscheidet sich zu 80 Prozent im
Kopf, zu 20 Prozent in den Füßen.
ES GEHT NICHT UM KRAFT
ODER MUSKELN
Thürmer erklärt: .Solo-Männer haben insgesamt mehr
Probleme. Frauen werden nicht als Bedrohung wahrgenommen,
auch wenn sie abgeranzt auf Privatgrund
campen, trampen oder im Wald nächtigen. Man begegne
Frauen freundlicher, wolle helfen, so ihre Beobachtung.
99 Prozent aller Männer sind Kavaliere. Klar gibt es auch
B.sewichte, doch die trifft man eher in der Großstadt,
wo mehr Frauen unterwegs sind. Die 1,84 Meter große
Frau erzählt: .Bei mir kommt bald noch der ›Oma-Bonus‹
hinzu: Man bekommt First-Class-Behandlung, ein
gutes Zimmer im Hotel. Je älter, desto angenehmer wird
es. Ganz generell möchte ich Frauen die Angst nehmen,
alleine loszuziehen.
DIE NACHT, MEIN FREUND
Und die biologischen Effekte? "Auf einer Fernstrecke
nimmt man rund 13 Kilo ab. Der Körper fragt sich: Warum
macht die Bürofrau plötzlich so viel Sport? Nach rund vier Wochen schaltet er in den Flucht-Modus, bei rund 80 Prozent der Frauen bleibt dann die Periode aus. Ansonsten
sind Menstruationstassen praktisch für unterwegs.
Wandern, das kann wirklich jede(r). Man muss einfach
nur Schritt nach Schritt setzen". Braucht es eine mentale
Vorbereitung? Eher nein, denn: .Zu glauben, dass Frauen
eine angeborene Angst haben, nachts allein im Wald, ist
idiotisch! Die Nacht ist mein Freund. Niemand erwartet
mich dort.
DEM EIGENEN RHYTHMUS FOLGEN
Schrittweise Erfahrungen sammeln, davon kann auch Ana Zirner
erz.hlen. Ana ist Jahrgang 1983, Bergsportlerin und Autorin aus dem
Chiemgau. In ihren Büchern erz.hlt sie über abgelegene Solo-Touren
in den Pyren.en oder den Rocky Mountains. Drei Wochen vor dem
Start in den Kaukasus 2021 bekam Ana eine überraschende Nachricht:
schwanger. Sie zog los, wie sie es immer tut: um unterwegs zu
sehen, wie sich alles fügt. Frei nach dem Motto: Wege entstehen beim
Gehen. .ber das Laufen und das Schreiben sagt Ana: .Beides ist bei
mir auf natürlichem Weg passiert.. Wohl auch, weil das Laufen die
Gedanken buchst.blich in Gang setzt? .Ich geh gern allein auf Tour,
denn so erlebe ich Dinge, die man zu zweit nicht erleben kann. Eine
Unterhaltung legt die Dinge fest. Man vergleicht sich mit anderen,
passt sich an. Allein habe ich meinen eigenen Rhythmus. Ist das
egoistisch? Vielleicht. Doch ich werde durch die Auseinandersetzung
mit mir selbst auch toleranter mit anderen.
"Frauen agieren meist defensiver
und sind daher weniger gefährdet,
leichtsinnig zu sein."
Als geprüfte Bergwanderführerin und aktive Bergretterin wei. Ana:
.Natürlich gibt es in den Bergen objektive Gefahren. Doch Frauen
agieren meist defensiver und sind daher weniger gef.hrdet, leichtsinnig
zu sein. Für mich ist das selbstverst.ndlich, ich will ja weiterleben. Es
ist kein Widerspruch, stark und gleichzeitig sensibel zu sein, das ist
nur in der Gesellschaft noch immer nicht angekommen.. Und überlegt
dann: .Allein ist es vielleicht sogar sicherer, weil gef.hrlich vage
Gruppenentscheidungen wegfallen. Wir nennen einen der wichtigsten
Sicherheitsaspekte den ›Faktor Mensch‹, denn es kommt immer darauf
an, wer unterwegs ist. Die F.higkeit zu einer realistischen Selbsteinsch.tzung
ist das Wichtigste. Anas Tochter ist heute ein Jahr alt. .Es gibt Studien, die belegen,
wie gesund es ist, sich schwanger zu bewegen. Man muss auf seinen
Körper hören. Physisch war ich beim Sport unsicherer, denn mein
Körperschwerpunkt veränderte sich. Was sie Frauen rät, in Sachen
Vorbereitung und Sicherheit? .Nichts anderes als Männern. Ich persönlich
habe abseits der Alpen einen Notfall-SOS-Sender von Garmin.
Grundsätzlich will ich andere für das Schönste der Welt begeistern:
die Berge. Und klar machen, dass das Geschlecht für die Sicherheit
am Berg keine Rolle spielt.
Denn am Ende ist es eigentlich nichts Besonderes – und zugleich
wunderschön. Und der Natur ist es egal, ob du Mann oder Frau bist. ○
Schwarm-Wissen für Solistinnen
Dass es bei Solo-Abenteuern nicht die höchsten Gipfel oder weitesten Wege
sein müssen, ist Kathrin Heckmann ein besonderes Anliegen. Seit 2013
betreibt die frühere Marketing-Managerin den Wander-Blog .Fräulein
Draußen. Das hohe Interesse mündete 2016 in die Gründung der privaten
Facebook-Gruppe .Club der AbenteurerINNEN. Vernetzen, inspirieren,
austauschen, darum geht es den heute rund 18.000 (!) Mitgliedern – ausschließlich
Frauen. Hier dreht sich alles um Outdoor-Themen mit Nutzen
und Mehrwert, echte Hilfe also. Um die richtige Wahl von Routen, Gaskartuschen
oder Übernachtungsplätzen, um durchgelaufene
Vibram-Sohlen oder um örtliche Einkaufsmöglichkeiten
für Tampons oder Müsliriegel. Und darum, mehr Frauen
zu motivieren, es einfach mal solo auszuprobieren.
TEXT FRANZISK A HORN
FOTOS ANDREW BURNS, ANNE K AISER, ANA ZIRNER