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F.A.Z.-Magazin: Spuren im Schnee

Fährt seit 94 Jahren Ski: Der aus dem Allgäu stammende Klaus Obermeyer hat Aspen zu dem gemacht, was es heute ist.

Der Skipionier Klaus Obermeyer aus Oberstaufen brachte Gary Cooper und vielen anderen das Skifahren bei. Mit 97. Jahren geht er immer noch auf die Piste.


"Mr. Aspen" feiert seinen Geburtstag on Colorado wie jedes Jahr: mit bayerischer Blaskapelle, Alphorn und Apfelstrudel mit Schlagsahne. Dazu jodelt er. Was sich einer wie Klaus Obermeyer wünscht zum 97. Geburtstag? "Dass ich 103 Jahre alt werde. Dann kann ich sagen, dass ich ein ganzes Jahrhundert Ski fahre!". Der Skiveteran schaut auf ein langes, spannendes Leben zurück. Seine Bilanz: "Du kriegst am Ende, was du willst. Und wir wollten Skifahren, den Sport so komfortabel wie möglich machen." Das ist gelungen – und vieles mehr. Wer seine Lebensgeschichte kennt, weiß: Das ist Understatement, eine glatte Untertreibung. Der Willy Bogner Amerikas begann als Skilehrer, gründete ein eigenes Sportswear-Label und feilte mit am legendären Ruf des Millionärsdorfs in den Rocky Mountains. Und ist dabei längst selbst eine Legende.


Er jodelt noch immer, auf Nachfrage oder ohne. Denn im Grunde seines Herzens ist Klaus Obermeyer ein Allgäuer Naturbursch' geblieben – eine Frohnatur mit Unternehmergeist. Und mit einer großen Gabe: sich selbst und technische Neuerungen am laufenden Band neu zu erfinden. Das wiederum ist Teil der amerikanischen DNA. Vom Tellerwäscher zum Millionär – Obermeyer lebt ihn tatsächlich, den amerikanischen Traum. Er hat seine Geschichte hunderte Male erzählt, immer wieder, jedes Mal gern. Mit Händen, mit Worten, mit Begeisterung, als könne er sein eigenes Glück kaum fassen. Wenn er erzählt, klingt es, als ob alles gestern gewesen wäre. Seine Geschichte ist auch die von Aspen, und sie geht so: Klaus Thomas Obermeyer kommt am 02.12.1919 in Oberstaufen auf die Welt. Sein Vater ist der Kunstmaler Heinrich Obermeyer, bekannt für sein fröhliches Naturell, seine Mutter Mina Pinkus Textilkauffrau mit Geschäftssinn. Mit drei Jahren beobachtet der kleine Klaus zum ersten Mal, wie drei Nachbarn auf Skiern einen Hügel heruntergleiten. Eine Initialzündung. "Ich war absolut fasziniert", sagt er.


Zuhause nimmt der Vater eine Orangenkiste aus Kastanienholz. Seit er als Maler durch Italien reiste, bestellt er sich die Zitrusfrüchte aus dem Süden. Er entfernt zwei Latten. Zum Leidwesen der Mutter nagelt der kleine Klaus seine besten Hausschuhe auf die Bretter, die mit den Schnallen, er bindet die Bretterspitzen mit einem Bindfaden hoch, wickelt sich diesen ums Knie. Seine allerersten Ski! "Nach vorn beugen durfte ich mich allerdings nicht, dann waren ja die Spitzen weg", lacht er. "Das war der Anfang, das hat alles verändert. Denn Skifahren ist mein Leben!". Mit vier bekommt er dann richtige Skier zu Weihnachten geschenkt, mit echten, gebogenen Spitzen. "Was für ein Luxus!" Sie stammen von Marius Eriksen aus Oslo, Vater des späteren Olympia-Siegers Stein Eriksen. "Die Ski öffneten mir die Berge, ja, die ganze Welt. Wir Kinder übten uns vor allem im Schussfahren und im Springen, weil: Wir konnten ja keine Kurven fahren". Klaus Obermeyer lacht, wieder einmal. Mit zwölf gelingt ihm der erste Salto – und ist damit wochenlang Dorfgespräch. Später geht er Klettern und Bergsteigen, mit den ersten Kurzskiern auf die Gletscher der Gipfelriesen, entwickelt sich zum versierten Alpinisten.


Das Skifahren liebt er heute, mit 97, noch so wie damals: "Skifahren gibt dir Freiheit", sagt er, "und du lernst da draußen die Schönheit der Natur schätzen." Diese Freiheit ist ihm wichtig. Klaus studiert Luftfahrttechnik, arbeitet während des Krieges als Flugzeugingenieur für Dornier in München. Als der Krieg vorbei ist, will er dem engen Nachkriegsdeutschland entfliehen. 1947 geht er nach Amerika. Fünfzehn Tage fährt er mit einem Liberty-Frachtschiff bei Sturm über den Atlantik, kommt mit zehn Dollar dort an – und mit zwei Paar kurzen Lederhosen im Gepäck. Doch Firmen wie Boeing stellen keine Ingenieure mehr ein, jetzt nach dem Krieg sinkt die Nachfrage nach Bombern der Luftwaffe. "Also rief ich den Friedl Pfeifer von der Aspen Ski School an. Er sagte: Ja, komm, kannst für mich unterrichten". Pfeifer zählt wie Obermeyer zu den Gründungsvätern Aspens. Der Rennläufer stammte aus St. Anton vom Arlberg, lernte dort in der Kaderschmiede von Hannes Schneider das Skifahren. Schneider wiederum drehte als Schauspieler und Skipionier die bekanntesten Bergfilme dieser Zeit: "Der weiße Rausch" mit Regisseur Arnold Fanck oder "Die weiße Hölle vom Piz Palü" nebst Kollegin Leni Riefenstahl.


Friedl Pfeifer war bereits 1938 in die USA ausgewandert, trainierte die Infanteristen der berühmten 10. Gebirgsdivision nach dem Vorbild der alpinen Gebirgsjäger und lernte dadurch Aspen kennen, damals ein verlassene Geisterstadt. Um 1900 galten die hiesigen Silberminen als die ergiebigsten von Nordamerika, doch der Boom ebbte ab. Pfeifer erkannte: Der neue "Bodenschatz" von Aspen ist – der Schnee. Er erschloss die Resorts "Aspen Mountain" und "Buttermilk", baute den ersten Sessellift, begründete die Aspen Skiing Corporation. Im Dezember 1947 trifft also Obermeyer in Aspen ein. Sein erster Eindruck? Negativ. "Es war grau und kalt. Dieser Ort wird es nie zu was bringen", dachte er sich. Er will schnell wieder weg. Doch dann schneit es über Nacht, morgens bringt die Sonne den Schnee zum Glitzern. Klaus ist hingerissen. Er erkennt die besondere Qualität der weißen Materie. "Dieser Schnee war wie Champagner, so trocken und ,fluffy' wie in Europa vielleicht in 3000 Meter Höhe!". Er bleibt. Zehn Skilehrer gibt es zu der Zeit, Obermeyer verdient zehn Dollar pro Tag.


Heute arbeiten rund 1.500 ,ski instructors' in den vier Resorts Snowmass, Buttermilk, Aspen Mountain und Aspen Highlands, die zusammen rund 500 Pistenkilometer listen. Bis heute unterrichten die Skilehrer stolz den "Aspen Style", ein entspanntes, lässiges Cruisen über die Pisten. "Dabei stammt der Stil ursprünglich von Hannes Schneider und seiner Arlberg-Technik", lacht Obermeyer. Als er in Aspen eintrifft, hat Pfeifer gerade seinen ersten, fünfzehn Minuten langen Einsitzer-Sessellift fertig gestellt, er heißt "Ski-Lift No. 1", damals mit gut zwei Kilometern der längste Welt. Ein Superlativ, ein Problem: Die Leute froren bei der langen Auffahrt in ihren simplen Wollmänteln. Not macht erfinderisch. Aus Angst, seine Schüler und damit auch sein Honorar zu verlieren, zerschneidet Obermeyer die gesteppte Bettdecke, die Mutter Mina ihm aufgedrängt hatte. "Die Federn sind dabei geflogen wie der Schnee". Er näht die Teile zu einem Parka um – es ist der Prototyp des ersten Daunen-Stepp-Anoraks. "Ich sah aus wie ein Michelin-Männchen und hatte wochenlang Gänsefedern im Frühstück", erinnert er sich. Doch die Idee funktioniert. Er verkauft das wegweisende Modell für 250 Dollar an einen Freund und Skischüler – den Schauspieler Gary Cooper. Er resümiert: "Ein Tages-Liftticket kostete damals vier Dollar, ein Haus rund 400 Dollar, ein Auto wie zum Beispiel ein Buick samt Radio um die 1250 Dollar. Mein Jacken-Deal war also ein gutes Geschäft." Wenig später richtet er eine Werkstatt ein, in der 17 Näherinnen arbeiten. Er reist mit dem späteren Skifilmer Warren Miller durch die Staaten und bis an die Westküste, zusammen versuchen sie ihr Glück als Verkäufer von Sport-Accessoires, leben aus dem Auto. Das Geld für Motels haben sie nicht. Warren verkauft Skischuhschnürsenkel aus Nylon mit farbigen Enden, Klaus seine importierten "Koogie-Ties": Flauschige Woll-Pompons, zur Fliege gebunden. "Der letzte Schrei bei uns in Europa", so preist er die Ware an.


"Eine Jacke ist wesentlich leichter zu konstruieren als ein Flugzeug", folgert er. Er gründet Sport Obermeyer, importiert Ausrüstung wie zum Beispiel Skiboots aus Europa. Was es in der Alten Welt nicht zu kaufen gibt, erfindet er: Den Ski Stopper, leichte Alu-Stöcke, einen Höhen-Sonnencreme, denn der Ort Aspen liegt auf 2.400 Meter Höhe, umgeben von stolzen Viertausendern. "Ich musste mir einiges einfallen lassen, damit mir meine Gäste weder verbrennen noch erfrieren", erinnert er sich. Außerdem lanciert er verspiegelte, unzerbrechliche Sonnenbrillen, den Turtleneck-Skipulli. Er arbeitet zwölf Jahre als Skilehrer, gibt Prominenten Privatstunden, zum Beispiel "Tarzan" Lex Barker oder der Schauspielerin Ingrid Bergman. Deren Ehemann Petter Lindström ist eifersüchtig auf Klaus und seinen Skilehrer-Schmäh. Also versteckt er sich heimlich zwischen den Bäumen, wenn Ingrid auf die Übungspiste geht. Es heißt, die Schwedin habe sich wenig später von ihrem mißtrauischen Gatten getrennt. 1965 heiratet Klaus. Seine erste Frau modelt für ihn und entwickelt mit ihm seine Designs: Margaret Hepburn Perry, genannt "Nome", ist eine Nichte der vierfachen Oscar-Preisträgerin Katherine Hepburn. Sie bekommen zwei Söhne, eine Tochter.


"Es gab so viele Möglichkeiten, die Dinge zu verbessern, wenn du deinen Sport aus tiefstem Herzen liebst. Heute tragen Hunderttausende unsere Modelle". Bis heute arbeitet der Chef aktiv in der Firma mit, die 35 Mitarbeiter in Aspen hat und rund 20 in Denver. Gefertigt wird in Asien. Seit 25 Jahren konzentriert sich das Unternehmen nur noch auf Sportmode, verkauft in den USA, Kanada, Japan, Russland, China und Neuseeland. Obermeyers Sportverrücktheit hat einen weiteren Effekt: "Ich schwimme täglich eine halbe Meile, das heißt, ich schaffe es in einem Jahr von Aspen nach Denver, und im nächsten Jahr zurück", sagt er, nie um eine Anekdote verlegen. "Außerdem mache ich Aikido, fahre Ski und bleibe in Form". Bei ihm heißt das: 130 Ski-Tage pro Saison – mit 96 Jahren. Er findet: "Die Pisten sind mein Labor für neue Ideen und Erfindungen. Und Tage ohne Skifahren kehren nie mehr wieder!". In seinem Unternehmen gibt es eine unkonventionelle Regel, die sogenannte "Powder Rule": Hat es über Nacht mehr als sechs Inches (gut 15 cm) geschneit, darf die Belegschaft morgens fraglos Skifahren gehen und später zur Arbeit erscheinen. "Manchmal wird das Maß jedoch auch diagonal angewendet", grinst Klaus. An solchen Neuschneetagen senden die Radiostationen von Aspen morgens den berühmten "Obermeyer-Signature-Yodel". Und jeder weiß: Frischer Schnee, ab auf die Piste! Bei aller Naturverliebtheit zeigt sich der Unternehmer ebenso umweltbewusst, wenn es um die eigenen Kollektionen geht, er experimentiert mit Kokosnussfasern und verwendet Materialien, die naturverträglich sind. Das ist dem Firmenchef wichtig, den viele nur "Mr. Aspen" nennen.


Wie Aspen zu dem wurde, was es ist? "Ach, es hat viele tolle Leute hergezogen, wie den Walter Paepcke aus Chicago, intelligente Leute mit positiver Energie, da ist mein Anteil nur ein kleiner Part". Es ist genau jener Paepcke, der das Aspen Institute gründete und den österreichischen Bauhaus-Künstler Herbert Bayer in die Rocky Mountains holte. Bayer entwarf das bekannte Logo des Wintersportorts: Ein stilisiertes Espen-Blatt, das zugleich die Spur eines Skifahrers abbildet. Wer heute Aspen sagt, meint Skifahren. Gut, auch Glamour, Glanz und Geldadel. Und wer heute die weißen Hänge zur Highland Bowl mit Turbospeed hinauf liftet, dem kann es passieren, dass er sich zwischen Internet-Milliardär Jerry Murdoch und Chris Davenport wiederfindet, Colorados berühmtester Extrem-Ski-Athlet. Den Grundstein für diese illustre Gesellschaft legten Leute wie Pfeifer, Obermeyer und Iselin, die einst Schauspieler anlockten, um Werbung für das junge Resort zu machen. Fünfzig Jahre nach seiner Ankunft wird Obermeyer 1997 in der Ski and Snowboard Hall of Fame von Colorado verewigt, 2015 in der Aspen Business Hall of Fame.


Was vermisst Klaus, der Erfolgsmann, am meisten in der Neuen Welt? "Pretzels", sagt er spontan. Seine Heimat hat er zuletzt vor zwei Jahren besucht. "Willst du h****, willst Du saufen, komm nach Oberstaufen", singt er, freut sich dabei diebisch über die perplexen Gesichter seiner Gäste aus dem fernen Deutschland. Wir sitzen in seinem Büro im Aspen Business Center in Nähe des Flughafens. Der Pionier führt seine "inventions" vor, den Skistopper zum Beipiel, zeigt Fotos, erzählt dabei mit Trenker'scher Alleinunterhalterqualität, jovial, offen, leutselig. Viele Dinge hat er erfunden, der Obermeyer Klaus. Aber das sagt der Bogner Willy aus München sicher auch, wenn man ihn danach fragt – oder? "Aber wir waren die ersten!", antwortet Obermeyer prompt.



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