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Konfuzius Magazin: China on the Road

China on the Road

 

Mehr als fünf Millionen chinesische Touristen reisten im vergangenen Jahr nach Europa. Lieblingsziel Nummer eins sind die deutschsprachigen Länder. Doch warum eigentlich?

 

Es ist ein Uhr Mittag, zwei Banker hasten über den Frankfurter Römer in die Mittagspause, eine Hochzeitsgesellschaft schreitet zum Rathaus. Gleich daneben schwenkt eine chinesische Reiseleiterin etwas ungeduldig ihr rotes Fähnchen. Nach und nach trudeln die Mitglieder der Reisegruppe ein. Die Zeit drängt, denn das Programm ist straff: Die kurze Stadtrundfahrt am Vormittag, Mittagessen und eine Shoppingpause in der Innenstadt hat die Gruppe bereits hinter sich, jetzt geht es weiter nach Heidelberg. Vor dem Bus vergleichen zwei Teilnehmer noch schnell ihre Shopping-Beute: Messer, Schmuck, ein Herrenparfum. Wie seine 17 Mitreisenden besucht der Beijinger Unternehmer Wang Xiaolang zum ersten Mal Europa. Logisch, dass auch Deutschland auf den Tourverlauf gehört. "Goethe, Karl Marx, klassische Musik, Mercedes Benz und Porsche...." zählt Wang die Assoziationen ab: Deutschland genießt in China einen guten Ruf, nicht nur als Wirtschaftsstandort, sondern auch in kultureller Hinsicht. Frankfurt, die erste Station der Reise, gefällt ihm gut: "Sauber, gute Luft und viel Grün" resümiert Wang und fügt nach kurzem Zögern "aber irgendwie viel kleiner, als ich dachte" hinzu: Zu Recht. Nahezu jede chinesische Provinzstadt stellt die Frankfurter Skyline mittlerweile in den Schatten.

Dass die Reise ausgerechnet in Frankfurt oder München beginnt, hat nicht nur mit dem positiven Image zu tun. Mitten in Europa, vor allem aber in Reichweite der beliebtesten Reiseziele gelegen und mit zahlreichen Non-Stop-Flügen aus vielen chinesischen Städten erreichbar, bieten sich die beiden Metropolen als Startpunkt geradezu an. Kein Wunder, dass Deutschland den größten Teil der chinesischen Reisenden verzeichnet und 2013 mit rund 1,7 Millionen Übernachtungen sogar noch vor Frankreich und Italien rangiert. Freilich bleiben chinesische Gruppen selten lange an einem Ort: Sechs Tage verbringen sie durchschnittlich in Europa und legen dabei enorme Strecken zurück. Tourverläufe von Frankfurt über Luxemburg, Brüssel, Amsterdam, Paris, München, Wien, Venedig und Rom sind keine Seltenheit - innerhalb einer Woche wohlgemerkt! Das Ziel ist klar: Möglichst viel sehen und jede Minute auf Reisen auskosten.

 

So viele wie noch nie

Rund 32 Millionen Chinesen erfüllten sich im Jahr 2013 diesen Traum von der Auslandsreise – rechnet man die Reisen nach Hongkong und Macau dazu, sind es sogar mehr als 80 Millionen! Egal für welche der Zahlen man sich entscheidet, beide werden innerhalb von Monaten wieder obsolet sein, denn der chinesische Tourismusmarkt ist mit jährlichen Steigerungsraten von bis zu 20 % gesegnet. Sicher ist auch: Noch nie in der Geschichte Chinas haben sich so viele Menschen auf den Weg gemacht, die Welt zu entdecken. Im chinesischen Kaiserreich der Qing-Dynastie war es bis 1893 den Untertanen sogar per Gesetz verboten, das Land zu verlassen. Zugegeben, dieses Verbot wurde nicht immer streng verfolgt und es gab durchaus Zeiten, in denen Kaufleute regen Handel mit dem Ausland trieben und Auswanderer das Glück in der Ferne suchten. Dennoch blieben internationale Reisen bis in die 1990er in China eine große Ausnahme. Nicht nur aus politischen Gründen: Erst mit dem Entstehen einer wohlhabenden Mittelschicht, gab es nun eine große Masse an Menschen, die sich Reisen problemlos leisten konnten. Als der staatliche Chinese Travel Service (CTS) 1991 die ersten Gruppenreisen ins asiatische Ausland organisierte, fiel der Startschuss: Waren es 1991 noch zwei Millionen Reisende, leisteten sich nur ein Jahr später schon drei Millionen Chinesen eine Reise ins Ausland. Gleichzeitig erhöhte der Staat nach und nach die Zahl der gesetzlichen Urlaubstage und stieß 1999 mit der Einführung der arbeitsfreien „Golden Week“ Anfang Oktober einen regelrechten Reiseboom an. Befeuert wurde dieser Trend durch das so genannte  ADS-Abkommen: Die Abkürzung ADS steht dabei für "Approved Destination Status", eine Vereinbarung der "China National Tourism Administration" (CNTA) mit den beliebtesten Urlaubsländern chinesischer Touristen. Chinesen, die im Rahmen des ADS eine Reise unternehmen möchte, müssen sich seither einer Gruppe von mindestens fünf Personen anschließen, inklusive eines chinesischen Begleiters, und die Pauschalreise bei einem der über tausend lizensierten ADS-Veranstalter buchen, der sich um die Visa-Prozeduren zur Einreise in die ADS Länder kümmern. Das ist praktisch, denn nun müssen sich die Reisenden nicht mehr persönlich um die Passformalitäten kümmern. Das so erteilte Visum kann im Ausland jedoch nicht verlängert werden. Als erste europäische Destination unterzeichnete Deutschland 2002 das Abkommen - und konnte so seine Position als Tor zu Europa stärken. Heute stehen bereits 146 Länder auf der ADS-Liste, und jedes Jahr werden es einige mehr. Den chinesischen Reisenden dürften also in nächster Zeit kaum die Reiseziele ausgehen.

 

Kultur und Shopping

Dass trotz dieser Auswahl gerade Europa so beliebt ist; erklärt sich mit dem kulturellen Image des "Alten Kontinents": Deutschland gilt durchaus als Land der Dichter und Denker, ist aber auch dank internationaler Marken bekannt, während Österreich von der Sissi-Romantik, Mozart und den Alpen profitiert. Auch die Schweiz, Frankreich, Italien, und die Benelux-Länder stehen hoch im Kurs. Was sie vereint: Sie gelten als romantisch - und damit auch als ideale Kulisse für Hochzeitsfotos. Wer in Venedig oder Rom lange genug spazieren geht, trifft irgendwann fast zwangsläufig auf ein chinesisches Paar in weißer Robe und schwarzem Anzug.

Bei der Auswahl der Reiseziele spielen jedoch nicht nur kulturelle Highlights sondern auch Shopping eine große Rolle. Deutschland ist bekannt für Qualitätswaren. Quasi alle Gruppenmitglieder tragen daher eine lange Auftragsliste mit sich herum. Ein Solinger Messer für den Nachbarn, eine Linkshänder-Schere für die Schwester - und auch für den Rest der Reise gibt es eine lange Wunschliste, vom französischen Parfum aus Grasse bis zu Swarowski-Kristallschmuck aus Österreich. Das Geheimnis dieser Einkaufsfreude: Die meisten Luxuswaren sind in Europa erheblich günstiger, denn in China selbst werden sie mit einer bis zu 40-prozentigen Luxussteuer belegt. Da kann es trotz der hohen Reisekosten durchaus günstiger sein, zum Einkaufen ins Ausland zu fahren. Kein Wunder also, dass chinesische Touristen laut der World Tourism Organisation seit 2012  mit rund  102 Milliarden Dollar weltweit auf Platz eins stehen, wenn es um Reiseausgaben geht. Ein Großteil davon wird bei Einkäufen umgesetzt. Meist für landestypische Waren, oder solche, die als landestypisch gelten: In Deutschland müssen es Messerwaren, Kuckucksuhren und Bierkrüge sein, in Österreich Kristallschmuck, in der Schweiz natürlich Uhren. Eine Reise nach Venedig ohne die Glasbläsereien von Murano zu besichtigen, käme für die meisten Reisegruppen nicht in Frage. Für die deutschen Einzelhändler sind chinesische Gruppe allemal eine rundum lohnenswerte Kundschaft: Laut dem Finanzdienstleister Global Blue geben sie pro Einkauf in Deutschland durchschnittlich 815 Euro aus und liegen damit sogar noch weit vor den russischen und arabischen Touristen. Oder um es anders zu sagen: Fast ein Drittel aller Tax-Free-Ausgaben in Deutschland werden von Chinesen generiert. Souvenir- und Touristenshops haben sich daher längst auf die attraktive Kundschaft eingestellt: Chinesisch-sprachige Verkäufer sind in Hamburg, München oder Berlin keine Seltenheit mehr, ja sogar in den Duty-Free-Shops der Flughäfen von Frankfurter und München helfen kostenlose Einkaufsberater bei Auswahl und Zollformalitäten. Selbst in der Hotellerie hinterlassen chinesische Gruppen eine deutliche Spur: Dass heute in nahezu jedem Zimmer ab drei Sterne aufwärts ein Wasserkocher steht, mit dem sich der Gast schnell noch einen Tee oder Kaffee zubereiten kann, ist eindeutig chinesischen Gruppen zu verdanken...

 

 

 


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