Nun ist das neue Coronavirus 2019-nCoV auch in Deutschland aufgetaucht. Hier sind die Gesundheitssysteme darauf gut vorbereitet. Im Ursprungsland China sind hingegen Tausende infiziert und noch immer ist unsicher, wie gefährlich der Erreger ist. Es fehlen Medikamente, um Erkrankte zu behandeln. Rolf Hilgenfeld versucht zu helfen. Der Biochemiker ist seit vergangener Woche in China unterwegs.
ZEIT ONLINE: Herr Hilgenfeld, was machen Sie derzeit konkret?
Rolf Hilgenfeld: Ich will herausfinden, ob die von uns an der Uni Lübeck entwickelten Hemmstoffe gegen das neue Coronavirus so gut wirken wie gegen Sars- und Mers-Viren. Ich bin hier auf der Suche nach Kooperationspartnern, die über Zellkulturen mit dem neuen Virus verfügen, an denen sie die Stoffe testen können. Unsere Substanzen befinden sich aber noch in einem experimentellen Stadium. Sie sind leider noch weit davon entfernt, bei dem aktuellen Ausbruch als Medikament eingesetzt werden zu können.
ZEIT ONLINE: Noch gibt es kein Medikament gegen das neue ?
Hilgenfeld: Nein, noch kein zugelassenes, denn 2019-nCoV ist ja gerade erst entdeckt worden. Aber man hat beim Sars-Ausbruch 2002 und 2003 Erfahrungen mit verschiedenen Medikamenten gemacht. Und ein Kombinationspräparat aus zwei Substanzen hat sich in den ersten klinischen Tests damals als besonders vielversprechend herausgestellt: die Kombination aus den Wirkstoffen Lopinavir und Ritonavir. Das sind eigentlich Arzneimittel gegen HIV.
ZEIT ONLINE: Sie sagen, man sollte Coronavirus-Patienten Aidsmittel geben?
Hilgenfeld: So ist es. Vor allem in Ausbruchsituationen wie jetzt versucht man regelmäßig, schon zugelassene Medikamente umzuwidmen. Das hat den Vorteil, dass diese Mittel schon intensiv am Menschen erprobt wurden und daher als sicher gelten können. Damit kann man sich jahrelange Prüfungen ersparen, denn meistens drängt ja bei einem Ausbruch die Zeit. Jetzt etwas Neues zu entwickeln dauert viel zu lange. Und Lopinavir und Ritonavir sind zugelassen - nur eben gegen HIV.
ZEIT ONLINE: Wie wirken diese Medikamente?
Hilgenfeld: Um sich zu vermehren, bilden RNA-Viren - wie auch 2019-nCoV - zunächst sehr große Proteinmoleküle. Die müssen dann von bestimmten Enzymen in einzelne Komponenten zerschnitten werden, damit das Virus sich vermehren kann. Genau das will man verhindern. Das gelingt, indem man die Enzyme hemmt. Das Gute ist: Diese Enzyme ähneln sich bei den einzelnen Coronaviren sehr. Das haben wir in Lübeck schon vor dem Sars-Ausbruch 2002 erforscht. Damals galten Coronaviren noch als unwichtig für den Menschen. Man dachte, sie lösen allenfalls Erkältungen aus. Damals wurde mir von vielen sogar geraten, mit diesen "unwichtigen" Arbeiten aufzuhören. Und als kurz danach die Sars-Pandemie begann, waren wir die Einzigen, die überhaupt dreidimensionale Strukturen von Coronavirus-Proteinen aufgeklärt hatten. Auf dieser Basis haben wir schon damals eine Substanz entwickelt, mit der man Coronaviren hemmen kann. Wir konnten vorschlagen, dass ein Medikament, das eigentlich gegen Rhinoviren - also die typischen "Schnupfenviren" - wirken sollte, nach leichten Veränderungen auch gegen Coronaviren wirksam sein sollte.
ZEIT ONLINE: Wenn das so ist, warum kann man die Substanz nicht bei dem aktuellen Ausbruch einsetzen?
Hilgenfeld: Sie befindet sich noch in experimentellem Zustand. Damit man sie einsetzen kann, muss sie erst noch in jahrelanger Forschung zu einem Medikament entwickelt werden. Als wir damals weitere Tests durchführen wollten, war der Sars-Ausbruch vorbei und wir hatten keine Patienten, an denen wir die Substanz testen konnten. Das ist auch ein Grundproblem bei der gesamten Forschung auf diesem Gebiet.
ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?
Hilgenfeld: Erst muss man in einem Tierversuch zeigen, dass ein Stoff sicher ist - und dann, dass er wirkt. Aber man kann nicht einfach eine Maus mit Coronaviren infizieren, sondern man muss der Maus extra einen menschlichen Rezeptor einpflanzen - man muss sie "humanisieren." Das dauert Monate. Und erst dann beginnen überhaupt die Untersuchungen an Patientinnen und Patienten, die weitere Jahre dauern. Und wenn man dann endlich so weit ist, gibt es keine Erkrankten mehr, an denen man die Mittel erproben kann, weil der Ausbruch vorbei ist. Aus diesem Grund findet man auch schwer eine Finanzierung. Und die Pharmaindustrie interessiert sich nicht für Coronaviren. Selbst die 8.000 Sars-Fälle damals sind für die Unternehmen kein lukrativer Markt. Auch deshalb haben wir jetzt kein wirksames Medikament gegen das neue Virus.
ZEIT ONLINE: Viren verändern ihr Erbgut, wenn sie sich vermehren. Macht auch das es so schwer, ein wirksames Medikament zu entwickeln?