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Rechtsextremismus - Gewählte Volksverhetzer

Rechtsextremismus Die Dortmunder Neonazi-Szene tritt wieder radikaler auf, auch wegen ihrer Vertreter in kommunalen Parlamenten.

Auf einmal knallt es mehrere Male vor der Flüchtlingsunterkunft im Dortmunder Stadtteil Eving. Einige Kriegsflüchtlinge denken, so erzählen sie später, es würde geschossen. In Wirklichkeit sind es Böller. Sie fliegen durch die Luft, kommen aus der Mitte einer Gruppe von Neonazis. Mehr als 20 Rechtsextreme sind mit Fackeln vor die Unterkunft gezogen, keine Polizisten in Sicht. Gegen neun Uhr abends verbreitet sich die Meldung im Internet. Etwa zur selben Zeit erfährt auch die Polizei davon. Sie nimmt später 13 Personen fest. Das Bild der fackeltragenden Neonazis verbreitet sich schnell auch im Ausland. Die Rechten marschieren wieder in Dortmund.

Dabei ist es seit 2012 zunächst etwas ruhiger geworden um die Naziszene in der Ruhrgebietsstadt. Damals hat der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) neben zwei Kameradschaften in Hamm und Aachen auch den „Nationalen Widerstand Dortmund" verboten. Mit einem Mal war vieles unwiederbringlich weg: der wöchentliche Treffpunkt, das Vereinsvermögen und ein Bulli, der für Demonstrationen und gewalttätige Übergriffe genutzt wurde. Mehrere Wohnungen wurden von der Polizei durchsucht, und auch die Webseite der rechten Kameradschaft verschwand aus dem Netz.

Ungewollter Weltruhm

Weniger als einen Monat später verkündeten dieselben Dortmunder Neonazis, einen Landesverband der Partei „Die Rechte" gegründet zu haben. Die Kleinpartei war erst ein paar Monate zuvor von Christian Worch ins Leben gerufen worden. Der bereits seit den 70er Jahren aktive Neonazi Worch erklärte damals, seine Partei solle weniger radikal als die NPD sein und sich programmatisch vor allem an der DVU orientieren.

Spätestens mit dem Aufbau der Parteistrukturen in Nordrhein-Westfalen stellte sich als Wahrheit heraus, was viele Beobachter schon zuvor vermutet hatten: „Die Rechte" funktionierte in erster Linie als Auffangbecken für die Mitglieder verbotener rechter Organisationen. Unter dem Dach der neuen Organisation und mit dem neuen rechtlichen Schutz als Partei versuchten die Neonazis ihre alten Strukturen wieder aufzubauen. Dabei gaben sie sich in Dortmund lange eher zurückhaltend: Die Zahl der rechten Demonstrationen ging zurück, und auch gewalttätige Übergriffe gehörten anders als in den Vorjahren nicht mehr zur Tagesordnung.

Mit einem buchstäblichen Schlag änderte sich das Auftreten der Dortmunder Rechtsextremen im vergangenen Mai. Nach einem Kommunalwahlkampf mit zahlreichen Infoständen und zwei aggressiven Demonstrationen in der Zeit um den 1. Mai, gelang es der „Rechten", einen Sitz im Stadtrat und in vier in Dortmunder Bezirksvertretungen zu erlangen. Bereits am Wahlabend ließen die Neonazis die Maske des gemäßigten Auftretens fallen. Rund 20 Rechte grölten „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus" und versuchten, sich Zugang zur Wahlparty im Dortmunder Rathaus zu verschaffen. Dabei griffen sie Demokraten, die sich in den Weg stellten, mit Pfefferspray und Glasflaschen an. Durch diese Aktion verhalfen die Rechten der Stadt Dortmund gar zu etwas ungewolltem Weltruhm: Die New York Times berichtete über die Stadt und ihr Problem mit den Neonazis.

Auch im Stadtrat wählt der „Rechte"-Abgeordnete Dennis Giemsch stets das Mittel der Provokation. Im vergangenen November wollte er von der Stadtverwaltung wissen, wie viele Juden in den verschiedenen Stadtteilen Dortmunds leben. Als Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) diese Anfrage nicht im Sinne der Rechten beantwortete, legten Giemsch und sein Ratskollege von der NPD nach. Gemeinsam richteten sie mehr als 100 Anfragen an die Verwaltung. Die kürzlich veröffentlichten Antworten zeigen: Ein Großteil dieser Anfragen fällt entweder gar nicht in den Aufgabenbereich der Verwaltung, wäre durch einfachste Recherchen selbst zu beantworten oder ist reine Provokation. Giemsch wollte beispielsweise wissen, ob die Stadtverwaltung Pläne für ein eventuelles SPD-Verbot habe oder ob man nicht ein „Abschiebefestival" auf dem Dortmunder Nordmarkt veranstalten könne. Oberbürgermeister Ullrich Sierau sieht das gesetzlich verbriefte Fragerecht des Rats für politische Hetze missbraucht. Das Medieninteresse nutzte er, um erneut ein Verbot der rechtsextremen Kleinpartei zu fordern.

Wesentlich erschreckender als das Auftreten im Stadtrat sind mitunter die Aktionen der Dortmunder Neonazis auf der Straße und in der Anonymität des Internets. „Die Rechte" wollte im vergangenen Dezember nicht nur vor den Wohnhäusern von zwei antifaschistisch engagierten Kommunalpolitikern demonstrieren. Neuerdings fassten die Neonazis auch einen Redakteur der Ruhr Nachrichten ins Auge, der öfter über die rechte Szene schreibt. Zwar verbot die Polizei die Aufmärsche vor den Wohnhäusern. „Die Rechte" kündigte daraufhin aber an, sie werde in drei anderen Stadtteilen demonstrieren.

Die erste Kundgebung fand noch ohne größere Störungen statt. Doch bereits bei der Anreise zur zweiten Kundgebung blockierten Antifa-Gruppen die knapp 40 Neonazis. Nach kurzer Zeit war klar, dass der Aufmarsch nicht stattfinden würde. Zu viele Gegendemonstranten waren auf der Straße, zu überfordert war die Polizei. Bei den Neonazis entlud sich daraufhin blanker Hass: „Michael Berger, drei zu eins für Deutschland", skandierten sie und spielten damit auf einen Dortmunder Neonazi an, der im Jahr 2000 drei Polizisten erschossen hatte. Auch die im KZ Bergen-Belsen ermordete Anne Frank und mehrere Todesopfer rechter Gewalt in Dortmund wurden zum Ziel der Provokationen. „Anne Frank war essgestört", riefen die Neonazis etwa im Polizeikessel. Mit anderen Parolen machten sie sich lustig über den Tod des NSU-Opfers Mehmet Kubaşık und des 2005 von einem weiteren Dortmunder Neonazi erstochenen Punks Thomas Schulz.

In den Wochen darauf gerieten vor allem Journalisten in den Fokus der Dortmunder Neonazis. Im Internet tauchten mehrfach gefälschte Todesanzeigen auf, versehen mit den Namen von Dortmunder Journalisten und Sätzen wie „Bald ist es Zeit zu gehen" oder „Brenne, Jude, brenne".

Nichts zu befürchten

Jan Schedler ist Sozialwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum und forscht dort über die Rechtsextremen. „Sie testen mit ihren Provokationen, wie weit sie gehen können, ohne mit ernsthaften Konsequenzen rechnen zu müssen", sagt er. Offenbar können die Neonazis sehr weit gehen: Die Dortmunder Staatsanwaltschaft hat einen Großteil ihrer Ermittlungen zu den Aktionen im Dezember mittlerweile eingestellt. Ein freudig gerufenes „Mehmet hat's erwischt" sei lediglich eine Tatsachenfeststellung. Die Parole „Thomas Schulz, das war Sport" bewertet die Staatsanwaltschaft als „schlechten Geschmack". Lediglich wegen der Parolen über Anne Frank wird weiter ermittelt.

Auch die meisten Verfahren gegen die Neonazis, die im vergangenen Mai versuchten, die Wahlparty im Dortmunder Rathaus zu stürmen, hat die Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt. Weiter ermittelt wird gegen einige Demokraten, die sich den Neonazis in den Weg gestellt haben. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem Nötigung vor, erste Strafbefehle wurden verschickt. All das, sagt Jan Schedler, „wird die Rechten weiter in ihrem Gefühl bestätigen, dass sie nicht wirklich etwas zu befürchten haben."

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