13 subscriptions and 5 subscribers
Article

Alte Verschwörungstheorien leben wieder auf: Antisemitismus in China nimmt zu

Antisemitische Kommentare in Chinas Internetwelt nehmen stark zu. Dabei handelt es sich oft um USA-Kritik. Aber auch Verschwörungstheorien werden auf der Suche nach einem Sündenbock wiederbelebt.


Antisemitische Kommentare gibt es in Chinas Social-Media-Kanälen seit Jahren. Die hässlichen Ecken des Internets sind dort nicht anders als sonstwo auf der Welt. Seit der Hamas-Attacke am 7. Oktober und der anschließenden Bombardierung des Gaza-Streifens durch das israelische Militär hat der verbale Hass jedoch stark zugenommen. Die israelischen Juden sollten sich nicht wundern, wenn sie gerade ihr eigene Grab schaufeln, schreibt etwa der nationalistische Blogger Ziwu Xiashi, der allein auf Weibo über eine Million Follower hat: „In der Vergangenheit haben die deutschen Nazis euch nicht leben lassen, und jetzt lasst ihr die Palästinenser nicht leben." Der Post hat über tausend Likes. Darunter finden sich Kommentare wie: „Israelische Neonazis sind böse."


„Vor dem Gaza-Krieg kursierten Stereotype wie ‚Juden sind gut im Geldverdienen', ‚Juden kontrollieren die Wall Street und die globale Finanzwelt', oder ‚Juden legen Wert auf Bildung'", sagt Ross Darrell Feingold, Gründungsvorsitzender des Chabad Taipei Jewish Center, eines 2011 eröffneten jüdischen Gemeindezentrum in Taiwan. Der Risikoanalyst lebt seit über 20 Jahren in Südostasien und wurde oft Zeuge von alltäglichem Antisemitismus. Er glaubt, solche Ideen seien vor allem aus dem Westen eingesickert, wobei der angebliche Einfluss der Juden auf das Weltgeschehen lange sogar eine positiv-bewundernde Konnotation hatte. Nach dem 7. Oktober habe sich das jedoch schlagartig geändert. „Jetzt werden die Stereotypen über Juden in negativer Form dargestellt, zum Beispiel, dass eine jüdische Kontrolle der US-Außenpolitik es Israel ermöglicht, im Gazastreifen zu tun, was es will, ohne dass es zu Konsequenzen kommt."


Auch Verschwörungstheorien machen die Runde. Eine besagt, dass jüdische Kapitalisten, die kurz vor und während des Zweiten Weltkriegs nach China und Japan geflüchtet waren, zusammen mit den Japanern geplant hätten, China zu unterwerfen und bestimmte Gebiete für eine dauerhafte jüdische Siedlung zu okkupieren. Ein geschichtlicher Hintergrund für diesen Mythos ist der sogenannte Fugu-Plan, eine wieder verworfene Idee des japanischen Kaiserreichs, jüdische Flüchtlinge als wirtschaftliche und politische Rückendeckung in großem Stil aus dem Deutschen Reich nach Japan immigrieren zu lassen.


Eine weitere Verschwörungstheorie besagt, dass das schlechte Bild Chinas im Ausland auf die Juden zurückgehe. Denn diese kontrollierten schließlich die großen Medienhäuser und ihre Berichterstattung - eine Idee, die bereits im folgenschweren antisemitischen Pamphlet der „Protokolle der Weisen von Zion" Anfang des 20. Jahrhunderts propagiert wurde. „Verschwörungstheorien sind Symptome entgleitender Kontrolle. Sie werden vor allem in Zeiten sozialer Instabilität populär", erläutert Mary Ainslie. Die außerordentliche Professorin an der Universität Nottingham in der ostchinesischen Stadt Ningbo forscht über Antisemitismus in Südostasien. „Gegenwärtig geht es der chinesischen Wirtschaft nicht so gut, und die soziale Spaltung nimmt zu." Das verstärkt die Suche nach geheimen Strippenziehern. „Verschwörungsdiskurse im chinesischen Cyberspace sind in der Regel antiwestlich und beinhalten den Versuch des Westens, China zu diskreditieren", sagt Ainslie. Da Juden und Israel in der Regel stark mit den USA identifiziert werden, flössen antisemitische Klischees in diesen antiwestlichen Diskurs mit ein. Feingold, der selbst über 60.000 Follower auf der chinesischen Social-Media-News-Seite TouTiao hat, stimmt zu: „Die meisten Internet-User in China machen keinen Unterschied zwischen der Ablehnung der israelischen Politik und Antisemitismus. So verbreiten sie zum Beispiel Memes, die Juden mit Hakennasen darstellen oder Israel mit Tentakeln, die sich um den Globus wickeln."



Chinas Zensurbehörden, die streng darüber wachen, was man im chinesischen Internet lesen kann und was nicht, löschen antisemitische und anti-israelische Kommentare kaum. Dazu passt, dass bestimmte Klischees in den Staatsmedien wiederholt werden. Während der letzten Israel-Palästina-Krise im Jahr 2021 übertrug der staatliche Sender CGTN einen Beitrag, in dem Moderator Zheng Junfeng erklärte, dass Juden die globalen Finanzen kontrollierten und eine mächtige Lobby in den USA hätten, um Israel zu schützen. Israels Botschaft in Beijing bezeichnete den Beitrag als „unverhohlenen Antisemitismus". Am 10. Oktober behauptete der staatliche Fernsehsender CCTV wiederum in einer Sendung über die „Aufdeckung der israelischen Elemente der US-Wahlen in der Geschichte", dass „Juden drei Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, aber 70 Prozent des Reichtums kontrollieren".

Feingold glaubt, dass Peking trotz enger wirtschaftlicher Verbindungen mit Israel, insbesondere im Tech-Sektor, gerade zu seiner einstigen Position während des Kalten Krieges zurückkehrt. Damals hatte die KPCh die palästinensische Nationalbewegung im Namen der antikolonialen und antiimperialistischen Solidarität unterstützt. Heute nutzt Peking internationale Konflikte vor allem, um Kritik an den USA und der westlichen Wertegemeinschaft zu üben. Auch deshalb fallen die Berichterstattung in den chinesischen Medien und die Diskussionen in den sozialen Medien derzeit überwiegend zugunsten der Palästinenser aus, sagt Feingold.



Viele Chinesen assoziieren den Kampf der Palästinenser mit der einstigen Erniedrigung Chinas durch die Kolonialmächte. Die Staatszeitung China Daily veröffentlichte in diesem Monat einen Leitartikel, mit dem sie in eine ähnliche Kerbe schlug, indem sie erklärte, die Vereinigten Staaten stünden in Gaza auf der „falschen Seite der Geschichte", weil sie „Israel blindlings unterstützen".

Gleichzeitig gibt Feingold zu bedenken, dass antisemitische Klischees wie der nach der Weltherrschaft gierende Geldjude in ganz Asien verbreitet sind: „Es gibt kaum ein Bewusstsein dafür, wie falsch und unangemessen diese Ansichten sind." Antisemitische Diskurse müssten in Asien im jeweils spezifischen Kontext gesehen werden, fügt Ainslie hinzu. „In islamischen Ländern wie Malaysia und Indonesien basieren israelfeindliche und antisemitische Diskurse auf Formen der religiösen Identität und auch auf Vorstellungen von Rasse und Klasse. In Taiwan und China geht es bei der Positionierung innerhalb dieses Konflikts eher darum, das eigene Verhältnis zu den USA und dem Westen zu signalisieren."

Original