Mehr als elf Millionen Uni-Absolventinnen und -Absolventen sind in diesem Jahr auf den chinesischen Arbeitsmarkt gekommen. Nicht alle finden dabei den erhofften Job, viele gehen leer aus. Die Wirtschaft schwächelt und die Arbeitslosenquote ist hoch, besonders unter Jüngeren- einer von fünf zwischen 16 und 24 Jahren ist in China ohne Job. Aber nicht nur die Schwierigkeiten bei der Jobsuche beschäftigen junge Chinesinnen und Chinesen. Viele finden den Gedanken attraktiv, auszuwandern. Und sie stellen gesellschaftliche Gewissheiten infrage. Vier Protokolle aus Gesprächen mit jungen Menschen geben persönliche Einblicke in die Gedanken und Sorgen über die aktuelle Stimmungslage in der Volksrepublik.
Queque, 26 Jahre, Staatsbedienstete, wohnhaft in Chongqing
Nach zwei Jahren Corona-Isolation war klar, dass Wirtschaft einen Abschwung erleben würde. In diesem Jahr hat der Staat aufgehört, die Arbeitslosenzahlen junger Menschen zu veröffentlichen. Arbeit zu finden, die gut bezahlt ist und einen nicht komplett auslaugt, ist fast unmöglich geworden. Aufgrund der Kompetenz der Machthaber und des Konjunkturzyklus bin ich persönlich der Meinung, dass der wirtschaftliche Abschwung noch lange anhalten wird.
Das bedeutet für die Menschen der Unter- und Mittelschicht, dass sie weiter Schwierigkeiten haben werden, eine gute Arbeit zu finden. Wir Chinesen sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Prüfungen eine große Rolle spielen. Ich denke, wir können uns deshalb gut auf neue Situationen einstellen. Veränderungen der sozialen Gegebenheiten können schmerzhaft sein, ja. Aber uns daran anzupassen, bedeutet, dass wir überleben. Es ist mir peinlich, zuzugeben, dass wir mit der Gesellschaft unzufrieden sind und uns gleichzeitig nicht imstande sehen, das zu ändern. Ich arbeite derzeit in einem staatlichen Unternehmen, das vom Management her sehr marktorientiert ist. Ich muss um 9 Uhr in der Firma sein. Neben der Mittagspause, die ungefähr eine Stunde dauert, gönne ich mir zwischendurch kleine Pausen und gegen 17.30 Uhr mache ich Feierabend. Oft bin ich aber auch sehr beschäftigt und arbeite auch am Wochenende. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich vielleicht nicht so viel arbeite wie andere in meinem Umfeld. In China gibt es genug Menschen, die deinen Job ebenso gut erledigen können, wenn du es nicht machen willst.
In nicht staatlichen Unternehmen kann man aus den unterschiedlichsten Gründen entlassen werden, es reicht schon, wenn man älter wird. Das Arbeitsrecht in China bietet bei so etwas keinen perfekten Schutz. Staatliche Unternehmen in China entlassen ihre Mitarbeiter normalerweise nicht so schnell, es sei denn, sie machen einen großen Fehler. In China können Frauen mit 55 Jahren und Männer mit 60 Jahren in den Ruhestand gehen. Ich habe aber Angst, dass ich mit 50 schon total ausgelaugt bin. Ich habe von einer Studie gehört, die besagt, dass jedes Arbeitsjahr dich zwei Jahre Lebenszeit kostet, wenn du die 50 erst einmal überschritten hast.
Es ist erstaunlich: Die chinesische Gesellschaft scheint an nichts zu glauben: Einige Leute leben für ihre Familie, andere wissen nicht, warum sie leben, aber das Leben eines jeden scheint aus Geld zu bestehen. Ich hoffe, dass sich alles ein wenig entschleunigt und dass wir uns einen Moment Zeit nehmen können, um die Schönheit des Lebens zu sehen und verstehen, dass es mehr als nur Geld in der Welt gibt. Es erscheint mir manchmal so, als seien alle geblendet von etwas, das für eine starke Feindseligkeit unter den Menschen sorgt. Etwas, das dazu führt, dass wir den Sinn für das Gute und das Schöne verlieren. Wenn es um soziale Gerechtigkeit und Klassen geht, habe ich das Gefühl, dass sich ganz Ostasien in einem Zustand der Unterdrückung befindet. Und das weckt Widerstand in mir. Ich habe schon einmal darüber nachgedacht, auszuwandern, aber ich bin mit nur einem Elternteil aufgewachsen, und mein Herz hängt sehr an meiner Mutter. Deshalb möchte ich bei ihr bleiben und mich um sie kümmern. Es gäbe viele Gründe, China zu verlassen, aber mir reicht dieser eine Grund, um zu bleiben. Chinesische Familienbande sind sehr stark, aber sie können auch eine Bürde sein.
Qiqi, 31 Jahre, Skateboarder aus Peking
Heutzutage ist es relativ einfach, einen Job zu bekommen, den man auch mag, aber es ist wirklich schwer, ihn zu behalten und seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Ich habe Hoffnungen für die Zukunft, weil ich hart daran arbeite, meine eigenen Ziele zu erreichen. Noch bin ich aber auf finanzielle Hilfe anderer angewiesen. Ich bin freiberuflich tätig, hauptsächlich arbeite ich an meiner Band und meiner eigenen Skateboard-Marke. Es gibt Druck und Wettbewerb in allen Branchen, egal wie sehr die Leute vorgeben, freundlich und gut zueinander zu sein. Wer hofft denn nicht, dass seine Konkurrenten das Handtuch werfen?
Ich denke noch nicht viel über Dinge wie die Rente nach. Aber ich mache mir schon Sorgen, wovon ich im Alter leben soll. (lacht) Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich gerne verreisen, vor allem nach Japan. Für die Zukunft hoffe ich, dass mehr junge Menschen gute Musik hören, mehr mit schönen Dingen in Berührung kommen und dass es weniger Dummköpfe gibt.
Yang, 35 Jahre, Werbefachfrau aus Shanxi, seit 2022 zum Studium in Berlin
Ich habe bis vergangenes Jahr für eine Internetfirma in gearbeitet. Eigentlich ein interessanter Job. Ich machte Kampagnen für bekannte Marken. Aber jeder Tag war auch unglaublich stressig. Sechs Tage die Woche, oftmals bis spät in die Nacht um drei oder vier. Morgens musste ich trotzdem früh ins Büro. Es herrschte hoher Druck. Keiner wollte als Erstes sagen: Oh, ich gehe jetzt nach Hause, ich brauche ein bisschen Freizeit. Im Gegenteil: Jeder wollte beweisen, dass er noch mehr und besser arbeiten kann als die anderen. Jeder stand mit jedem in Konkurrenz! Im Vergleich zu europäischen Ländern gibt es in China viel mehr Menschen. Tausende Universitätsabsolventen konkurrieren um die gleichen Jobs. Menschen, die Familien gründen wollen und diese dann auch ernähren müssen.
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