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Propaganda: Aus Zero-Covid wird Zero-Caution

Das abrupte Ende der Null-Covid-Politik stellt auch die staatliche Propaganda vor ein großes Problem. Chinas Führung sucht ein neues Narrativ – und greift auf bewährte Methoden zurück. Doch der Vertrauensverlust in der Bevölkerung könnte noch Konsequenzen haben.

Der abrupte Kurswechsel in Chinas Corona-Politik stellt die Zensurbehörden vor eine Herkulesaufgabe, die durchaus Einfluss auf die soziale Stabilität hat: Wie verkauft man die 180-Grad-Wende von Null-Covid zu Null-Vorsicht der eigenen Bevölkerung? Eine Stoßrichtung kristallisierte sich nach der Abschaffung der strikten Maßnahmen nach dem 7. Dezember nur langsam heraus, was darauf hindeutet, dass auch hinter den Kulissen große Unklarheit herrschte.

Kein Wunder: Die rund 120 offiziellen Slogans, mit denen die Propaganda Xi Jinpings Zero-Covid-Politik in die Köpfe der Bevölkerung hämmerte, lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen auslöschen. Die zahlreichen Karikaturen in den Staatsmedien, die eine Öffnung ohne harte Lockdowns im Westen als Systemversagen brandmarkten, wirkten plötzlich wie Kommentare auf die eigene, hausgemachte Covid-Katastrophe.

Doch nur eine Art Grippe

Um die Kurve zu kriegen, setzt die Propaganda-Maschinerie auf bewährte Taktiken: Optimismus ausstrahlen, Fehler verschweigen, Sündenböcke finden. Omicron habe sich doch als eine Art Grippe erwiesen, deren Sterblichkeitsrate keine strengen Lockdown-Maßnahmen mehr erfordert. Mit leichten Symptomen könne man sogar zur Arbeit gehen, ließen etwa offizielle Stellen in der Mega-Metropole Chongqing verlauten.

Mehrere staatliche Zeitungen berichten von einer über 100-jährigen Frau aus Xinjiang, die ihre Infektion nach einem 10-tägigen Krankenhausaufenthalt „überraschend schnell“ überstanden habe – und das, obwohl sie unter Vorerkrankungen und hohem Blutdruck litt.

Lockdowns brachten Zeit und verhinderten Tote

Und dennoch hätten sich die Lockdown-Maßnahmen insgesamt trotzdem gelohnt, so der Tenor in einem Leitartikel der People’s Daily vom 12. Dezember. Sie hätten Zeit eingebracht, um bessere medizinische Rahmenbedingungen zu schaffen und die Zahl der Todesopfer gering zu halten.

Kurz vor Weihnachten lobten die Staatsmedien zusätzlich den positiven Effekt auf die Wirtschaft. Durch die strengen Lockdowns hätte das Wirtschaftswachstum aufrechterhalten werden können, wenn auch in niedrigeren Raten. Die Darstellung in westlichen Medien, China riskiere den Tod großer Teile der älteren Bevölkerung, nennt die Global Times „rassistisch, bigott und intolerant“. „Jedes Ereignis, das den Tod von Chinesen zur Folge hat, wird von den westlichen Propagandisten freudig begrüßt“, heißt es da.

„Das Leben immer an erster Stelle“

Unzufriedenheit unter Chinesen seien auf „unterschiedliche Meinungen“ in einem großen Land zurückzuführen, erklärte Xi Jinping Ende des Jahres in einer Fernsehansprache, ohne die vielen Proteste in chinesischen Großstädten beim Namen zu nennen. „Seit dem Ausbruch der Epidemie haben wir die Menschen und das Leben immer an die erste Stelle gesetzt“, erklärte Xi. Inzwischen rechnen Experten jedoch mit bis zu einer Million Toten (China.Table berichtete).

Hu Xijin, der ehemalige Chefredakteur der Global Times erklärte auf Twitter, dass er bei einer Reise von Peking nach Chengdu feststellen konnte, dass überall Normalität eingekehrt sei. „Die Auswirkungen der Pandemie verfliegen schnell.“ Fachleute hingegen warnen vor den Folgen der anstehenden Corona-Welle in den Provinzen (China.Table berichtete).

Dass alles nicht so schlimm steht, belegt die Global Times unter anderem auch mit dem Hinweis, dass die allgemeine Lebenserwartung in China im Gegensatz zu den USA noch immer steige. Zynischer Whataboutismus, wenn man all die Todesfälle bedenkt, die nun überall in China betrauert werden müssen. Zudem weigert Peking sich nach wie vor aus ideologischen Gründen, den Einsatz nachweislich wirksamer mRna-Impfstoffe aus dem Westen zuzulassen.

Die Mär der geplanten Öffnung

Ein weiteres Argument, das inzwischen überall auftaucht, ist, dass die Öffnung von langer Hand geplant gewesen sei und dementsprechende Entscheidungen bereits im November 2022 in Zhongnanhai getroffen wurden. Man habe innerhalb der „dynamischen Covid-Politik“ umgehend auf die „leichtere Variante“ Omicron reagiert, schreibt die Global Times. „Chinas sozialistisches System hat wieder gezeigt, dass es zu einer beispiellosen Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit fähig ist.“

Dass hinter der Öffnung kein Masterplan stand, beweist jedoch die Tatsache, dass es der Staat trotz harter Lockdown-Maßnahmen nicht geschafft hat, mehr als 40 Prozent der über 80-Jährigen ausreichend zu impfen. Omicron war bereits Ende 2021 in China nachgewiesen worden. Hinzu kommt, dass die Öffnung nur wenige Wochen vor dem Frühlingsfest übers Knie gebrochen wurde. Millionen Chinesen werden diese Woche inmitten teils noch immer winterlicher Temperaturen durchs Land reisen. Das ohnehin überforderte Gesundheitssystem wird dadurch noch mehr belastet.

Routinierte Stimmungsschwankung

Die Art, wie die Regierung ihren U-Turn vollzieht, sei erwartbar gewesen, sagt eine 35-jährige Pekingerin, die während eines Lockdowns ihre Arbeit in der Medienbranche verlor. Sie vergleicht das Vorgehen mit einem Kind, das von einem Moment auf den anderen seine Stimmung ändert. „Es ist, als würden 80- und 90-Jährige plötzlich nicht mehr existieren.“

Im Internet macht ein Witz die Runde, der die Verwirrung über die plötzliche Kehrtwende in einem Dialog dreier Häftlinge zusammenfasst, die einander die Gründe ihrer Verhaftung erklären:

„Ich war gegen Covid-Tests.“
„Ich habe Covid-Tests unterstützt.“
„Ich habe Covid-Tests durchgeführt.“

Kein Raum für Diskussionen

Offen beschweren kann man sich freilich nicht. Mehr als 1.000 Social-Media-Konten – einige mit Millionen von Followern – wurden bereits suspendiert, weil sie die Covid-Politik der Regierung kritisierten. Hashtags wie „Chamäleon“ oder „doppelzüngig“ waren vorübergehend geblockt. Auch Karikaturen, die überfüllte Krematorien zeigen oder Kommentare, die die offizielle Todesursache verstorbener Prominenter anzweifelten, wurden schnell herausgefiltert.

In die Karten der Regierung spielt jedoch, dass die Chinesen vor allem froh sind, keine Lockdowns mehr fürchten zu müssen und auch endlich wieder reisen zu dürfen. Auch hier hat Chinas Propaganda-Maschinerie eine Strategie entwickelt, um nicht vor der eigenen Haustür kehren zu müssen. In den Staatsmedien werden die Vorkehrungsmaßnahmen einiger Länder, chinesische Reisende auf Covid zu testen, nun als „Diskriminierung“ diffamiert – und das, obwohl China selbst negative Tests von Einreisenden verlangt.

Die Propaganda knüpft damit an das Narrativ des „China Virus“ zu Beginn der Pandemie an, mit dem ausländische Kräfte angeblich alle Schuld bei China gesucht hätten. Die Chinesen hätten im Kampf gegen das Virus viele Opfer gebracht, so die Botschaft hinter der kalkulierten Empörung. Und nun sei es das Ausland, das ihnen aus „Rache“ noch immer keine Freiheit gewähren will.

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