"Gibt es eine Kleiderordnung?" hatte schon vor Wochen Jemand auf der Facebook-Seite des Veranstalters gefragt. Für viele Besucher ist es das erste Mal, dass sie klassische Musik im Konzert erleben. Um die 4500 Menschen sind in die Mercedes-Benz-Arena gepilgert, um dem Radiosymphonieorchester Pilsen dabei zuzuhören, wie es unter der Leitung von Dirigent David Reitz den Soundtrack von Peter Jacksons "Herr der Ringe - Die Gefährten" live aufführt, während der Film gleichzeitig in englischer Originalversion auf der Leinwand läuft.
Der Kontrast zwischen Event und Austragungsort ist bemerkenswert: Wo sonst kann man Menschen dabei zusehen, wie sie auf winzigen Klappsitzen Nachos und Hot Dogs in sich reinschaufeln und dabei Streichermusik lauschen? Die Bühne ist im grünen Farbton eines Billardtischs ausgeleuchtet. Die LED-Bande kündigt ein Basketballspiel an, während das 100-köpfige Orchester mitsamt 120-köpfigem Chor seine Plätze einnimmt. Die Arena-Atmosphäre erweckt den Eindruck, hier könnte gleich ein Wettbewerb stattfinden: Wer fiedelt schneller, wer schlägt härter auf die Pauke, wer bringt mit der Posaune als erster die Wände zum Einsturz?
Das Elbenreich ist Streicher-zart, sakral, ätherisch, nordisch
Die von Howard Shore komponierte Filmmusik ist ja tatsächlich dramatisch wie ein Gladiatorenkampf und so bombastisch, dass Jerichos Mauern zumindest gewackelt hätten. Der kanadische Komponist, der so unterschiedliche Filme wie "Das Schweigen der Lämmer", "Philadelphia", "Naked Lunch" oder "Sieben" vertont hat, bezeichnete seine Arbeit für die "Herr Der Ringe"-Trilogie einmal als sein Opus Magnum. Die Filmgeschichte gibt ihm recht: Drei Oscars, zwei Golden Globes und vier Emmys hat der heute 70-Jährige für den Soundtrack abgeräumt. Dabei habe er sich stark von Richard Wagners Rheingold-Oper inspirieren lassen, erklärt der ehemalige Jazz-Saxophonist gerne in Interviews.
Wie sein Vorbild entwickelt Shore mit immer wiederkehrenden Leitmotiven die Geschichte der ungleichen Helden, mit regionaler Folklore malt er die Landschaften Mittelerdes akustisch aus. Szenen im Auenland der Hobbits werden mit lieblichen Flötentönen, Violine und Fiddle untermalt, die Assoziation ist eindeutig Irland. Das Elbenreich ist Streicher-zart, sakral, ätherisch, nordisch, was es heute Abend auch der kristallklaren Stimme von Gesangssolistin Kaitlyn Lusk verdankt. Oder aber orientalisch geheimnisvoll, wenn es sich um den verzauberten Wald der von Cate Blanchett gespielten Elbenherrin Galadriel handelt. Die Rollen zwischen Gut und Böse sind klar verteilt.
Fast jedes Mal, wenn sich die Leinwand für die dunklen Mächte eintrübt, fahren einem Pauken und Kontrabassstöße in die Eingeweide. Auch der direkt unter der Leinwand positionierte, ganz in schwarz gekleidete Chor darf dann seine apokalyptische Kraft entfesseln. Kein Wunder, dass Heavy-Metal-Fans den Herrn der Ringe seit je her feiern. Der Name Mordor muss nur fallen und schon schmettert es aus hundert Kehlen wie zur Götterdämmerung.
Sich auf Film und Orchester zu konzentrieren fällt schwer
Die Filmmusik live von einem Orchester dargeboten zu bekommen hat gleich mehrere Effekte: Durch die gesteigerte Lautstärke fällt einem auf, wie allgegenwärtig der Klang im Film die Dramaturgie vorwegnimmt. Besonders in diesem, wo der Spannungsbogen im Minutentakt auszuschlagen scheint und immer neue Endgegner bezwungen werden müssen, als handele es sich in Wahrheit nicht um einen Film sondern um ein Computerspiel (die allzu programmiert wirkende Green-Screen-Optik verstärkt den Eindruck noch).
In anderen Momenten vergisst man fast, dass da ein Orchester konzentriert auf den nächsten Einsatz wartet, während sich über ihm gerade weißhaarige Zauberer mit knorpeligen Zauberstäben bedrohen. Sich auf beides - Film und Orchester - zu konzentrieren fällt schwer, zumal die nervös flimmernden deutschen Untertitel die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Leinwand ziehen. Ob man den Fantasy-Epos, wie wohl die meisten Zuschauer im "Saal" schon mindestes einmal gesehen hat, ändert daran nichts. Wie oft die mit dem Rücken zum Bild agierenden Musiker das dreieinhalbstündige Werk schon angucken mussten, kann man nur ehrfürchtig erahnen.
Peter Jackson hat es geschafft, Tolkiens Buchvorlage noch epischer auszuwalzen
Dabei ist die Idee natürlich nicht neu. Schon vor hundert Jahren wurden Stummfilme in den Lichtspielhäusern live am Piano begleitet. Damals grätschte dem Musikanten aber nie jemand dazwischen. Hier liegt das größte Problem des "multimedialen Erlebnisses", wie die Pressemitteilung das Klassik-Event nennt: Im Zusammenspiel mit dem Gekeife der Orks, den dumpfen Hammerschlägen des Höhlentrolls, dem Säbelrasseln und den heroisch-hölzernen Dialogen erzeugt das hochgepegelte Orchester bisweilen nur noch kakofonen Matsch. Und eigentlich ist Peter Jacksons "Der Herr der Ringe" ja ohnehin immer dann am schönsten, wenn niemand spricht, wenn die Gipfel, Täler und Ork-Bergwerke nur aus der Vogelperspektive überflogen werden und der wirklich unqualifizierte Ringträger Frodo den Gefährten nicht gerade wieder mal fast vor der Nase wegstirbt.
Regisseur Peter Jackson hat es geschafft, Tolkiens Buchvorlage noch epischer auszuwalzen als sie ohnehin schon war. Selbst aus dem kindgerechten, gerade mal 400-seitigen Buch "Der kleine Hobbit" hat der Regisseur einen schlachtgewaltigen Dreiteiler fabriziert. Und an dieser martialischen Vision orientiert sich natürlich auch die Musik: Anschleichen. Anschwellen. Aufbäumen. Losdröhnen. Und das in schwindelerregender Frequenz. Der Taktstock wird zum Brecheisen, der immer wieder neue Pandorabüchsen der Gefühle aufstemmt. Subtil ist anders. Und aufhören, wenn es am schönsten ist, war auch nicht Jacksons Ding. Aber dafür kann das Orchester ja nichts. Schöner Nebeneffekt der verdienten Standing Ovations am Schluss des Film-Konzerts: Das Blut kann endlich wieder zurück in die Beine fließen.
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