Es war viel los bei der CDU in den vergangenen Wochen. Erst wählte die thüringische Landtagsfraktion gemeinsam mit AfD und FDP den Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ab und stürzte damit ein ganzes Bundesland in die Regierungskrise ( bento). Dann kündigte die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug an. Bei den Wahlen in Hamburg musste die Union ein historisch schlechtes Ergebnis akzeptieren. ( SPIEGEL) Und mit Armin Laschet, Jens Spahn, Norbert Röttgen und Friedrich Merz verkündeten gleich vier Unionsmänner den Wahlkampf um AKKs Nachfolge ( bento).
Vor allem Letzterer spaltet seitdem das Land und die Partei. Während keiner der CDU-Kandidaten unter Unionsanhängern so hohe Stimmungswerte genießt wie Merz ( Focus), sorgte der CDU-Politiker vor allem bei jungen Leuten für Empörung. Auf Twitter hatte Merz die schleswig-holsteinischen Grünen für ihr "Nein" zu einem "Burkaverbot" an Universitäten kritisiert. Schließlich sei die Vollverschleierung "ein Zeichen der absoluten Missachtung fundamentaler Rechte von Frauen."
Ich würde mir sehr wünschen, dass die #Grünen beim Thema Burka-Verbot auf unserer Seite wären. Vollverschleierung ist ein Zeichen der absoluten Missachtung fundamentaler Rechte von Frauen. In unserer offenen Gesellschaft zeigt man sein Gesicht. (tm)
- Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) February 13, 2020
Moment mal, Friedrich Merz und Frauenrechte? Viele wunderten sich über diese Kombination. Für sein feministisches Engagement war Merz bisher eher weniger bekannt. Vor allem an ein Ereignis erinnerten viele Menschen in Sozialen Medien.
Wenn man sich dieses Video anschaut, kommt es einem vor, als wäre das alles länger als 20 Jahre her. Dann erinnert sich man daran, dass einer von denen, für die Vergewaltigung in der Ehe eine Lappalie war, von manchen jetzt als nächster Kanzler gehandelt wird 🤦♀️ #Merz https://t.co/jmeiXsiSKd
- Ricarda Lang (@Ricarda_Lang) February 16, 2020Friedrich Merz hatte mit Frauenrechten noch nie viel am Hut
Auch Menschen in seiner eigenen Partei hinterfragen seinen plötzlichen Einsatz für die Rechte von Frauen: "Ich frage mich, ob der Ruf nach einem Burkaverbot wirklich zum Ziel hat, die Rechte von Frauen zu stärken", sagt Nora Zabel, die sich bei der Frauen Union der CDU engagiert. "Meines Wissens nach, hat sich Friedrich Merz nie besonders für die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern eingesetzt."
Kim Thy Tong, stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen vom Arbeitnehmerbund CDA, sieht es ähnlich: " Wenn man bedenkt, dass die CDU keine Verbotspartei sein wollte, kommt die Forderung Friedrich Merz' nach einem Verbot der Vollverschleierung genauso überraschend, wie sein Einsatz für die fundamentalen Rechte der Frau."
„Als der Strafbestand der Vergewaltigung in der Ehe 1997 gesetzlich anerkannt wurde, stimmte Merz noch dagegen."
Es stimmt. Als der Bundestag am 15. Mai 1997 mit einer fraktionsübergreifenden Mehrheit von 470 Abgeordneten für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stimmte, war Friedrich Merz einer von 138, die gegen die Gesetzesänderung votierterten. Merz stimmte damit nicht nur gegen ein Gesetz, das in über einem Jahrzehnt politischer Debatten mühsam von Frauenrechtlerinnen erkämpft werden musste. Er stimmte auch gegen die Mehrheit seiner eigenen Fraktion ( Bundestag). Allerdings war das Gesetz zuvor kontrovers diskutiert worden: Einige Abgeordnete wollten es mit einer "Widerspruchsklausel" versehen, die es ermöglicht hätte, die Anzeige von Seiten des Opfers zurückzuziehen. Diese stand nicht im Gesetz, weil Kritiker befürchteten, Opfer könnten dann von Tätern unter Druck gesetzt werden. Deshalb wurde ohne Fraktionszwang abgestimmt. ( Correctiv)
Die Geschichte von Friedrich Merz als einem der letzten Vertreter eines schon damals lange überholten Verständnisses von Ehe und Familie ist das bekannteste Beispiel dafür, dass der Politiker mit Frauenrechten noch nie viel am Hut hatte. Das einzige ist es nicht.
Zwei Jahre zuvor traf sich der Bundestag zu einer ähnlich historischen Entscheidung. Am 29. Juni 1995 legte Union, SPD und FDP ihre Reform des Abtreibungsrecht vor. Diese sah vor, dass Abtreibungen zukünftig bei vorheriger Beratung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei sein sollten. Die Kompromisslösung verhalf Frauen zu mehr Selbstbestimmung. Und sie beendete eine jahrzehntelange Debatte, die die Republik tief entzweit hatte. Lediglich 80 Abgeordnete von CDU/CSU stimmten gegen die Reform, unter ihnen Friedrich Merz, der für einen restriktiveren Vorschlag war ( Bundestag).
Bei Abstimmungen oft am rechten Rand der eigenen Fraktion zu finden
Dass Merz bei progressiven Themen nicht nur am rechten Rand des Bundestages, sondern auch dem seiner eigenen Fraktion zu finden ist, änderte sich auch in späteren Jahren seiner Abgeordnetenzeit nicht. Am 29. Juni 2006 stand das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Bundestag zur Abstimmung. Das auch als Antidiskriminierungsgesetz bekannte Gesetz führte zahlreiche Maßnahmen ein, die vor allem im Berufsleben vor Diskriminierung zum Beispiel aufgrund von Alter, Herkunft, Religion oder Geschlecht schützen sollten. Dahinter stand ein breites Bündnis aus Grünen, SPD und CDU/CSU, deren Abgeordnete nahezu geschlossen dafür votierten. Friedrich Merz stimmte abermals dagegen - als einer von nur 17 Unionsabgeordneten.
Auch für die Rechte von homosexuellen Frauen und Männern hatte Merz nie viel übrig. "Der Retro-Kandidat ist ein Beispiel dafür, wie homophob die Union einmal war", urteilte das Magazin Queer.de einmal über ihn. Einer der Gründe: Im Interview mit dem Magazin "Bunte" hatte Merz einmal auf die Frage, war er davon halte, dass Berlin von einem Schwulen regiert werde, geantwortet:
„Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal!"
Friedrich Merz über die Homosexualität eines Politikers
Auch im Bundestag hatte Merz Stimmung gegen die Gleichstellung von Lesben und Schwulen gemacht. Als im Jahr 2000 das Gesetz zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft zur Abstimmung stand, warnten viele Unionsabgeordnete vor der Entwertung der klassischen Familie. Merz verschärfte den Ton, als er Rot-Grün verdächtigte "mit dieser Neuregelung ganz offensichtlich eine grundlegende Umwälzung gesellschaftlicher Strukturen" zu beabsichtigten ( CDU Presseportal).
Wie Friedrich Merz abgestimmt hätte, als ausgerechnet seine Parteichefin Angela Merkel im Jahr 2017 die Abstimmung über die "Ehe für Alle" und damit die vollständige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften im Bundestag ermöglichte, ist nicht überliefert. 2009 verließ er den Bundestag - und lange Zeit auch die Politik.
Der CDU stünde Einsatz für Frauenrechte gutDie junge CDUlerin Kim Thy Tong hat ein etwas anderes Verständnis vom Einsatz für Gleichberechtigung als Merz: "Genauso wie es ihm in unserer offenen Gesellschaft frei steht, persönlich gegen die Vollverschleierung zu sein, steht es jeder selbstbestimmten Frau zu, sich zu verschleiern oder auch allein zu entscheiden, was sie als sexuelle Gewalt empfindet und was nicht. Der Einsatz für die persönliche Freiheit der Frau stünde der CDU und auch Friedrich Merz am besten."
Auch Parteikollegin Nora Zabel sieht in anderen Bereichen mehr Handlungsbedarf: "Um ehrlich zu sein, habe ich bis heute kein Wort zur Parität in der Politik und Wirtschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder zur immer noch nicht vorherrschenden Lohngleichheit gehört. Das finde ich sehr schade, gerade im Hinblick auf eine mögliche Kandidatur um den CDU Vorsitz." Friedrich Merz, sagt sie, habe doch Frauen doch bisher eher belächelt, "oder, wie zuletzt, sie mit Orkantiefs assoziiert."
Damit spielt Nora Zabel auf eine weitere Äußerung an, mit der Friedrich Merz jüngst zeigte, dass er auch nach seinem Comeback noch ganz der Alte ist: Kaum auf die politische Bühne zurückgekehrt, verglich Merz seine Noch-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Sturmtief "Sabine". "Es ist übrigens reiner Zufall, dass Tiefs im Augenblick Frauennamen tragen", schenkelklopfte Merz bei einem Treffen mit Unternehmern in Berlin ( Bild]). "Was für ein Chauvi!", schrieb daraufhin SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil auf Twitter.
Wer will kann den Tweet auch als Einordnung von Merz' gesamter politischen Laufbahn verstehen.
AfD-Ergebnis in Hamburg: Zu früh gefreut
Es gibt keine gemütliche Nischen, in denen wir ausharren können, bis der rechte Sturm vorbei ist. Ein Kommentar.
Kurz nach 18 Uhr am Sonntagabend vibrierten in meinem Freundeskreis die Handys. Chat-Nachrichten wie "Nazis raus!", "Hamburg, beste Stadt" oder einfach nur "<3 <3 <3" ploppten auf. Die AfD schien den Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft zu verpassen. So zeigten es die ersten Hochrechnungen. Jubel brandete auf. Zufriedenheit.
Für etwa zwei Stunden erschien die Welt etwas gerechter - oder zumindest das Landesparlament der zweitgrößten Stadt Deutschlands für die kommenden fünf Jahre AfD-frei. "Nur ein Vogelschiss" freute sich jemand auf Twitter. Selbst in Flohmarkt-Gruppen aus anderen Städten, in denen ich nur noch zufällig bin, wurde plötzlich, zwischen Einbauschränken und Angeboten von Babysittern, über Innenpolitik diskutiert. Es klang erleichtert und auch ein wenig triumphierend.
Die Sehnsucht nach guten Nachrichten, der kollektive Wunsch nach Entlastung brach auch aus Menschen hervor, die sich ansonsten eher selten politisch äußern. Vielleicht zeigte der Jubel auch die Sehnsucht, dass es vier Tage nach dem Anschlag von Hanau eine klare Antwort geben könnte: Die AfD ist trotz ihres zunehmend offen rechtsextremen Flügels in alle 16 Landtage gekommen, doch wir werden sie auch wieder los.
Sehnsucht nach RuheVor allem bei migrantischen Freunden kann ich diese Sehnsucht nur zu gut verstehen. Seit Jahren leben sie in Angst. Die zunehmende Hetze, die oft beschriebene Verschiebung des Sagbaren - sie werden von alledem bedroht, Tag für Tag. Seit Hanau reicht das Wort "Angst" bei manchen nicht mehr aus, um ihren Zustand zu beschreiben, fürchte ich. Ein Rauswurf der AfD aus der Hamburger Bürgerschaft wäre nicht die Rettung, nicht die Lösung gewesen. Es hätte nichts wieder gut gemacht, niemanden wieder lebendig. Aber es wäre vielleicht ein Zeichen gewesen, ein erster kleiner Schritt.
Bei anderen Freunden, meist aus Großstädten und tendenziell eher linksliberal, wirkte der Jubel am Wahlabend dagegen, als hätten sie gerade im Fußball gewonnen. Das "Team Anstand" hatte sich durchgesetzt, endlich wieder Punkte gemacht. Geht doch! "Ganz Hamburg hasst die AfD", so hatten es Demonstrierende ja schon vor wenigen Tagen immer wieder durch die Innenstadt gebrüllt. Manchmal klang das, als würde man sich gerne frei machen von der Verantwortung, die die aktuelle Situation uns auferlegt hat.