Vor zehn Jahren starben beim damals grössten Schiffbruch vor Lampedusa 366 Migrant:innen. Eine Welle der Solidarität ging durch Europa, doch dann drehte der Wind. Fünf Beobachterinnen des europäischen Grenzregimes erzählen von Etappen seiner Verschärfung.
Gegen zwei Uhr nachts hört der Motor des alten Lastkahns auf zu rotieren. Am Horizont glitzern die Lichter des Hafens von Lampedusa. "Wir dachten, wir wären angekommen", erzählt einer der 521 Passagier:innen später. Sie sitzen da schon 24 Stunden eng aneinandergedrängt auf dem Boot, das für nicht mal halb so viele Leute ausgelegt ist. Die meisten von ihnen kommen aus Eritrea.
Zu diesem Zeitpunkt läuft bereits Wasser in den Motor, das geht aus Prozessakten hervor, die der WOZ vorliegen. Der Bootsführer schaltet die Maschinen aus. Er hofft, bald von der Küstenwache entdeckt zu werden. Zwei Fischerboote nähern sich dem treibenden Kahn, die Hilferufe der Menschen sind für sie deutlich hörbar, doch drehen sie ab. Um in der Dunkelheit auf sich aufmerksam zu machen, zündet der Bootsführer ein Stück Stoff an. Das Feuer springt aufs Deck über. Panik bricht aus. Binnen weniger Minuten sinkt das Boot.