Auf deutschen Bauernhöfen herrschen Männer. In Schwaben trifft sich eine Gruppe junger Bäuerinnen, die darüber reden wollen. Was denken sie über Feminismus?
Zehn Esser sitzen am Tisch, wenn Hanna Mink gekocht hat. Ihr Mann und ihre zwei Kinder, die Schwiegereltern, der Urgroßvater, Mitarbeiter und Lehrlinge. "Was gibt's heute?", fragt dann einer. "Kartoffelauflauf", sagt Hanna Mink. Und damit könnte das Gespräch zu Ende sein, weil Kartoffelauflauf ja eine gute Antwort ist. Aber: "Was dazu?" - "Bratwurscht." Mink weiß, dass sie frisch kochen muss. Eine Tiefkühlpizza würden ihr Mann und seine Familie niemals essen.
Hanna Mink, 36 Jahre alt, mit zierlicher Figur, kräftigen Händen und einem Kurzhaarschnitt, ist eine robuste Frau mit wachen Augen. Ihre Familie betreibt einen Bauernhof in der Nähe von Tuttlingen, einem Ort im Süden Baden-Württembergs. Die Aufgaben am Hof sind klar verteilt: Ihr Mann versorgt den Tag über die Tiere und die Felder. Sie schmiert nach dem Frühstück Brote für alle, wäscht die Wäsche, kauft ein, putzt, backt, versorgt die Kinder und wenn das alles erledigt ist, hilft sie auch noch im Stall, in dem 200 Milchkühe stehen.
Frauen gibt es auf fast jedem Bauernhof. Doch von 276.000 landwirtschaftlichen Betriebsleitern in Deutschland waren 2016 nur neun Prozent weiblich. Die meisten Frauen sind in den Statistiken als "Ehegatte des Betriebsinhabers" verzeichnet. Auch Hanna Mink ist so in der Statistik vermerkt, geleitet wird der Hof von ihrem Mann. Wenn eines Tages die Gleichberechtigung überall erreicht ist, dann wird es vielleicht als letztes auf den Bauernhöfen geschehen sein.
Einmal im halben Jahr geht Hanna Mink reiten, für ein paar Stunden nur. Oft aber sagt dann der 98-jährige Urgroßvater kopfschüttelnd, der Hof werde zugrunde gehen, wenn Hannas Schwiegermutter mal nicht mehr sei. Hanna Mink ärgert die Kritik, vor allem aber, dass sie vor allen anderen geäußert wird. Mit 98 gebe der noch den Ton an, sagt sie. Das müsse man sich mal vorstellen.
Ein grauer Tag Ende März, Hanna Mink sitzt an einem Tisch mit fünf anderen Frauen. "Wer von euch darf Tiefkühlpizza machen?", fragt sie. Alle nicken, doch, das sei schon mal drin. Mink muss lachen. Die Frauengruppe heißt Junge Landfrauen. Mink hat sie mit ihrer Freundin Esther Messner vor anderthalb Jahren gegründet. Anders als ihre Mütter wollen die Frauen nicht nur zusammen basteln und Kuchen backen. Sie wollen dem nachgehen, was im Alltag oft nicht fertig gedacht werden kann: Wie geht es mir, wie den anderen Frauen? Was fühlt sich nur falsch an, und was läuft wirklich falsch?
Alle in der Gruppe sind Bäuerinnen. Heute treffen sie sich auf dem Hof von Esther Messner außerhalb von Trossingen. Am Horizont graue Industrie und ein paar Hochhäuser am Ortsrand, aus den Ställen schauen schräg gelegte Kuhköpfe ins graue Märzlicht. Vor dem Haus steht eine Holzbank, die einladend wirken würde, wären da nicht die Nässe und der Wind, der vom Feld in den Hof pfeift.
In Messners Wohnzimmer bollert ein Kachelofen, auf dem großen Esstisch liegen Brezeln. Die Kinder spielen. Alle paar Wochen treffen sich die Bäuerinnen, manchmal sind sie 15, heute fünf, die meisten zwischen 30 und 40 Jahre alt.
Die Höfe der Frauen liegen auf der Baar, einer Hochebene zwischen dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb. Das Klima hier ist rau, oft bilden sich über den Wiesen Kaltluftseen mit Nebel und Frost. Hier im Südwesten der Bundesrepublik spricht man Schwäbisch, sagt "it", wenn man "nicht" meint und dehnt die Vokale.
Die nahegelegene Kleinstadt Trossingen bietet alles, was hier gebraucht wird. An der Hauptstraße gibt es die Modeläden Trendbereich und Charles Vögele. In der Goethe-Passage hat eine Fun-o-Thek geöffnet und draußen im Industriegebiet ist noch eine Gaststätte mit Kegelbahn. Dort treffen sich die Männer. Sie waren schon als Jugendliche zusammen feiern im Holzwurm, der Disko in Trossingen. Ihre Frauen sind meist aus anderen Gegenden hergezogen. Sie begegnen einander höchstens im Rückbildungskurs oder beim Kinderturnen.
Isabel Heß hat ihre kleine Tochter Felicitas mit zur Frauenrunde gebracht. Sie streicht sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht und schmiert für die Tochter auf ihrem Schoß noch mal dick Butter auf die Brezel. Sie ist 30, dies ist schon ihr zweites Leben.
Früher, erzählt sie, war sie Schneidermeisterin in der schwäbischen Modestadt Metzingen. Da kamen Touristen aus Japan und aus den USA, sie trug Designerklamotten und teures Make-up. Eines Tages aber hat es Isabele Heß auf eine Faschingsparty nach Trossingen verschlagen, dort lernte sie ihren Mann kennen. Kein Modeschnösel, kein Designertyp, sondern einer, der anpacken konnte. Da konnte sie sich ein anderes Leben vorstellen, ein geerdeteres.
Manche der Frauen am Tisch erfahren heute zum ersten Mal vom Beruf der anderen. So weit ist das Vergangene jetzt weg, so unwichtig mittlerweile, dass Heß bisher gar nicht das Bedürfnis hatte, darüber zu reden. Klar komme sie heute manchmal zu kurz, sagt sie. Aber welche Mutter kennt das nicht?
Die meisten hier sind Millennials, wie man die 25- bis 40-Jährigen nennt. Sie sind aufgewachsen mit den Spice Girls und der Bravo, mit dem Internet und der Möglichkeit, in Frankreich oder in den USA zu studieren, mit dem Glauben an das Recht auf Selbstverwirklichung. Vor allem mit dem Gefühl, gleich viel wert zu sein wie die Jungs.
Oft wird dieser Generation vorgeworfen, selbstbezogen und individualistisch zu sein. Diese jungen Bäuerinnen aber haben sich für ein Leben entschieden, in dem sie ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellen müssen. Ihr Alltag ist anders als der junger Städterinnen, die ihr Kleinkind frühmorgens in die Kita bringen und dann zum Meeting hetzen. Hier haben die Frauen auch alle Hände voll zu tun, doch sie hetzen nirgendwo hin. Sie haben beide Beine fest auf dem Bauernhof.
Keine käme auf die
Idee, die Landfrauen-Gruppe für eine feministische Gruppe zu halten.
Doch eigentlich sind sie genau das. Neulich haben sie eine
Finanzberaterin eingeladen, die über soziale Absicherung für Frauen auf
den Höfen gesprochen hat. Etwas, das kaum eine hat. Und ein andermal
informierte ein Bekannter die Frauen über Eheverträge. Bald soll ein
Mediator in die Gruppe kommen und erklären, wie sich Konflikte in den
Bauernfamilien so lösen lassen, dass nicht immer gleich einer aufspringt
und rausgeht.
Neudeutsch würde man vielleicht sagen, Hanna Mink und Esther Messner wollen die jungen Frauen auf dem Land miteinander vernetzen. Ihre Fähigkeit wecken, Probleme anzusprechen, und ein Bewusstsein schaffen für ihr Recht auf Mitsprache auf ihren Höfen.
Es erleichtert, mit Frauen zu reden, die das eigene Leben kennen
Esther Messner ist mit 43 Jahren die Älteste in der Runde.
Sie hat fünf Kinder, ihr jüngster Sohn Ben ist anderthalb. Manchmal schaut sie
aus dem Fenster auf die große Holzterrasse, die sie vor einigen Jahren gebaut
hat, und fragt sich: "Wozu habe ich die eigentlich?" Wenn das Wetter im Sommer
schön ist, müssen die Bauernfamilien heuen, ernten. Und wenn sie einmal grillen
wollen, kalbt sicher eine Kuh. Die Frauen lachen, als Esther Messner das erzählt.
Keine wirkt betroffen. Es erleichtert eher, mit Frauen zu reden, die das
kennen. Die wissen, wie bleischwer müde man am Abend sein kann, wenn man aus
dem Stall kommt.
Esther Messner hat den Hof ihres Mannes in eine neue Zeit mitgenommen. Das würde sie in ihrer bescheidenen Art nicht so sagen. Doch es war nicht die Idee ihres Mannes, Führungen für Schulklassen anzubieten. Es war ihre Idee und sie ist bis heute erfolgreich. Wenn dann einer im Hof fragt, warum es stinke, sagt sie: "Bravo, du hast unsere Kühe schon bemerkt."
Mit der Zeit hat Esther Messner gelernt, Kritik
selbstbewusst zu begegnen. Doch anfangs habe sie viel gehadert, sagt sie. Zum
Beispiel damit, sich als Bäuerin zu sehen. Immer habe sie gedacht: Mein Mann
ist doch der Bauer, nicht ich. Heute stelle sie sich den Kindern bei den
Führungen als "Esther Messner, die Bäuerin" vor. Auch das mit dem Haushalt
hatte sich Messner anders vorgestellt, gleichberechtigter. Erst einige Jahre
und Gespräche später hätten sie und ihr Mann einen gemeinsamen Weg gefunden,
sagt sie. Ab und zu komme jetzt eine Putzkraft. Und heute sei den Männern auf
dem Hof auch klar, dass jeder nach dem Essen den eigenen Teller wegräume.
Die Metoo-Debatte beschäftigt auch die Frauen hier
Der Haushalt auf einem großen Hof ist kein Wirtschaftswunderwohnzimmer, nichts, das man nebenher erledigen kann, sondern ein wesentlicher Teil des Familienunternehmens. Das ist ein Leben, bei dem Essen einen sehr hohen Stellenwert hat, denn wer im Stall arbeitet, isst einen ganzen Laib Brot alleine. Ein Leben, in dem vieles davon abhängt, wie stark und wie clever die Frau ist.
Früher, sagt Hanna Mink, habe man als Frau auf dem Hof ja nicht einmal geglaubt, ein Recht auf eigene Gedanken zu haben. Und manche der Männer scheinen in dieser alten Zeit noch immer festzuhängen. Sie hätten immer bei ihren Müttern gewohnt, der Alltag scheine ihnen kaum anders denkbar. "Da schmierst du ein Brot und der Mann schüttelt den Kopf, und sagt: Aber die Mama hat’s immer so gemacht."
Mink hat einmal in der Stadt gelebt. Damals, als sie eine Stelle als Physiotherapeutin hatte und nur für sich alleine verantwortlich war. Sehnt sie sich manchmal nach dieser Freiheit? Hätte sie dort bleiben sollen? Sie schüttelt entschlossen den Kopf. Sie habe halt immer schon einen Bauern heiraten wollen, sagt sie.
Manche erzählen von Männern, die Grenzen nicht respektieren
Neulich hat Hanna Minks Mann zu ihr gesagt, jetzt brauche man noch eine Tochter, bisher hat das Paar zwei Söhne. Denn Hanna solle ja später eine Hilfe im Haushalt haben. Hier gibt es feste Spuren, in denen man fahren soll – wie jene auf der Trossinger Loipe, der bekannten Skilanglaufstrecke auf der Baar, auf der man unendlich immer dieselbe Runde fahren kann.
Weshalb lässt sich so eine von einem Mann etwas vorschreiben? Hanna Mink stutzt kurz, als sei sie das noch nie gefragt worden. Die Strukturen auf den Bauernhöfen könne man nicht von heute auf morgen ändern, sonst breche alles zusammen, sagt sie. So wie es sei, funktioniere es nun einmal.
Mink und ihre Freundinnen haben alle im Fernsehen die Metoo-Debatte verfolgt, gehört, was diese schönen Hollywood-Schauspielerinnen erzählten. Messner hat gedacht: Die wirkten immer so selbstbewusst. So, als sei ihr Leben perfekt. Gut, dass sie endlich reden. Die Bäuerinnen diskutieren erregt, wie in vielen Frauenrunden zu diesem Thema in den vergangenen Monaten. Manche finden, da werde wieder viel Wind um nichts gemacht, schließlich gehe es doch allen gut, andere erzählen von Männern, die Grenzen nicht respektieren.
Doch da hat der kleine Ben gesehen, wie Baby Mia eine Flasche bekommen hat. Warum nicht er? Im Wohnzimmer wird es lauter. Die Mütter sprechen mit ruhiger Stimme weiter, ziehen nebenher zwei streitende Kinder auseinander, eine bereitet eine Flasche mit Milch zu.
Esther Messner hat noch mal Kaffee gemacht. Da sind ganz neue Fragen: Ist mir Unrecht geschehen?
Muss ich das wirklich tun? Manchmal merkt man etwas zu spät. Dann, wenn man
schon blöd über einen anzüglichen Kommentar von einem Mann gelacht hat, wo es
gar nichts zu lachen gab. Oder wenn eine andere Frau sagt, was ihr passiert
ist. Mit einem alten Grabscher zum Beispiel auf der Fasnet, von denen es hier
bei jedem Ball welche gibt.
Solche Gedanken haben Frauen hier noch nicht lange. Keine
ihrer Mütter oder Großmütter hätte sich vorstellen können, so etwas zu sagen,
sich mit anderen zu treffen, über sexuelle Gewalt und Gleichberechtigung zu
sprechen.
Mink schaut auf die Uhr. Jetzt sind es schon fast drei Stunden, die sie sich für die Frauenrunde genommen hat. Zu Hause fällt es auf, wenn sie so lange weg ist. Draußen im Hof haben die Wolken der Sonne kurz aufgemacht. Windstille.
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