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Enkel erinnert sich: Als Erich Mielke meinen Großvater erschoss

An die Zeiten der kommunistischen Gewaltherrschaft hat Manfred Ziche (80) viele üble Erinnerungen. Zwei geliebte Menschen verlor er unter der Ideologie des Kommunismus. Eine Ideologie, die sich immer als die friedlichere und menschlichere präsentierte.

Er steht vor dem Kino Babylon, am Rosa Luxemburg Platz. Manfred Ziche hat sich herausgeputzt. Feiner Anzug, gute Krawatte. Er wirkt unruhig. „In diesen Teil der Stadt komme ich nicht gern", erzählt er. Es ist der Ort, an dem der SED-Verbrecher und Ex-Stasi-Chef Erich Mielke am 9. August 1931 seinen Großvater, den Hauptkommissar Paul Anlauf, hinterrücks erschoss.

Die Gegend hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Anfang der 30er-Jahre war das Viertel um den Bülowplatz (heutiger Rosa-Luxemburg-Platz) eines der übelsten in ganz Berlin. Seit Monaten tobten Auseinandersetzungen mit Kommunisten und der Polizei. 1931 befehligte Erich Mielke, der spätere Chef des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) den Parteiselbstschutz der kommunistischen Partei (KPD). Eine paramilitärisch organisierte und bewaffnete Gruppe, die auch vor Mord nicht zurückschreckte. So auch am 9. August 1931 in der Weydinger Straße, Ecke Bülowplatz.

Die Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenk sind gerade auf Patrouille. Plötzlich krachen Schüsse! Beide Polizisten sacken tödlich getroffen zusammen. Die Pistole, aus der der Schuss kommt, ist eine Offizierspistole in den Händen von Erich Mielke. Er und sein Helfer fliehen und lassen die beiden Polizisten blutüberströmt zurück.

Mutter und Tante Ziches wohnten unweit vom Bülowplatz entfernt und bekamen mit eigenen Augen mit, wie ihr Vater, Paul Anlauf, in Ausübung seiner Pflicht von fanatischen Radikalen niedergemeuchelt wurde. Beide Komplizen des Attentates Max Matern und Erich Ziemer wurden bereits 1933 verurteilt; Matern zum Tode und Ziemer zu 15 Jahren Zuchthaus. Mielke schaffte es 1932 in die Sowjetunion.

Anlauf und Lenk wurden mit Ehrengarde beerdigt. Die Uniform Anlaufs, samt kugeldurchbohrtem Polizei-Tschako (französischer Polizeihut) und blutdurchtränktem Portemonnaie, übergab man den beiden nun verwaisten Töchtern. Sogar ein Denkmal aus Bronze wurde später vor die Volksbühne gesetzt, jedoch 1945 von der KPD-Anhängern wieder entfernt.

Manfred Ziche wohnte zu dieser Zeit mit seinen Eltern im Prenzlauer Berg. Der Vater - auch ein Polizist - war arbeitslos. Sechs Wochen nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands ritten Anhänger der KPD in die Wohnung ein, stahlen das wenige Hab und Gut und nahmen seinen Vater wegen des Verdachtes, ein Anhänger des Nazi-Regimes zu sein, fest.

Ziche sah ihn nie wieder. Später erfuhr er, dass dieser von den Sowjets interniert und in einem Speziallager erschlagen wurde. Ziche und seine Familie flüchteten daraufhin zur Großmutter nach Fridenau, um den russischen Repressalien zu entkommen.

Als Erich Mielke 1945 aus der Sowjetunion zurückkehrte, wurden die Ermittlungen gegen ihn von den sowjetischen Besatzungsbehörden ausgesetzt. Im Westteil der Republik blieb der Haftbefehl jedoch bestehen.

Manfred Ziche trat 1951 in den Polizeidienst ein und lebte 40 Jahre lang mit dem Gedanken, den Mörder seines Großvaters auf freiem Fuß zu wissen. „Jedes Mal, wenn ich daran dachte, wurde mir schlecht." Er selbst hatte keinen Einfluss auf die Strafverfolgung, denn Mielke entzog sich beim Klassenfeind DDR seiner Zuständigkeit. „Ich habe eines Tages mal zu meinem Kommandeur gesagt, dass ich dafür sorgen werde, Mielke seiner gerechten Strafe zuzuführen. Eines Tages, meinte ich, ist Deutschland wiedervereinigt!"

Und damit sollte er recht behalten. Als am Abend des 9. November in der Bornholmer Straße die Schlagbäume hochgingen, ergriff Manfred Ziche die Gelegenheit. Wie praktisch, dass gleich gegenüber von seinem Wohnhaus der damalige West-Berliner Generalstaatsanwalt residierte.

Ziche unterrichtete seinen Nachbarn über den seit 1931 bestehenden Haftbefehl gegen Mielke. Dieser brauchte auch nicht lange die Unterlagen über das Verbrechens herauszusuchen und setzte den Befehl zur Vollstreckung aus.

1991 erhob die Staatsanwaltschaft Berlin dann endlich Anklage wegen Mordes. Als Nebenklägerin trat die Schwester seiner mittlerweile verstorbenen Mutter auf. Selbst war Ziche nur einmal beim Prozess dabei. In seiner Dienstuniform. Die Beweislage war zu schwach, um Mielke des Mordes zu überführen. Der Rechtsanwalt von ihm rieb sich bereits die Hände.

Doch Ziche hatte noch einen Trumpf in der Hand: den Polizei-Tschako und das blutverschmierte Portemonnaie, welches seine Familie 70 Jahre lang aufbewahrte. Nach kriminaltechnischen Untersuchungen der Beweisstücke konnte Mielke des Mordes überführt werden. Ergebnis: sechs Jahre Haft, von denen er aber nur zwei absaß.

Manfred Ziches Mühen waren erfolgreich. „Ich hatte mir das zur Lebensaufgabe gemacht. Nicht aus Rache, sondern aus meinem Empfinden für Gerechtigkeit. Wegen mir stand Mielke vor Gericht und wurde rechtskräftig verurteilt"

Am Kino Babylon steht: „Draußen ist Sommer". Doch das Wetter zeigt sich grau. So grau, wie die Erinnerungen Ziches an diesen Platz.

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