Die freie Partnerwahl ist für die meisten Menschen hierzulande Realität. Nur wenige werden in von ihren Eltern gestiftete Ehen geschickt. Solche Fälle sorgen, wenn sie öffentlich gemacht werden, für Empörung: Selbstbestimmung, das Ideal der romantischen Liebe - hierum wurde schließlich lange gekämpft und gestritten.
Vor einigen Jahren verfasste Dr. Arnold Retzer die Streitschrift: „Lob der Vernunftehe", in welcher er für mehr Realismus in der Liebe und der Partnerwahl eintritt. Ein Gegenentwurf zur Haltung, irgendwo würde das Schicksal die Liebe des Lebens schon parat halten, man müsse nur lange genug suchen und darauf warten. O-Ton: „Die Ehe ist eine auf Vernunft gründende Lebensform, die wir aus Liebe eingehen." Kluger Mann, kluger Satz. Nicht kompatibel mit schicksalsorientierter Rasterfahndung nach dem Seelenverwandten im Internet. Eher ein Beispiel erfolgreicher wachstumsorientierter Partnersuche, wenn aus Respekt und Fürsorge, Zuneigung, Freundschaft und schließlich Liebe entsteht.
Partnersuche ist zu individuell, um den einen richtigen Weg propagieren zu können, der für Jeden gangbar ist. Die Liebe auf den ersten Blick beschwören einige Paare als Grundstein ihrer Beziehung. Möglich ist sie. Sie ist aber selten. Die Erfolgschancen stehen rein statistisch besser, sich am Arbeitsplatz langsam in den sympathischen Kollegen zu verlieben, als in einer Fußgängerzone von Amors Pfeil getroffen zu werden.
Solche Zahlen und auch die Erfolgsgeschichten von glücklichen Paaren in früheren Zeiten oder aus anderen Ländern, in denen die Eltern die Partnersuche der Kinder steuern, lassen Raum für Gedankenspiele: Was wäre, wenn wir uns verkuppeln lassen würden? Wenn unsere Eltern, die nun immerhin eine Menge über uns wissen, besser entscheiden, könnten als wir selbst, was gut für uns ist? Immerhin haben sie in der Regel mehr Beziehungserfahrung und wissen, wie wir in Krisensituationen reagieren. Allerdings haben sie auch eine eigene Agenda, die nicht beim löblichen „das Kind soll glücklich sein" bleiben muss, vielleicht soll es ja auch mal „was Besseres werden" oder genug Geld verdienen, um ein Mehrgenerationenhaus zu bauen. Sehr menschlich und eher Vernunft gesteuert als von der Libido.
In Dänemark, einem Land, das in Europa beispielsweise bei der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare Vorreiter in den Rechten der freien Partnerwahl und Ausgestaltung der Partnerschaft war, stammt ein TV-Format, das die Diskussion anheizt: „Gift ved foerste blik". Die deutsche Lizenz als „Hochzeit auf den ersten Blick" wurde Berichten zufolge an die Sat1/Pro7-Gruppe verkauft. Im Internet ist die Originalsendung in der dänischen Originalfassung zu sehen. Das hat Unterhaltungswert, was vor allem an den charmanten Protagonisten liegt. Ohne das Ende zu verraten nur soviel: Nicht jedes Paar ist unglücklich, sich auf das Experiment und die Zuschaustellung eingelassen zu haben. http://www.dr.dk/tv/se/gift-ved-foerste-blik
Und tatsächlich hat „Gift ved foerste blik" nichts mit „Herzblatt" zu tun. Die Kandidaten sehen und treffen sich zum ersten Mal beim Standesamt zur Unterschrift vor Zeugen und Kamerateam. Die Singles wurden von Experten aus verschiedenen Bereichen der Paarforschung verkuppelt. Die „Boy meets Girl"-Story wird zugunsten der Frage „Happily ever after?" gestrichen. Wenn es mit den Beiden nicht klappt, wird die Ehe wieder geschieden. Kein Stress, kein böses Blut - und gute Quote.
Ob alles, was denkbar ist, auch ein TV Format werden soll, hat Stephen King literarisch in „Running Man" beantwortet. Darum soll es hier nicht gehen. Vielmehr um jenes offensichtlich vorhandene und vielleicht in jüngster Zeit stärker werdendes Bedürfnis, Verantwortung abzugeben.
Viele Singles leiden unter Bindungsproblemen; Je länger sie nach einem Partner suchen, umso größer werden sie oft. Überall, so scheint es, könnte ein noch besserer Partner warten. Statt mit einem Kontakt daran zu arbeiten, was gemeinsam möglich wäre, wird lieber der Kandidat getauscht. Der Volksmund sagt dazu: „Einen Fehler gegen einen anderen tauschen." Doch weil sich das Verliebtsein so toll anfühlt, erheblich toller jedenfalls als der erste Krach um die Einrichtung der gemeinsamen Wohnung, der leider häufig zum Rückzug führt, empfinden einige Singles dieses Wechselspiel sogar als Beleg des romantischen Ideals.
„Es muss gleich Klick machen, sonst wird das nichts", höre ich oft von Partnersuchenden, wenn sie enttäuscht vom ersten (und letzten) Date mit einem Kontakt kommen. Und zur Bestätigung führen sie an, dass Studien belegt hätten, dass wir schließlich binnen weniger Augenblicke entscheiden, ob wir jemanden anziehend finden. Wozu mehr Zeit investieren also, wenn der Blitz nicht eingeschlagen hat? Sind doch auch so viele andere Kandidaten da draußen. Alles richtig. Doch was hier gemessen wird, ist sexuelle Anziehungskraft. Wir verfügen nicht (zumindest wurde er noch nicht gefunden) um einen in uns installierten Test über das gemeinsame Beziehungspotential: Auch wer sich gut riechen kann und perfekt unterschiedliche Erbanlagen mischen könnte, wird nicht zwingend glücklich miteinander bleiben. Die Evolution hat Romantik nicht im Projektplan.
Sollen wir uns also künftig verkuppeln lassen? Sehen wir das Glück nur, wenn jemand unseren Blick darauf lenkt? Nein, ich denke nicht.
Niemand weiß besser, was gut für uns ist, als wir selbst. Dennoch treffen wir falsche Entscheidungen. Und die wollen wir nicht anderen überlassen. Scheitern gehört dazu. Ebenso wie die Fähigkeit, daraus zu lernen. Wer sagt: „Ich gerate immer an die Falschen!", übernimmt jedenfalls nicht die Verantwortung für die eigene Partnerwahl. Ein erster Schritt könnte sein, weniger häufig Fehler zu tauschen als mehr in Problemlösung zu investieren. Nicht zu früh aufzugeben und weiterzusuchen; stattdessen sich und dem neuen Kontakt eine zweite und auch dritte Chance zu geben.
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