Er designt für Puma und sackt reihenweise Preise ein. Warum
fühlt sich Hussein Chalayan manchmal trotzdem wie ein Sklave?
Von Ellen Stickel
Mit diesem Designersofa kann Hussein Chalayan so überhaupt nichts
anfangen. Er rutscht gestikulierend auf dem schwarzen Leder hin und her
und hängt oft mehr über der kantigen Armlehne, als dass er sitzt.
Wahrscheinlich wäre er jetzt bedeutend lieber in seinem Atelier und
frickelte an neuen Entwürfen herum, statt sich im Hamburger Stilwerk den
Fragen der Journalisten zu stellen. Hilft aber nix, schließlich bekommt
er am Abend den renommierten Lucky Strike Designer Award verliehen. Der
geht seit 1991 an stilprägende Kreative für ihr Lebenswerk. Chalayan
ist 42.
Wenn man bedenkt, was der Mann mit den melancholischen Augen und den
kurz geschorenen Haaren schon alles auf die Reihe gekriegt hat, ist ein
Preis fürs Lebenswerk durchaus nicht übertrieben. Hussein Chalayan
sorgte schon 1993 mit seiner Abschlusskollektion am Central Saint
Martins College in London für Aufsehen. 1999 wurde er zum ersten Mal zum
British Designer of the Year ernannt, es folgten zahlreiche gefeierte
Kollektionen, Kunstausstellungen, Kurzfilme, Chefdesignerposten und noch
mehr Preise. Björk und Tilda Swinton trugen seine Entwürfe, er
kollaborierte unter anderem mit Antony Hegarty - und ist seit mehr als
vier Jahren Chefdesigner bei Puma. Eine Karriere, die fassungslos macht.
Und die Chalayan notdürftig mit seiner Herkunft zu erklären versucht -
Hussein Chalayan: In meiner Heimat Zypern legt man großen Wert auf
die Ausbildung. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir eine Insel
sind, und dazu eine Insel mit großen Problemen bis zu den 1970ern. Wir
Kinder mussten Instrumente lernen und Sprachen, alle meine Cousins
studierten in Amerika, ich ging in London zur Schule, wo mein Vater
lebte. Dort gab es Menschen, die einem zeigten, was man mit seinen
Fähigkeiten anfangen kann. Ich verdanke der Ausbildung in England
praktisch alles.
uMag: Gab es über Ihre Berufswahl Familiendiskussionen?
Chalayan: Natürlich. Meine Eltern kannten einfach niemand anderen,
der so einen Job hatte. Aber irgendwann sahen sie, dass es halbwegs
lief.
uMag: Daran, dass es dann nicht nur halbwegs, sondern sogar
ziemlich gut lief, war sicher auch das Central Saint Martins College
schuld. Es gilt als die Mode-Talentschmiede ...
Chalayan: Für mich war die Schule jedenfalls genau richtig. Es ist
eine Kunsthochschule, und deshalb sind Designer, die von Saint Martins
kommen, inspirierter sind als solche von einer reinen Modehochschule.
Man ist mehr Einflüssen ausgesetzt, das fängt schon in der Cafeteria an:
Wer da alles reinkommt, die Leute aus dem Kunstbereich, die Grafiker,
die Modeleute, total unterschiedliche Charaktere! Wir hatten damals auch
nie Geld, das zwingt dich dazu, innovativ zu sein und dir was
auszudenken, wie du deine Ideen umsetzen kannst. Heute kommen viele
Studenten aus reichem Haus, aus Fernost oder so, und leben in fetten
Wohnungen - das hat doch mit Studieren nichts zu tun.
uMag: Wie kommt man eigentlich als Freigeist mit den ganzen Restriktionen klar, die einem das Modebusiness aufdrückt?
Chalayan: Das ist echt ein Problem, man ist ein Sklave des
Kalenders. Aber darauf habe ich mich ja sehenden Auges eingelassen. Und
natürlich ist die Mode ein sehr untreues Geschäft, manchmal fühlt man
sich dabei wie auf der Reise nach Jerusalem. Für das größte Problem
halte ich aber, dass es in der Mode - anders als in der Architektur oder
der Kunst - keinen ernsthaften Diskurs gibt. Wenn in der Kunstszene
plötzlich ein Promi auftauchte und sich als Künstler bezeichnete, würde
das niemand respektieren. In der Mode geht das. Das finde ich echt
absurd. Ein echter Designer ist ein Profi oder zumindest jemand, der
platzen würde, wenn er sich nicht auf diese Art ausleben könnte.
uMag: Wahrscheinlich wird Mode nicht für Kunst gehalten, weil schließlich jeder Kleider trägt ...
Chalayan: Ja, und Leute, die Kleider tragen, sind nunmal die
modische Realität. Ich musste auch erst lernen, mir über meine
Käuferzielgruppe Gedanken zu machen. Zu Beginn musste ich meinen Stil
entwickeln, nun geht es darum, mehr über meine Konsumenten
herauszufinden. Was sie mögen, wie sie meine Sachen tragen, ob sie
ähnliche Sachen noch einmal kaufen, was sie essen, wie sie ausgehen. Ich
will wissen, wer sie sind.
uMag: Das klingt schon fast ein bisschen unheimlich ...
Chalayan: Naja, ich stalke ja niemanden auf Facebook oder so.
(lacht) Aber man braucht Feedback. Es geht schließlich in der Mode um
das Teilen von Emotionen. Wenn du das nicht hinkriegst, kannst du gar
nichts erreichen.
Chalayan kriegt das mit dem Gefühle wecken ziemlich gut hin. Seine
Shows sind nie bloße Kleiderschau, es stecken immer kulturelle,
politische oder gesellschaftliche Konzepte dahinter, die durch Effekte
extrapoliert werden. Mit seiner Kollektion "Afterwords" thematisierte er
beispielsweise die steigende Zahl an Flüchtlingen - die Models
transformierten auf dem Laufsteg Sofas zu Kleidern und Koffern, aus
einem Holztisch wurde ein spektakulärer Zieharmonikarock. Hussein
Chalayan liebt es, mit neuen Techniken zu experimentieren. Berühmt
wurden seine "Airplane"-Kleider aus Flugzeugmaterial, die sich per
Knopfdruck modifizieren ließen, und seine futuristischen LED-Kleider.
Chalayan arbeitet mit einer Leichtigkeit interdisziplinär, die
ihresgleichen sucht. Zahlreiche seiner Modelle wurden von Museen
gekauft. Anders als viele seiner Kollegen legt Chalayan aber keinen Wert
darauf, als Avantgarde bezeichnet zu werden. Für ihn geht es einfach um
Kleidung. Und tatsächlich finden sich zwischen den aufsehenerregenden
Stücken viele höchst tragbare Kleider, Mäntel, Hosen.
uMag: Viele Ihrer Kollektionen haben einen politischen oder anthropologischen Hintergrund. Ist das nicht schwer zu vermitteln?
Chalayan: Wenn man in der Mode mit Themen arbeitet, die
unkonventionell sind, glauben die Leute immer, das sei total schwierig.
Aber eigentlich geht es mehr darum, dass ich mich durch solche Themen
inspirieren lasse. Der Zuschauer muss sich nicht mal Gedanken machen, es
reicht, wenn er sich meine Sachen ansieht und sagt: Mag ich, mag ich
nicht. Der Prozess ist hauptsächlich für den Designer wichtig. Klar
werde ich immer danach gefragt, und deshalb rede ich auch darüber, aber
am Ende des Tages sind es die Klamotten, die zählen. Nur musste ich eben
einen thematischen Prozess durchlaufen, um genau diese Kollektion
abzuliefern.
uMag: War der Technologieaspekt ein Grund dafür, die Stelle als Chefdesigner bei Puma anzutreten?
Chalayan: Ja, definitiv! Ich hatte zuvor vor allem bei Luxusbrands
gearbeitet, und ich war gespannt, welchen Einfluss Puma auf meinen
Geschmack haben würde. Die Arbeit dort hat viel Spaß gemacht, aber ich
werde bald einen Schlussstrich ziehen und wieder mehr an meiner eigenen
Linie arbeiten.
Chalayan hat jetzt dieses schelmische Lächeln aufgesetzt, das
bedeutet: Na, war das ein schöner Infobrocken? Er ist Profi durch und
durch, doch zugleich merkt man an jedem Blinzeln, jeder Geste, wie
wichtig ihm das ist, was er tut. Auf diesem viel zu großen Ledersofa
sitzt ein Getriebener, ein Künstler. Der aber zugleich bodenständiger
nicht sein könnte. Eine zukunftsweisende Kombination.
uMag: Sie werden manchmal als geheimnisvoll bezeichnet. Eine Idee, warum?
Chalayan: Ach herrje, echt? Die Leute vergeben gerne Labels.
Vielleicht weil ich mein Leben nicht nach außen trage oder mich in
meiner Wohnung fotografieren lasse. Ich nehme meine Arbeit wichtig, aber
ich wollte nie Mode machen, um ein Promi zu werden, zu so einer
Einstellung fehlt mir der Zugang. Ich bin froh, dass es so funktioniert
und ich nicht diesen üblichen Fashionzirkus mitmachen muss - mit
zickigen Stylisten rumhängen, auf alle Partys gehen, alle Journalisten
kennen und mit ihnen in Urlaub fahren. Die Mode wird von Beziehungen
beherrscht, und wenn man daran keinen Anteil hat, kann man sich ganz
schön außen vor fühlen. Dieses System finde ich einfach nur dumm.
Checkbrief
NAME Hussein Chalayan
GEBOREN IN Nikosia, Zypern
STUDIERTE am Central Saint Martins College in London
VERGRUB seine Abschlusskollektion mehrere Wochen, bevor er sie halb verrottet auf den Laufsteg brachte
SOLLTE eigentlich Architekt werden
IST DERZEIT Kreativdirektor bei Puma
VERTRAT 2005 mit seinem Kurzfilm „Absent Presence“ die Türkei auf der Biennale in Venedig
www.husseinchalayan.com
Original