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Am Steuer angekommen

"Das ist ein historischer Tag", sagte Latifa al-Shaalan, Mitglied des Parlaments, als die Entscheidung bekannt wurde. Jahrzehnte kämpften Frauen in Saudi-Arabien gegen das Verbot. (Foto: OH)

Jahrzehntelang galt in dem arabischen Land ein Fahrverbot für Frauen, manche kamen gar in Haft, weil sie sich darüber hinwegsetzten. Damit ist es künftig vorbei: Von Mitte 2018 an sollen Frauen Auto fahren dürfen, heißt es in einem königlichen Dekret.

Spöttisch beobachtet sie den besorgt wirkenden Mann im Rückspiegel, den sie zum Flughafen fährt. "Wir sind angekommen, lieber Chauffeur. Komm gut heim", sagt die Fahrerin in der Karikatur, die derzeit im Netz kursiert. Sie lässt erahnen, welche Umwälzungen das Ende des Frauen-Fahrverbots in Saudi-Arabien für das konservative Königreich mit sich bringt: Während die Frauen das Dekret von König Salman als historisch feiern, das ihnen bald Führerscheine zugesteht, müssen Tausende Chauffeure aus Indien oder Bangladesch um ihren Job fürchten.

Seit Jahrzehnten kämpfen Frauen in Saudi-Arabien gegen das Verbot, einige kamen deshalb sogar ins Gefängnis. Umso emotionaler reagieren selbst Politikerinnen wie Latifa al-Shaalan, Mitglied des beratenden Parlaments, auf die Entscheidung, von Juni 2018 an auch Frauen ans Steuer zu lassen. Im Gespräch mit dem Fernsehsender Al-Arabiya kann sie ihre Tränen nicht zurückhalten: "Das ist ein historischer Tag, und ich kann keine Worte finden, die meine Gefühle und die von Tausenden saudischen Frauen beschreiben."


Das Fahrverbot sei wie ein riesiger Schneeball gewesen, der immer größer wurde, je länger man gewartet habe mit der Abschaffung. "Immer gab es diese eine peinliche Frage: 'Warum dürfen Frauen nicht Auto fahren?' Alle Argumente, mit denen wir unser Land verteidigen konnten, waren hinfällig, weil wir davon selbst nicht überzeugt waren." Nun sollen die zuständigen Ministerien binnen 30 Tagen berichten, anschließend sollen neue Regeln gefunden werden, die mit islamischem Recht in Einklang stehen, wie es in dem königlichen Dekret weiter heißt.

Al-Shaalan hatte die niedrige Beschäftigungsquote von Frauen in ihrem Land kritisiert und das Fahrverbot als einen Grund bezeichnet. Ende 2016 lag die Arbeitslosigkeit unter Frauen in Saudi-Arabien bei 34,5 Prozent, wie aus dem Jahresbericht des saudischen Unternehmens Jadwa Investment hervorgeht. Nur 5,7 Prozent der Männer waren demnach ohne Arbeit. Nun werde sich viel verändern, glaubt sie, vor allem für die Beschäftigung von Frauen im privaten Sektor. Viele Frauen hätten die Hälfte ihres Gehalts für einen privaten Fahrer ausgeben müssen, sagt sie. Nun erhoffe sie sich, dass es sich für mehr Frauen lohnt, arbeiten zu gehen. Das dürfte ein wesentlicher Beweggrund für die Reform sein, die weithin Kronprinz Mohammed bin Salman zugeschrieben wird. Al-Shaalan ist sich sicher, dass das aufgehobene Fahrverbot erst der Anfang von etwas Neuem ist. Der Kronprinz hatte zuvor bereits die Rechte der Religionspolizei stark beschnitten und die Vormundschaft der Männer über die Frauen eingeschränkt.

Doch es gibt keinen Sieg ohne Widerstand. Zwar hat laut der amtlichen Nachrichtenagentur SPA die Mehrheit der Kleriker im vom König ernannten Höchsten Rat dem Edikt zugestimmt, doch viele fürchten, dass sich die Geschlechtertrennung zunehmend auflöst. "Was passiert, wenn sie Öl wechseln müssen oder einen Unfall haben?", fragt ein Internetnutzer per Videobotschaft. "Dann muss sie mit dem anderen Geschlecht interagieren." Viele saudische Männer posten auf Twitter unter dem Hashtag "Fahr, aber ramm mich nicht" Fotos von überschlagenen Autos, Falschparkern und anderen schweren Unfällen. Sie glauben, dass die Straßen nun noch unsicherer werden. Tatsächlich gehört die Zahl der Verkehrsunfälle in Saudi-Arabien zu den höchsten weltweit - doch das geht bislang ausschließlich auf das Konto der fahrenden Männer im Königreich.

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