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Haben wir genug Strom für Elektromobilität?

Was passiert mit unserem Stromnetz, wenn alle Autos an die Steckdose müssen?

Wenn alle aufs Elektroauto umsteigen, kann Deutschland den Stromverbrauch dann überhaupt noch decken? aio hat nachgerechnet - mit erstaunlichem Ergebnis.
Modellrechnung zum Stromverbrauch

Skeptiker glauben, in Deutschland gingen die Lichter aus, sobald alle Autos mit Strom fahren - oder auch nur die eine Million Elektroautos, die die Bundesregierung mithilfe der Umweltprämie erreichen will. Der Stromverbrauch, den die Elektromobilität erzeuge, sei zu hoch, zumal bis 2022 die verbleibenden sieben Atomkraftwerke vom Netz gehen.

Machen wir eine Modellrechnung. Grundüberlegung: Ein Elektroauto hat heute durchschnittlich einen Stromverbrauch von 20 Kilowattstunden (kWh) auf 100 Kilometer - oder 0,2 kWh pro Kilometer. Die durchschnittliche Fahrleistung pro Jahr liegt bei 14.000 Kilometern.

Sobald wir eine Million Elektroautos auf den Straßen haben, ergibt das einen zusätzlichen Stromverbrauch von 2.800.000.000 kWh (1.000.000 x 0,2 x 14.000). Das sind anders ausgedrückt 2,8 Terawattstunden (TWh). Diese Größenordnung ist für den Vergleich mit den Produktionsmengen besser geeignet.

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 654 TWh erzeugt. Der Bedarf für eine Million Elektroautos würde also gerade mal 0,43 Prozent mehr Strom benötigen. Für diese Steigerung hätten die Kraftwerksbetreiber etwas mehr als drei Jahre Zeit. Die siebenstellige Zulassungszahl rein batterie-elektrisch angetriebener Pkw dürfte erst 2022 erreicht werden.

20 Prozent mehr Strom für 100 Prozent Elektro

Gehen wir noch einen Schritt weiter in der Modellrechnung. Laut Kraftfahrtbundesamt waren zum Jahresbeginn 2018 in Deutschland 46,5 Millionen Pkw angemeldet. Würden alle Pkw-Fahrer an die Steckdose müssen, läge der zusätzliche Stromverbrauch bei 130,2 TWh (46,5 Mio. x 0,2 x 14.000). Die aktuelle Strommenge müsste also um 19,9 Prozent steigen, um den Energiebedarf zu decken.

Auf den ersten Blick ist das ein enormer Sprung. Doch auf den zweiten Blick relativiert sich der Zuwachs. Im Zeitraum von 1990 bis 2017 stieg die produzierte Strommenge um knapp 19 Prozent:

(Quellen: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, Destatis, Wikipedia)

Deutschland hat eine derartige Steigerung also bereits schon einmal realisiert. Bis sämtliche Pkw in Deutschland elektrisch fahren, dürfte ein ähnlich langer Zeitraum vergehen.

Sollte die technische Entwicklung bei der Elektromobilität schneller voranschreiten, ist die Realisierung trotzdem nicht in Gefahr. Deutschland ist seit der Jahrtausendwende Stromexporteur. Es wird mehr Strom ans Ausland verkauft als importiert. Im vergangenen Jahr wurden acht Prozent der gesamten Stromproduktion abgegeben (52,4 TWH). Diese Strommenge stünde theoretisch für den Stromverbrauch der Elektromobilität zur Verfügung.

Stromverbrauch der Tankstellen entfällt

Der technische Fortschritt dürfte dafür sorgen, dass der Stromverbrauch in Elektroautos weiter sinkt und die Energierückgewinnung durch Rekuperation besser ausfällt. Außerdem schätzen Verkehrsexperten, dass die Zahl der Personenkraftwagen sinkt, sobald sich autonomes Fahren durchsetzt. Dann dürften mehr Autofahrer auf Carsharing oder Taxidienste setzen.

Und es verändert sich nicht nur die Art der Stromproduktion, sondern auch des Stromverbrauchs. Wenn alle Autos elektrisch fahren, können wir auf einen Großteil der bisherigen Infrastruktur für fossile Kraftstoffe verzichten.

Der Stromverbrauch der meisten Raffinerien sowie der aktuell 14.100 Tankstellen in Deutschland entfällt. Derzeit verbraucht eine Tankstelle pro Jahr rund 200.000 kWh für die Kraftstoffpumpen, Beleuchtung und die Kühltheken im Shop.

Das Elektroauto als Stromspeicher

Der Anteil erneuerbarer Energie beim Strommix ist von 3,5 Prozent im Jahr 1990 auf 33,0 Prozent im Jahr 2017 gestiegen:

Bis 2025 soll dieser Anteil auf 40 bis 45 Prozent und bis 2050 auf 80 Prozent steigen. Damit wird deutlich, wer die entstehende Lücke bei der Stromproduktion schließen soll.

Allerdings sind Windstärke und Sonnenstunden nur bedingt kalkulierbar. Hier fallen Produktion und Verbrauch der Strommengen zeitlich oft auseinander. Weht der Wind zu stark und es fehlen Abnehmer, werden Windräder aus dem Wind gedreht - eine große Verschwendung.

Hier sind Elektroautos Teil der Lösung. Die Zauberformel heißt V2G (Vehicle to Grid). Statt teure Pumpspeicherwerke zu bauen, fungieren die Batterien in Elektroautos als Stromspeicher. Ein Pkw steht durchschnittlich 90 Prozent des Tages. Ist er an eine Steckdose oder Ladesäule angeschlossen, kann tagsüber Energie in die Batterie fließen, die in den Abendstunden ans Stromnetz abgegeben wird. Die V2G-Technologie funktioniert umso besser, je mehr Elektroautos als Stromspeicher mitmachen - am besten irgendwann mal alle 46,5 Millionen.

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