Ich habe es mir auf dem Schleudersitz bequem gemacht. Schnell noch die Virtual-Reality-Brille festzurren, und dann kann es auch schon losgehen: Vor mir sehe ich das Cockpit des Bundeswehr-Kampfjets Tornado. Über Kopfhörer gibt mir ein Bundeswehrsoldat Anweisungen, welche Knöpfe ich drücken muss, damit der Jet startklar ist. Tatsächlich steht der Soldat aber direkt hinter mir.
Denn das hier ist keine VR-Simulation wie viele andere, die auf der Spielemesse Gamescom präsentiert werden, die diese Woche in Köln stattfindet. Der Schleudersitz, auf dem ich Platz genommen habe, gehört zum Gamescom-Stand der Bundeswehr, die hier Gamer als Rekruten gewinnen möchte. Weil ich selbst viel spiele, probiere ich einfach mal aus, wie die Bundeswehr Spieler wie mich anzusprechen versucht.
An der VR-Simulation fällt mir sofort auf: Im Vergleich zu den Jets aus dem Onlineshooter Battlefield ist die Grafik echt schlecht. Dafür kann ich mit meinen Händen jeden einzelnen Knopf im Cockpit bedienen. Heißt für mich: Luke zu, Triebwerk an, volle Kraft voraus ...
Was der Bundeswehr fehlt, sind IT-Fachkräfte. Seit es keine Wehrpflicht mehr gibt, muss die Armee wie jedes Unternehmen um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werben. Dass sie das auf der Gamescom versucht, liegt auf den ersten Blick nahe: Gamer beschäftigen sich oft stundenlang mit Gefechtstaktiken. Und mit Computern kennen sie sich in der Regel auch aus.
Und so stehen am Bundeswehr-Stand mehr als 13 Mitarbeiter in Uniform, zusammengepfercht auf einer kleinen Ausstellungsfläche, und versuchen, die nur spärlich vorbeischlendernden Messebesucher anzusprechen. Zu erleben gibt es neben dem Kampfjetsimulator einen Art Reaktionstest, bei dem Freiwillige auf eine Kunststoffmauer einschlagen müssen, sobald darauf ein Lichtpunkt erscheint. Es gibt auch einen langen, mit Tarnnetzen bedeckten Tisch mit sechs besonders stabilen Laptops, die, so versichert man mir, auch in Afghanistan eingesetzt werden. Dort können Besucher unter anderem ein Quiz lösen - doch mangels Freiwilliger klicken sich auch hier Soldaten durch die Fragen.
Schon auf dem Weg in die Messehallen hat mich an der U-Bahn ein Plakat der Bundeswehr begrüßt, das versucht, den Spielerjargon aufzugreifen. "Singleplayer oder Kamerad?" steht darauf. Im Großraum Köln hängen Hunderte weitere, auch mit Slogans wie "Pay2Win vs. echte Skills". Mit Pay2Win sind Bezahlinhalte in Spielen gemeint, die Spielerinnen und Spielern Vorteile verschaffen.
Bei der letzten Gamescom hatte die Bundeswehr mit ähnlichen Slogans geworben - und damit auf Twitter und in Medien polarisiert. Zu verharmlosend schien es vielen, Computerspiele so eng mit dem Dienst an der Waffe zu verknüpfen. Am Stand selbst, der damals großflächig und mit großen Fahrzeugen ausgestattet mitten zwischen den Spieleherstellern stand, sei hingegen alles ruhig gewesen, berichteten Beobachter. Auch an anderer Stelle stieß die Bundeswehr mit ihrer Präsenz auf Events für internetaffine Besucher auf Kritik: Nach einer Kontroverse im Vorjahr ließen die Veranstalter der re:publica 2018 keine Werbestände der Bundeswehr mehr zu.
Zwischen Verfassungsschutz und BKAAuf der aktuellen Gamescom präsentiert sie sich erneut - wenn auch deutlich kleiner als in den vergangenen Jahren. Der Stand schrumpfte von 300 Quadratmeter Ausstellungsfläche auf hundert, außerdem steht er nicht mehr mitten zwischen den Games-Ausstellern, sondern im Ausbildungsbereich der Messe im ersten Stock. Zwischen denen von Fachhochschulen, Mercedes-Benz, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt. Dort gibt es wesentlich weniger Publikumsverkehr.
Weil die Bundeswehr Nachwuchs im IT-Bereich sucht, sei sie dieses Jahr Teil im Jobs-und-Karriere-Flügel, sagt Kathrin Münker, Kommunikationsmanagerin der Gamescom. Auch die Bundeswehr gibt sich auf Nachfrage zufrieden über diesen Standort. "Wir sind jetzt bei 'Jobs und Karriere', um unsere Zugehörigkeit zu unterstreichen", sagt Oberleutnant Nils Feldhoff. Es ist nicht seine erste Gamescom, er arbeitet am Messestand der Bundeswehr schon seit mehreren Jahren. "Der neue Standort ist für die Legitimation und die Kommunikation der bessere Weg."
Umso wichtiger ist es, diejenigen, die sich hier hoch verirren, auf sich aufmerksam zu machen. Doch während nebenan Glücksräder rattern und Flipperautomaten blinken, wirkt der Bundeswehrstand mit seinen Tarnnetzen wie ein unauffälliger grau-grüner Klecks auf dem pinken Hallenteppich.
Im VR-Simulator des Kampfjets, in dem ich sitze, heulen inzwischen die Turbinen auf. Ich will losrollen, abheben ... und nichts passiert. Moment mal. Kann ich etwa im Bundeswehr-Flugsimulator nicht einmal fliegen? Das konnte ja schon die Spieleserie aus den Achtzigerjahren besser. Enttäuscht steige ich aus. Ähnlich sehen auch die anderen Besucher aus, die nach mir vom Schleudersitz steigen. Natürlich besitzt die Bundeswehr auch Simulatoren, die abheben können. Aber die hat sie halt nicht mitgebracht.