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Stadtwerke forschen an Sektorkoppelung

Mit einem Anteil von 36,1 Prozent am Bruttostromverbrauch haben die erneuerbaren Energien im Jahr 2017 einen neuen Rekordwert erreicht. Zum Heizen und für die Mobilität nutzen die Deutschen aber noch jede Menge fossile Brennstoffe. Auch die konstant hohe Braunkohleverstromung führt dazu, dass die Treibhausgasemissionen Deutschlands 2017 weiterhin auf hohem Niveau stagnieren.

Klimaschutzexperten fordern daher eine sogenannte Sektorkopplung. Dieser Begriff bezeichnet das Prinzip, auch in den Bereichen Verkehr und Wärme den Einsatz von fossilen Energien zu reduzieren und durch erneuerbareren Strom zu ersetzen.

Wie eine solche Verknüpfung von Strom aus erneuerbaren Energien und dem Wärmesektor funktionieren kann, wird aktuell bei den Stadtwerken München (SWM) erforscht. "Wenn Photovoltaik- oder Windkraftanlagen mehr Strom erzeugen, als gerade verbraucht wird, können diese Spitzen aufgefangen werden, indem man Elektrospeicherheizungen und Wärmepumpen auflädt", sagt Andreas Weigand, Leiter des Projekts "Intelligente Wärme" bei den SWM. Aus den Ergebnissen sollen Handlungsempfehlungen für eine intelligent gesteuerte Wärmeversorgung in München entstehen. Das Projekt ist Teil des Verbundprojektes "C/sells" der SINTEG-Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums zur Digitalisierung der Energiewende.

Speicherheizungen - besser als ihr Ruf?

In einem ersten Schritt, so Weigand, wolle man das Potenzial zur Lastverschiebung bei elektrischen Speicherheizungen erforschen. Der Wärmespeicher der mit Strom betriebenen Heizungen wird in Schwachlastzeiten des Stromnetzes aufgeheizt. Die dazu genutzte elektrische Energie wird im Vergleich zum Normaltarif günstiger angeboten. Um diesen Niedertarifstrom zu nutzen, bedarf es spezieller Stromzähler mit zwei Zählwerken für Hochtarif und Niedertarif sowie einer Einrichtung zur Tarifumschaltung.

Die Umschaltung wird von den Energieversorgungsunternehmen (EVU) meist mit Tonfrequenz-Rundsteuertechnik oder über Funkrundsteuertechnik ferngesteuert durchgeführt. Die Aufladezeiten betragen in der Regel zwischen acht und zehn Stunden. Vom EVU wird die Freigabe zur Aufladung je nach Tarifvertrag und Versorgungsgebiet in einem Zeitbereich von etwa 20 Uhr abends bis 6 Uhr des folgenden Tages erteilt.

Die elektrische Speicherheizung galt lange als veraltete und ineffiziente Technologie, weil sie sehr hohe CO2-Emissionen verursacht, wenn der genutzte Strom aus fossilen Energieträgern stammt. Bei einem Strommix, der zunehmend aus erneuerbaren Energien stammt, ändert sich die Bilanz jedoch.

In ganz Deutschland wird die Zahl der noch verbliebenen Stromspeicherheizungen auf rund 1,8 Millionen geschätzt. Die Menge bei gleichzeitig bereits vorhandenen Speichereinheiten machen die Geräte für Forschungsvorhaben wie das in München attraktiv. Allerdings gibt es auch Herausforderungen: "Es gibt sehr viele unterschiedliche Typen Heizungen und jede einzelne muss auf Eignung geprüft werden. Das Ist eine sehr kleinteilige Aufgabe", sagt Projektleiter Andreas Weigand.

Erstes Versuchsobjekt in München-Pasing

Für das erste Pilotprojekt im Rahmen von "Intelligente Wärme" wurde in München-Pasing ein Mehrparteienhaus, dessen Bewohner mit Speicherheizungen heizen, mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet. "In der ersten Stufe des Projekts wollen wir die Freigabezeiten der Nachtspeicherheizungen verändern", sagt Weigand. Das bedeutet, dass ein Teil der Wärmeeinspeicherung in die Zeit verschoben wird, in der die Photovoltaikanlage am meisten Strom produziert.

Bei der Freigabeverschiebung soll es langfristig nicht bleiben. "Wir wollen erforschen, wie man möglichst schonend in bestehende Schaltgeräte eingreifen kann, um zusätzliche Flexibilität zu generieren ohne dass das Ganze unverhältnismäßig teuer wird", sagt Weigand. Mit genug Forschungsdaten erhoffe man sich, typische Anwendungsfälle zu Clustern zusammenzufassen, um idealweise ganze Quartiere und Wohnviertel mit ähnlichen Voraussetzungen optimieren zu können. Die Geräte, die zur Flexibilisierung genutzt werden sollen, sind neben elektrische Speicherheizungen auch Wärmepumpen, KWK-Anlagen oder Fernwärmeübergabestationen. Bis 2020 sollen rund 1000 Münchner Haushalte mit intelligenter Mess- und Steuertechnik ausgestattet werden.

Die Versuchshaushalte werden über eine Zusammenarbeit mit der Münchner Wohnungswirtschaft ausgewählt. "Wir erleben diese Branche als sehr offen. Sie haben einen hohen Bestand an Speicherheizungen und fragen diesbezüglich nach energieeffizienten Lösungen", beschreibt Weigand die Zusammenarbeit. Die Stadtwerke München planen zudem auch in ihren eigenen Werkswohnungen, die aktuell gebaut werden, Flexibilisierungsmöglichkeiten zu erforschen.

Teilnahme am Regelenergiemarkt ist geplant

Alle erfassten Daten werden in ein so genanntes virtuelles Kraftwerk überführt. Falls sich der Versuchsaufbau bewährt und größere Lastmengen verschoben werden können, planen die SWM diese Strommengen am Regelenergiemarkt zu handeln. "Natürlich erhoffen wir uns langfristig ein Geschäftsmodell daraus zu entwickeln und einen monetären Vorteil zu verschaffen", sagt Weigand.

Neben den technischen Herausforderungen, bringt das Projekt auch administrative Aufgaben mit sich. "Wir greifen in bestehende Vertragsverhältnisse ein. Das bedeutet, der Stromliefervertag muss angepasst werden, damit wir rechtlich sauber arbeiten. Zudem müssen wir sicherstellen, dass die Strommengen, die wir in den Hochtarif ziehen würden, so abgegolten werden, als ob sie im Niedertarif verbraucht werden, so dass der Kunde keine finanziellen Einbußen erleidet, " sagt Weigand. Für ihre Teilnahme bekommen die Mieter außerdem eine kleine Aufwandsentschädigung.

Die Energiewende nach Hause bringen

Projektleiter Andreas Weigand betont den hohen Stellenwert der kommunikativen Komponente des Vorhabens. "Wir bringen die Energiewende nach Hause und es ist uns sehr wichtig, den Kunden zu erklären, warum genau wir was machen", sagt er. Zum einen werden die Projektteilnehmer fortlaufend über etwaige Komfortveränderung in ihrer Wohnung befragt. Zudem werden sie über Erkenntnisse aus dem Verbundprojekt C/sells informiert. Es ist als großflächiges Schaufensterprojekt mit 30 Einzelprojekten in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen angelegt und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.

Ziel ist es, über vier Jahre skalierbare Musterlösungen für eine umweltfreundliche, sichere und bezahlbare Energieversorgung bei hohen Anteilen erneuerbarer Energien zu entwickeln und zu demonstrieren. Hierfür haben sich mehr als 70 Partner aus Forschung, Energieversorgung, Netzbetrieb, Consulting & Technologie zusammengeschlossen.

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