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CO2 raus aus der Luft, rein in die Cola

Die Weltgemeinschaft hat sich mit dem Pariser Klimaabkommens von 2015 darauf verständigt, die durchschnittliche Erwärmung bei maximal 1,5 °C zu halten. Dazu sollen die industriellen Kohlendioxid-(CO 2) Emissionen deutlich reduziert und die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. Doch nach Ansicht des Weltklimarats IPCC wird all das nicht reichen. Die Klimaschutzexperten sind der Meinung, dass „negative Emissionen" - also das Entziehen von CO 2 aus der Atmosphäre - notwendig ist. Auf dem Dach einer Müllverbrennungsanlage im schweizerischen Hinwil ist nun eine weltweit einzigartige Industrieanlage eingeweiht worden, die bei dieser Aufgabe helfen kann. Die vom Züricher Start-up Climeworks, einer Ausgründung der Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), entwickelte Anlage soll pro Jahr 900 Tonnen CO 2 aus der Umgebungsluft abscheiden. Das entfernte Treibhausgas wird an ein nahe gelegenes Gewächshaus verkauft, dessen Betreiber es dazu nutzt, um das Wachstum von Gemüse zu unterstützen.

CO2 wird wie durch einen Schwamm aufgesaugt

Herzstück der Technologie ist ein neu entwickelter Filter. In Hilwil sind insgesamt 18 dieser CO 2-Kollektoren installiert, an denen sich Ventilatoren befinden, die Luft ansaugen. Im Innern der Kollektoren saugt der Filter wie ein Schwamm nimmt der patentierte Filter CO 2-Moleküle auf, bis er gesättigt ist. Anschlißend wird das CO 2 bei einer Temperatur von etwa 100 °C aus dem Filter gelöst und unter Druck flüssig zwischengespeichert. Die Energie, die für diesen Prozess nötig ist stammt zum allergrößten Teil aus der Abwärme der Müllverbrennungsanlage, auf der der CO 2-Filter installiert ist. Über eine Rohrleitung wird das gewonnene CO 2 in die 400 Meter entfernte Gärtnerei geleitet, wie in diesem Video gezeigt wird. Eine klassische Win-Win-Situation: Klimaschädliches CO 2 wird aus der Luft entfernt und die Gärtnerei kann für ihre Zwecke ein lokal erzeugtes Produkt kaufen, anstatt aus fossilen Energieträgern gewonnenes CO 2 per LKW herantransportieren zu lassen. Die Schweizer haben also nicht nur eine Möglichkeit gefunden, CO 2 abzuscheiden, sondern auch ihr Produkt zu kommerzialisieren. Der Markt ist denkbar groß: „Kohlensäure" sorgt für den angenehmen Blubber in Limonaden und anderen Getränken, in fester Form wird CO 2 als Trockeneis zur Kühlung eingesetzt. Die beiden Gründer von Climeworks, Christoph Gebald und Jan Wurzbacher, planen schon weiter: „Mit dem abgeschiedenen CO 2 können künftig klimaneutrale Kraftstoffe hergestellt werden", sagt Gebald. Seit 2013 kooperiert das Start-up dazu mit dem Autohersteller Audi. Gemeinsam wollen die beiden Unternehmen ein Modul des CO 2-Kollektors in eine Anlage zur Produktion von CO 2-neutralen synthetischen Kraftstoffen integrieren.

Hoffen auf sinkende Produktionskosten

Damit es so kommt, spielt die Wirtschaftlichkeit einer solchen Anlage eine entscheidende Rolle. Das auf drei Jahre angelegte Demonstrations-Projekt in Hilwil wird vom Schweizer Bundesamt für Energie BFE gefördert. Climeworks beziffert die Kosten in dieser ersten Pilotanlage mit 600 Dollar pro Tonne CO2, das liegt noch deutlich über heutigen Marktpreisen. Doch die Gründer hoffen auf eine steile Lernkurve. "Wir rechnen damit die Kosten in den nächsten drei Jahren um den Faktor 3-4 zu senken", zeigt sich Gebald optimistisch. Mehrere Folgeprojekte seien bereits in Planung.

Die Technologie hat in vielerlei Hinsicht Charme. Im Gegensatz zu unter anderem Maßnahmen zur Realisierung negativer Treibhausgas-Emissionen wie durch Aufforstung oder den Bau von Biomasse-Kraftwerken, ist die Menge eliminierter CO 2-Tonnen exakt messbar. „Im Vergleich zu anderen Abscheidetechnologien ist unsere Technologie unabhängig von landwirtschaftlichen Flächen, hat einen kleinen Fußabdruck und ist ohne Einschränkungen skalierbar", sagt Geschäftsführer Gebald. Die Anlagen seien praktisch überall realisierbar, auch in sehr warmen Gegenden wo statt Abwärme Sonnenwärme als Energiequelle eingesetzt werden könnte.

Kein Freibrief für fossile Kraftstoffe

Doch sind CO 2-Abscheidetechnologien nicht geradezu ein Freibrieg um weiter Kohle und Öl zu verbrennen? Keineswegs, meint Gebald. „Im Kampf gegen den Klimawandel gilt es keine Zeit zu verlieren. Der Ausstieg aus fossilem Kraftstoffen, der Ausbau der Erneuerbaren und CO 2-Abscheidetechnologien müssen Hand in Hand gehen". Sein Ziel und das seiner 45 Mitarbeiter: bis 2025 ein Prozent der globalen CO 2-Emissionen aus der Luft zu filtern. Dazu wären 250.000 Anlagen wie die in Hinwil notwendig.

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