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Unverkrampft und spielerisch

Kaum jemand weiß, dass René Magritte ein großer Freund des Films war und sich privat eifrig und durchaus sehenswert mit der Filmkamera austobte.

Von Daniel Urban

Dass das Medium Film mehr zu bieten hat als bewegte Bilder und Klang zu einer konven­tio­nel­len Narra­tion zu verwe­ben, wie auch immer gear­tet amüsant, berüh­rend oder sonst wie gelun­gen sie sein mag, wird demje­ni­gen klar sein, der sich ab und an auch abseits der großen Kino­ket­ten oder Strea­m­ing-Dienste umschaut. Seit den Anfangs­ta­gen der Kine­ma­to­gra­phie versuch­ten Filme­ma­cher immer wieder, die dem Medium eige­nen Ausdrucks­mög­lich­kei­ten auszu­rei­zen und über das hinaus­zu­ge­hen, was Alfred Hitch­cock einmal abschät­zig das „foto­gra­fie­ren spre­chen­der Köpfe“ nannte.

Der Surrea­lis­mus war die erste geis­tige Strö­mung ihrer Art, die sich von Beginn an auch dem Medium Film mit dessen umfang­rei­chen Möglich­kei­ten widmete. Mit „Un chien anda­lou“ von Salva­dor Dalí und Luis Buñuel oder Buñuels „L’Âge d’Or“ wurden wich­tige Werke der Bewe­gung auch auf Film mate­ria­li­siert: Bedenkt man jene expli­zit filmi­schen Hand­werks­zeuge wie Schnitt und damit einher­ge­hend die Zeit­ver­knap­pung oder -dehnung, Mise en Scène (also das In-Szene-setzen) oder diverse tech­ni­sche Bear­bei­tun­gen wie Filter, Doppel­be­lich­tung oder Filmtrick­tech­nik, erscheint dies ange­sichts der surrea­lis­ti­schen Kern­the­men nur folge­rich­tig.

Film und Impulsivität

Wenn­gleich sich dem surrea­lis­ti­schen Filme­ma­cher unzäh­lige Optio­nen bieten seine Vorstel­lungs­wel­ten auf Film­ma­te­rial zu bannen, büßt er bei jener Produk­ti­ons­weise jedoch ein wich­ti­ges Merk­mal surrea­lis­ti­scher Arbeits­weise ein: die Spon­ta­ni­tät. Mach­ten sich die Surrea­lis­ten um André Breton beispiels­weise noch die Tech­nik des Écriture auto­ma­tique, des „auto­ma­ti­sier­ten Schrei­bens“, zu Nutze, um das Unbe­wusste möglichst unge­fil­tert zu Tage zu beför­dern, musste man bei der hoch­tech­ni­sier­ten und produk­ti­ons­auf­wen­di­gen Film­ar­beit größ­ten­teils auf solche Impul­si­vi­tät verzich­ten.

René Magritte erstand im Okto­ber 1956 eine Eumig C3, eine 8mm-Kamera öster­rei­chi­scher Produk­tion. In seinem Besitz befand sich des Weite­ren eine Kodak Insta­ma­tic M6, mit der auch Super8-Film­ma­te­rial belich­tet werden konnte. Wenig bekannt wie erschlos­sen ist, dass der große Maler in den Jahren von 1956-1967 gut 40 Filme drehte, von denen über die Hälfte in den Jahren 1956/57 entstan­den ist. Das Belgi­sche Archiv für zeit­ge­nös­si­sche Kunst erstei­gerte diese 1987 aus dem Nach­lass Geor­gette Magrit­tes‘ – einige sind heute im Brüs­se­ler Magritte-Museum zu sehen. Die Filme tragen Titel wie „Ostende“, „Dialo­gue avec objets“, sind nach Freun­den benannt oder lauten deskrip­tiv schlicht „Voyage en Israël en 1966“.

Grimassen für die Kamera

In der aktu­el­len SCHIRN-Ausstel­lung „Magritte – Der Verrat der Bilder“ werden nun vier Filme präsen­tiert: In „Masques“, „Le marchand d’art“ und „René“, alle­samt Kurz­filme unter vier Minu­ten, sieht man Magritte selbst, seine Frau und Freunde beim Herum­al­bern, Verklei­den und Posie­ren. „Le marchand d’art“ zeigt Magrit­tes Wohnung, voll­ge­stellt mit den eige­nen Bildern, die einem älte­ren, skep­ti­schen Herren offen­bar zum Kauf präsen­tiert werden. In „René“ mehr vom glei­chen und doch anders, keiner bestimm­ten Narra­tion folgend, Aufnah­men vornehm­lich von Magritte und Geor­gette, der Maler schnei­det Grimas­sen für die Kamera, imitiert Hitler mit Seiten­schei­tel und Schnauz­bart, erin­nert an die großen Komi­ker der Stumm­fil­mära, Chap­lin und Keaton.

Seine Frau posiert vor einem seiner Bilder, scheint einen Apfel aus jenem zu nehmen und diesen genüss­lich zu verspei­sen, immer wieder ein Schnitt auf einen schel­misch lächeln­den Garten­zwerg, dann schließ­lich Magritte, der seinem gelieb­ten Hund eine Ziga­rette vor die Schnauze hält. Hier macht sich ein Liebes­paar eine gute Zeit, mitein­an­der, mit Freun­den; der Maler geht spie­le­risch, ohne falschen Respekt mit seinem eige­nen Werk um, das in Ecken gesta­pelt in der Wohnung herum­steht und noch nichts vom heuti­gen Markt­wert in sich zu tragen scheint.

Die Spontaneität zurückgewonnen

„Tuba (Inte­rior)“ (1960) sticht ein wenig aus den ande­ren Filmen hervor – hier scheint zumin­dest lose mit einem Konzept gear­bei­tet worden zu sein und surrea­lis­ti­sche Elemente treten stär­ker in den Vorder­grund. Die titel­ge­bende Tuba, die auch in eini­gen Bildern des Künst­lers auftaucht, liegt hier im Bett einer jungen Frau, die aus dem Schlaf erwacht, dann eine Maske aufsetzt und schließ­lich auf dem Instru­ment spielt. Später wird Magritte ein Bild von einem typi­schen Fantômas-Schur­ken – Haupt­fi­gur einer fran­zö­si­schen Krimi­nal­ro­man-Serie, die Magritte wie auch andere Surrea­lis­ten lieb­ten – gestoh­len, anstelle des Bildes findet er dann im Diebes­ver­steck nur jene Tuba mit Maske. Weitere traumma­le­ri­sche und surrea­lis­ti­sche Motive tauchen auf: So insze­niert Magritte sein bekann­tes Bild „Les Amants“, anstatt des hete­ro­se­xu­el­len Paares küssen sich hier jedoch zwei Frauen mit Tüchern auf dem Kopf innig.

Die Filme lohnen die Sich­tung, zeigen sie doch einer­seits Magrit­tes unver­krampf­ten und spie­le­ri­schen Umgang sowohl mit dem eige­nen Werk als auch mit surrea­lis­ti­schen Grund­the­men, die in seinen Bildern teil­weise recht düstere Dimen­sio­nen errei­chen. Ande­rer­seits gewin­nen sie ein wich­ti­ges Element surrea­lis­ti­scher Arbeits­weise zurück, das in den bekann­ten Film­er­zeug­nis­sen der Surrea­lis­ten fehlte: die abso­lute Spon­ta­ni­tät, die dem Betrach­ter hier auch noch knapp 60 Jahre später entge­gen­weht.


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