Die Ausstellung „Edvard Munch – der moderne Blick“ zeigt den berühmten Maler beim Experimentieren mit dem damals neuen Medium Film. Knapp fünfeinhalb Minuten belichteter Zelluloidfilm lassen uns die Welt durch das filmische Auge Munchs erblicken.
Regelmäßig
besuchte Edvard Munch Filmvorstellungen, sah sich Wochenschauen, europäische
oder amerikanische Spielfilme an. In seiner Begeisterung streute er 1911
sogar das Gerücht, selbst ein Kino eröffnen zu wollen. Im Kino immer mit dabei
war sein Hund Muff – wenn dieser bellte, deutete Munch dies als Zeichen der
Langeweile und verließ das Kino.j
Halfdan Nobel Roede, Komponist und Kunstsammler, hatte gerade in Kristiana,
dem heutigen Oslo, sein Kino „Kosmorama“ eröffnet. Roede und Munch lernten
sich im Spätsommer 1910 persönlich kennen. Zuvor war Roede dem Maler lediglich
als „wunderbarer Ritter der Kunst“, der seine Werke sammelte und förderte,
bekannt. An die Wände seines Lichtspielhauses hängte Roede Grafiken von
Munch und stellte so zumindest eine räumliche Verbindung zwischen dem neuen
Medium und der Malerei her, was nicht ohne Kontroversen blieb. Das bewegte
Bild wiederrum scheint auch in Munchs Malerei Eingang gefunden zu haben
(siehe „Außenwelt“). Roede stürzte sich kurz darauf selbst ins Filmgeschäft,
produzierte und führte Regie und eröffnete später weitere Lichtspielhäuser,
in denen immer auch Kunst ausgestellt wurde. Einige Zeit verfolgten Roede und
Munch gar die Idee eines Lichtspielhauses mit angegliedertem Kunstmuseum,
die jedoch später wieder verworfen wurde. Gut 15 Jahre später sollte Munch
selbst zur Kamera greifen.
Die Kamera
als verlängertes Auge
Als die Firma Pathé 1921 die Film-Kamera Pathé-Baby auf den Markt brachte,
erlebte der Amateurfilm einen regelrechten Boom. Die preiswerte Kamera fand
beachtliche Verbreitung in Frankreich, England und Deutschland. Auch
Edvard Munch erwarb 1927 in Paris eine Pathé-Baby-Kamera der zweiten Baureihe
und drehte die vier in der SCHIRN-Ausstellung gezeigten 9,5 mm Filme.
Das belichtete Filmmaterial zeigt größtenteils Außenaufnahmen – Stadtansichten, Passanten, Autos, Straßenbahnen und Landschaften – und einige Aufnahmen von Verwandten und dem Maler selbst. Während Munch sich bei der Wahl der Bildausschnitte scheinbar noch an die der Kamera beiliegenden Anleitung hält, die sich ihrerseits an klassischen Motiven der Filmpioniere Lumière orientiert, werden den Hinweisen zu Belichtungszeit, Beleuchtung und Kameraführung weniger Beachtung geschenkt: Die Aufnahmen sind zum Teil stark verwackelt, über- oder unterbelichtet und machen insgesamt einen experimentellen Eindruck. Über die Empfehlung zur Nutzung des Stativs setzt sich Munch beinah ausnahmslos konsequent hinweg. Munch scheint Spaß am Experimentieren mit der Kamera zu haben und geht ungezwungen mit der neuen Technik um.
Das
bewegte Objekt? Zweitrangig!
Gut 30 Jahre zuvor hatten die Brüder Auguste und Louis Lumière Stadtszenen
abgefilmt und einem begeistertem Publikum vorgeführt. Während die Lumières
jedoch aus einer statischen Position heraus zum Beispiel Arbeiter beim
Verlassen einer Fabrik filmten und somit den Dokumentarfilm begründen,
sind Munchs Aufnahmen unruhiger, subjektiver und in gewissem Maße dynamischer.
Immer wieder werden bestimmte Motive kurz fokussiert und dann mit einem Reißschwenk,
einer schnellen horizontalen Bewegung der Kamera, beendet. Die Kamera
gleicht einem verlängerten Auge, welches unruhig sich Übersicht zu verschaffen
sucht, bestimmte Dinge genauer in Anschein nimmt und sich dann wieder auf die
Suche nach neuen Eindrücken macht. So huscht Munchs filmisches Auge über
Plätze, Menschen und Autos, betrachtet eine Menütafel und begleitet aus
einer erhöhten Position eine Spaziergängerin einige Schritte.
Die Aufnahmen haben eine Dynamik, die die weitestgehend urbane Welt um sie herum widerspiegelt. Kasimir Malewitsch schrieb in „Die Gesetze der Malerei im Film“ davon, dass die Funktion des Films weniger darin bestehe, bewegte Objekte abzubilden, sondern dass dem Film an sich eine dynamische Kraft innewohnt. Genau jene dynamische Kraft meint man bei Munchs Aufnahmen von Zeit zu Zeit aufblitzen zu sehen.
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