Hoch giftiges Schweröl ist der Treibstoff der Globalisierung: Hunderttausende Tonnen davon verbrennen Containerfrachter jedes Jahr auf den Weltmeeren. Dabei entwickeln Ingenieure schon seit Jahren effizientere Schiffe. Jetzt könnten sie endlich zum Zug kommen - dank neuer Umweltauflagen.
A ls die „Selandia" am 4. November 1911 in Kopenhagen vom Stapel läuft, ahnt die seefahrende Welt nicht, was ihr bevorsteht. Die „Selandia" ist das weltweit erste Schiff, das den Zusatz MS trägt: Motorschiff. Bislang fahren Schiffe mit Dampfkraft und spucken pechschwarze Schwaden in den Himmel, unentwegt müssen die Maschinen mit Kohle gefüttert werden.
Bei der 117 Meter langen und 2500 PS starken „Selandia", dem „Schiff ohne Dampf und Rauch", qualmt es nicht mehr. Möglich wird das durch die Erfindung eines deutschen Ingenieurs: Rudolf Diesel. Sein Motor verbrennt Dieselöl und setzt die Energie direkt in Bewegung um, ohne den Umweg über dampfende Kessel. Was das für sein Gewerbe bedeuten wird, ahnt Hans Niels Andersen, Gründer des dänischen Handelshauses East Asiatic Company: Ein schneller und billiger internationaler Linienverkehr wird möglich, Schiffe werden Menschen und Waren nach zuverlässigem Terminplan um die Welt bewegen. Um diese Vision umzusetzen, holt Andersen Diesel nach Kopenhagen und bringt ihn mit dem Technikchef der Werft B&W zusammen. Als die „Selandia" auf ihrer Jungfernfahrt in London festmacht, geht der damalige Marineminister Winston Churchill an Bord - und zeigt sich euphorisch: „Dieser Schiffstyp ist das vollkommenste maritime Meisterwerk dieses Jahrhunderts."
Ein Jahrhundert später ist von der Begeisterung nicht viel übrig. Auf knapp 100.000 Schiffe, vom kleinen Fischerboot bis zum gigantischen Containerfrachter, ist die Weltflotte im Zeitalter der Globalisierung angewachsen. Knapp 100.000 Schiffe, die ein Umweltdesaster verursachen. Jeden Tag verbrennen sie rund 700.000 Tonnen Schweröl - Abfall der Ölraffinierien, die uns mit Benzin und Diesel versorgen. Die pechschwarze, teerartige Masse ist eigentlich Sondermüll. Und momentan viel zu billig, sagt Fridtjof Rohde.
„Wer soll bei den Scheißminipreisen ans Treibstoffsparen denken?", ruft der groß gewachsene 42-Jährige. Wenn es um Schweröl geht, kann sich der sonst so zurückhaltende Schiffbauer in Rage reden. Letztes Jahr kostete eine Tonne im Durchschnitt noch 650 Dollar, jetzt sind es nur noch 350 Dollar. Bei solchen Preisschwankungen wird es für Reeder riskant, ihre Schiffe effizienter zu machen - schließlich amortisieren sich viele Ein- und Umbauten erst nach Jahren.
Das bremst Entwickler wie Fridtjof Rohde, die die Weltflotte auf Umweltkurs bringen wollen. Sie geben den Schiffen neue Linienführungen, gestalten das Zusammenspiel von Rumpf, Ruder und Propeller neu. Sie lassen Motoren mit Gas statt Schweröl laufen. Arbeiten an elektronischen Systemen, die dem Kapitän helfen, spritsparend zu fahren. Manche wollen sogar die Frachter wieder unter Segel setzen.
Wenn man sie denn machen lässt.
Denn vor allem die Containerschiffe sind Massenware aus Fernost, nach immer denselben Plänen gefertigt, sagt Stefan Krüger, Leiter des Forschungsschwerpunkts Maritime Systeme der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Ihm ist die Lust, an solchen Schiffen zu arbeiten, längst vergangen: „Die interessieren uns nicht. Da gibt es doch jetzt schon Riesenüberkapazitäten."
Krüger und seine Studenten konzentrieren sich auf Spezialschiffe, Kreuzfahrer oder Versorgungsschiffe für Ölbohrplattformen: „Die haben viel mehr Sex-Appeal." Zum Beispiel werden Kreuzfahrtschiffe nur selten verchartert: Der Reeder bestellt das Schiff und bezahlt auch den Sprit, hat also ein großes Interesse an Effizienz. Ganz anders sieht es bei Frachtschiffen aus: „Das Problem ist nicht, dass die Technik nicht zur Verfügung steht, sondern dass sie oft keiner bezahlen will", sagt Krüger.
„Containerschiffe sind Massenware, nach immer denselben Plänen gefertigt. Die interessieren uns nicht. Da gibt es doch jetzt schon Riesenüberkapazitäten."
Stefan Krüger, TU Hamburg-HarburgJetzt aber könnte Bewegung in die Forschungslandschaft kommen. Seit Januar 2015 gelten in vielen Seefahrtsgebieten der Welt strenge Emissionsregeln. Dort müssen Reeder entweder die Schiffsabgase aufwendig reinigen lassen oder mit entschwefeltem Treibstoff fahren. Der ist fast doppelt so teuer wie Schweröl. Die Umweltauflagen zwingen die Seefahrt endlich auf Innovationskurs. Schiffbauer freut das. Sie hoffen, dass sie sich endlich technisch austoben können, statt immer nur Standard zu bauen. Und dass sie dies sogar in Europa tun können, trotz der Übermacht der asiatischen Werften. „Wir können zwar nicht mit den Chinesen um die Wette schweißen. Aber wir können Schiffe bauen, die für die Aufgabe gemacht sind, die sie erfüllen sollen", sagt Rohde. Er ist sicher: Frachtschiffe sind viel zu schnell und ineffizient unterwegs: „Heute fahren die Kapitäne alle einen Porsche, bräuchten aber eher einen Passat."
Gut zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Schifffahrt, das sind geschätzte 800 Millionen Tonnen pro Jahr. Noch bedrohlicher ist ihr Schwefelausstoß. Schweröle sind um ein Vieltausendfaches schwefelhaltiger als Tankstellendiesel. Und so gelangen jedes Jahr etwa 20 Millionen Tonnen hochgiftiges Schwefeldioxid in die Atmosphäre. Auch Stickstoffoxide und Ruß mischen sich in die Abgase, die zum Teil weit landeinwärts treiben und dort zu Lungenleiden beitragen. Und seit die Schifffahrt in die zunehmend eisfreien arktischen Gewässer vordringt, legen sich Rußschichten auf die verbliebenen Eisflächen, was deren Abschmelzen noch beschleunigen könnte.
Ohne Effizienzmaßnahmen werden sich die jährlichen CO2-Emissionen bis 2050 auf fast zwei Milliarden Tonnen verdoppeln. Reedereien wie die dänische Maersk brüsten sich zwar damit, die effizientesten Schiffe der Welt zu fahren. Doch das stimme nur, weil die Schiffe unglaublich groß seien, sagt Stefan Krüger. Rechnerisch entfalle da auf jeden Container weniger Treibstoffverbrauch. Doch absolut gesehen erzeugten sie viel CO2, weil sie so große Motoren hätten: „Die könnten um Längen sparsamer sein."
Die Maersk-Flotte kann 2,9 Millionen Standardcontainer (TEU) gleichzeitig transportieren. Der Gigant des weltweiten Warenhandels hielt bis vor Kurzem auch den Größenweltrekord: Mehr als 18.000 TEU fassen die sogenannten Triple-E-Schiffe, die Maersk vor wenigen Jahren in Auftrag gegeben hat. „Einfach nur groß und stumpf", sagt Krüger. „Da hol ich noch mal zehn Prozent raus." Wie er das machen will? „Linien." Krüger meint die Form der Schiffshülle. Genau wie bei einem Flugzeug die Aerodynamik maßgeblich für den Verbrauch ist, ist es beim Schiff die Hydrodynamik.
Strömungen, Wellen, Wind - was wirklich auf See passiert, lässt sich im Modell-Testbecken nicht nachstellen.
Für Krüger ist der Fall klar: „Hier bauen, dann wären die Schiffe effizient." Der Schiffbau ist aus Europa fast gänzlich verschwunden. Abgezogen nach Fernost. Zumindest, was die Containerfrachter angeht. Bei den Samsungs, Hyundais und Mitsubishis werden sie gebaut. Unerreicht schnell. Unerreicht günstig. Aber leider werden dort nur Serienschiffe gebaut, die wenig effizient sind. „Die greifen in die Schublade und holen Standardzeichnungen raus", sagt Stefan Krüger. Und da in Deutschland oder Europa kaum noch Containerschiffe gebaut werden, hat auch kaum eine Forschungseinrichtung Interesse, an innovativen Entwürfen zu arbeiten.
„Niemand will hier forschen und dann die Technik und Ergebnisse nach Fernost verschenken", sagt Krüger. „Das ist keine Resignation, sondern proaktives Vorgehen: Wir machen das, was gebraucht wird." Und so lenkt Krüger das Interesse seiner Studenten eher auf Kreuzfahrer oder Offshore-Schiffe - sie sollen ja später auch mal Arbeit finden. Das Problem, sagt Stefan Krüger, sei auch, dass die Schiffe meist radikal für die Schiffbauversuchsanstalt optimiert würden. Dort werden maßstabsgetreue Modelle in Schleppversuchen bewertet, vor den Augen der Auftraggeber. Nur hätten diese Versuche wenig mit der Realität gemein: „Sie vernachlässigen Strömungen, Wellen, Wind und die Beladung des Schiffs."
Umweltverbände und einzelne Staaten etwa in Skandinavien oder Nordamerika setzen sich seit Jahren für schärfere Umweltauflagen im Schiffsverkehr ein. Inzwischen hat das zuständige UN-Gremium, die International Maritime Organization (IMO) in London, in einigen Regionen strengere Abgasgrenzwerte erlassen, die seit Januar 2015 gelten.
Zu diesen Emissionskontrollgebieten (ECA) gehören in Nordeuropa der gesamte Ostseeraum, ein Großteil der Nordsee und der Ärmelkanal. Hier darf nur noch Treibstoff mit einem Schwefelgehalt von maximal 0,1 Prozent verbrannt werden. In Nordamerika und Teilen der Karibik wurde der Wert auf 0,5 Prozent begrenzt. Alternativ zum entschwefelten Sprit dürfen auch Abgasreinigungsanlagen installiert werden, sogenannte Scrubber, wenn sie die gleiche Wirkung erzielen.
„Die Einführung des strengeren Schwefelgrenzwerts stellt die Reedereien vor enorme betriebliche, technische und finanzielle Herausforderungen", sagt Christof Schwaner vom Verband Deutscher Reeder. Doch in der Herausforderung liege auch eine Chance: „Der Brennstoffverbrauch ist der größte Kostentreiber beim Schiffsbetrieb. Die Reeder haben daher ein großes Eigeninteresse, die Waren möglichst spritsparend und effizient von A nach B zu bringen. Davon profitiert natürlich auch die Umwelt."
Ab dem Jahr 2020 soll weltweit ein Grenzwert von 0,5 Prozent gelten. Fachleute befürchten, dass dann der entschwefelte Kraftstoff knapp wird, weil es noch nicht genug Raffinerien gibt. Bis 2018 wolle die IMO in einer Studie ermitteln, ob die Mineralölwirtschaft genug Kapazitäten aufbauen kann, sagt Schwaner. „Es besteht dann die Möglichkeit, den neuen weltweiten Schwefelgrenzwert von 0,5 Prozent erst 2025 einzuführen. Damit soll verhindert werden, dass der Brennstoff nicht für alle Schiffe reicht. Denn auf den weltweiten Warentransport können wir alle nicht verzichten."
Beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) zeigt man sich entspannt: „Die Termine sind seit Langem bekannt. Daher gehe ich davon aus, dass sich die Mineralölwirtschaft darauf einstellt", sagt BSH-Präsidentin Monika Breuch-Moritz. Von den Abgasreinigern ist die Präsidentin eher unbeeindruckt: „Politisches Ziel ist die verstärkte Nutzung umweltfreundlicherer Treibstoffe."
Manche Reeder setzen dennoch auf Scrubber. Schließlich erlauben es die Abgasreinigungssysteme, weiterhin billiges Schweröl zu bunkern. Zahlreiche Hersteller wie Alfa Laval aus Schweden, der finnische Schiffsmotorenhersteller Wärtsilä oder das norwegische Unternehmen Clean Marine AS haben Systeme entwickelt und auf Schiffen installiert. Erfahrungen haben die Hersteller im Kraftwerksbau gesammelt, dort sind Abgaswäscher seit Jahrzehnten Pflicht. Auf See allerdings ist der Betrieb der Anlagen etwas komplizierter als an Land: Die Anlagen sind schwer und platzraubend, zudem müssen sie Salzwasser und dem Seegang standhalten.
Die Anlagen sind recht einfach aufgebaut und können meist auch nachgerüstet werden. Im Prinzip bestehen sie aus einer Reihe nicht rostender Rohre, Pumpen, Zylinder, Tanks und einer Steuereinheit. Prinzipiell gibt es zwei unterschiedliche Abgasreinigungsverfahren, die seit Jahren in Müllverbrennungsanlagen im Einsatz sind:
Bei der trockenen Variante wird das Abgas über ein Kalkgranulat geführt, das dann zu Gips wird. Bei der nassen Methode werden die Abgase durch einen Wassernebel geleitet. Dabei entsteht ein unappetitliches Zeug, das „Scrubber-Sludge" genannt wird. Es enthält Schwefelverbindungen, Asche und Schwermetalle. Der Betrieb wird elektronisch überwacht und dokumentiert, damit der Kapitän jederzeit nachweisen kann, wo sein Schiff wann welche Emissionswerte hatte.
Der Sludge wird an Land entsorgt, das gereinigte Waschwasser wird bei offenen Systemen zurück ins Meer geleitet - was mehr und mehr EU-Staaten mittlerweile verbieten. Bei geschlossenen Systemen zirkuliert das Wasser in einem Kreislauf, muss also regelmäßig ausgetauscht werden.
Innerhalb der Schutzgebiete schalten viele Containerfrachter auf weniger giftigen Treibstoff um.
Abgaswäscher kosten mehrere Millionen Euro, viele Reeder scheuen die Investition und den zusätzlichen Treibstoffverbrauch: Scrubber brauchen rund ein Prozent der Maschinenleistung, immerhin müssen ihre Pumpen pro Tag bis zu 20.000 Tonnen Wasser bewegen. Viele Reeder rüsten daher ihre Containerfrachter so um, dass sie zwischen zwei Treibstoffarten umschalten können, sagt Friedrich Wirz, Leiter der Arbeitsgruppe Schiffsmaschinenbau an der TU Hamburg-Harburg: „Innerhalb der Emissionskontrollgebiete fahren sie langsam und verbrennen entschwefelten Marinediesel. Draußen schalten sie auf Schweröl und geben Vollgas."
Auch das ist komplizierter, als es klingt: Beide Treibstoffe verhalten sich nicht nur im Motor ganz unterschiedlich. Sie müssen verschieden stark vorgeheizt werden, damit sie richtig fließen und durch die Rohrleitungen gepumpt werden können. Bei entschwefeltem Sprit braucht der Motor mehr Schmiermittel, außerdem entflammt er schon bei niedrigeren Temperaturen - das wirft Sicherheitsfragen auf. Und natürlich muss der Kapitän oder der Maschinist rechtzeitig den Schalter umlegen, damit bei der Einfahrt in ein Schutzgebiet auch wirklich kein Dreck mehr aus dem Schornstein quillt. Seit Inkrafttreten der neuen Emissionsregeln verhängten die Behörden in Nordamerika Strafen gegen vier Schiffseigner - in Höhe von zusammen 147.000 Dollar. In Deutschland wurde laut BSH bislang kein Verstoß gemeldet.
Der Kapitän der „Selandia" müsste selbst heute keine Angst vor den Kontrolleuren haben. Das Schiff tankte gewöhnlichen Dieselkraftstoff - und war damit wohl sauberer unterwegs als der Großteil der modernen Flotte. Auch in Sachen Geschwindigkeit machte die „Selandia" keine schlechte Figur: 12,2 Knoten, umgerechnet 22,6 Kilometer pro Stunde. Die riesigen Containerfrachter von heute schaffen zwar bis zu 26 Knoten, fahren aus Effizienzgründen aber meist deutlich langsamer.
Wenn 2020 die schärferen Grenzwerte weltweit in Kraft treten, ist ohnehin Schluss mit dem billigen Schweröl. Für Schiffbauer Fridtjof Rohde sind die Emissionsgrenzwerte ein Segen: „Die Rules haben enormen Einfluss auf die Technik."
„Eine Werft wieder hochzufahren ist das Spannendste, was einem Schiffbauer passieren kann."
Fridtjof RohdePünktlich zur Einführung der Emissionsschutzgebiete hat Rohde auf der Pella-Sietas-Werft am äußersten westlichen Rand Hamburgs angeheuert. Er ist ganz in der Nähe aufgewachsen, schon als Junge hörte er das Hämmern und Schleifen. Selbst wollte er nie auf der Werft landen: „Die Leute sahen nach harter Arbeit aus." Während seines Zivildienstes in einem Hamburger Seemannsheim hörte er immer wieder Geschichten über die Werft von nebenan: „Es hieß, dass die was können, was die anderen nicht können. Die bauten schon immer Schiffe, die in den Disziplinen Geschwindigkeit und Effizienz besonders gut waren. Manche nannten den Laden Gottes eigene Werft." Seine Faszination für Schiffe und Technik war geboren. Nach dem Zivildienst machte Rohde ein Praktikum - bei Sietas, wo er nach dem Schiffbaustudium auch seinen ersten Job bekam.
Am Mythos von der Wunderwerft strickt er gerne mit: „Viele unserer Frachter, die wir vor über zehn Jahren entworfen haben, sind noch heute um Längen besser als die meisten Schiffe aus Fernost." Gebracht hat es Deutschlands ältester Werft - gegründet wurde Sietas 1635 - nicht viel: Im November 2011 musste der Betrieb Insolvenz anmelden.
Dann der Neustart: Im Februar 2014 wurde die Werft vom Sankt Petersburger Unternehmen Pella Shipyard übernommen. Seit Januar 2015 gehört auch Rohde wieder zur Besatzung. „Eine Werft wieder hochzufahren ist das Spannendste, was einem Schiffbauer passieren kann", schwärmt er. „Da kommen die ganzen alten Mitarbeiter wieder an. Das ist wie eine Familie."
Was Rohde und seine Familie anbieten, ist inzwischen selten geworden. Bei Pella Sietas werden nicht nur Schiffe gebaut - sondern auch entworfen. Das machen in Deutschland nur noch einige wenige andere Werften, etwa die Flensburger Schiffbau-Gesellschaft oder die Meyer Werft in Papenburg.
„Ich will nicht billig bauen", sagt Rohde, „ich will Sachen entwerfen und bauen, die die Chinesen nicht können." Rohde weiß, wie ein Schiff aussehen muss - wenn er weiß, was das Schiff tun soll. Je nach Route sind die Bedingungen verschieden: Wassertiefe, Strömung, Häfen, Seegang. Und auch je nach Fracht sehen die Schiffe anders aus. Ein Schiff, das verderbliche Lebensmittel transportiert, muss schnell fahren - just in time. Ein Schiff, das Bauxit von Australien nach Rotterdam bringt, kann sich gegebenenfalls mehr Zeit lassen. Für eine Fähre im Wattenmeer gelten andere Regeln als für einen Fischtrawler in der Beringsee.
Viele der Effizienztechnologien, mit denen Schiffbauer wie Rohde arbeiten, wurden in Deutschland entwickelt, teils vor Jahrzehnten. Andere werden erst durch Satellitentechnik, neue Sensoren und Hochleistungscomputer möglich. So lassen Reeder inzwischen Tausende Formen für den Bugwulst durchrechnen - die dicke Nase unten am Bug, die das Schiff vor sich herschiebt. Er beeinflusst die Bugwelle und verringert dadurch die Reibung zwischen Wasser und Rumpf. Bis zu zehn Prozent Treibstoff spart ein Schiff, das mit dem richtigen Bugwulst für seine Fahrtgeschwindigkeit nachgerüstet wird.
Wobei Schiffsrümpfe völlig anders aussehen können, als wir es gewohnt sind. Moderne Formen haben einen enorm weit hochgezogenen Bug und verzichten komplett auf den Bugwulst. Bei manchen ragt der Bug oberhalb der Wasserlinie nicht nach vorn, sondern weit nach hinten - X-Bow (sprich: Crossbow) nennt die norwegische Werft Ulstein Group diese Form, die fast wie ein U-Boot aussieht und vor allem bei schwerer See höhere Geschwindigkeiten ermöglicht.
Unter der Wasserlinie arbeiten Schiffbauer an neuen Rumpfformen, die besser mit dem Ruder und dem Propeller harmonieren. Denn die sind nur effizient, wenn sie richtig vom Wasser angeströmt werden. Birnen- und entenschwanzförmige Anbauten sollen darum die Strömung lenken und dafür sorgen, dass sich weniger Wirbel bilden. Ein weiterer Anbau ist die „Mewis Duct", eine kurze Röhre, die den Wasserfluss verdichtet und zum Rotieren bringt, bevor er auf den Propeller trifft - dieser muss dann weniger Arbeit leisten. Drei bis zehn Prozent Effizienzsteigerung sollen durch diese Techniken möglich sein.
Auch mit neuen Materialien wird experimentiert: In Japan wurde letztes Jahr zum ersten Mal ein Propeller aus Kohlenstofffasern installiert, die sonst eher in der Luftfahrt verbaut werden. Der Karbonpropeller ist nicht nur deutlich leichter als die herkömmlichen Aluminium-Bronze-Modelle, er hat auch ein viel dünneres Profil - das soll ihn effizienter machen, laut Schiffsbetreiber braucht er neun Prozent weniger Leistung.
Erst seit Kurzem weiß man genau, welchen enormen Einfluss der Trimm, also die Lage des Schiffes im Wasser, auf den Treibstoffverbrauch hat. Wie ein Schiff liegt, steuert der Kapitän mithilfe der Ballasttanks, zwischen denen er Hunderttausende Liter Meerwasser mit Pumpen verteilen kann - je nach Seegang und Beladung ist ein anderer Ausgleich nötig. Messfahrten mit verschiedenen Trimmvarianten haben Daten geliefert, mit deren Hilfe computergesteuerte Pumpsysteme entwickelt werden. Computersysteme regeln inzwischen auch all die Spritfresser, die früher ständig sinnlos auf Hochtouren liefen: Kühlwasserpumpen, Stromgeneratoren, Kühlaggregate werden jetzt auf den wirklichen Bedarf eingestellt.
Und die Abwärme des Schiffsmotors, die bisher meist ungenutzt verpufft, kann inzwischen mit Turbinen in Strom für die Bordaggregate umgewandelt werden, mindestens fünf Prozent Treibstoffeinsparung soll diese Maßnahme bringen, die allerdings extrem teuer ist: 10 Mio. Dollar kosten die Abwärmeturbinen, die auf den Triple-E-Schiffen von Maersk verbaut wurden.
Aber auch ohne aufwendige und teure Umbauten lässt sich einiges sparen, wie Fridtjof Rohde bei einem Kunden beobachten konnte. Die Reederei Scandlines betreibt unter anderem die Fährverbindung von Puttgarden auf Fehmarn nach Rødbyhavn in Dänemark. 45 Minuten brauchen die Fähren für die gut 20 Kilometer lange Strecke - ein eher gemütliches Tempo, das spart enorme Treibstoffmengen. „Bis zu 30 Prozent", sagt Rohde. Leisten kann sich die Reederei das, weil sie die Liegezeit an Land drastisch verkürzt hat. „Die haben einfach dem Mann an der Schranke eine Lohnerhöhung gegeben und ihm gesagt, dass er streng auf die Abfahrtszeiten achten soll."
Skandinavische Reedereien haben in Umweltdingen ohnehin den Bug vorn. Kein Wunder: Sie fahren zu 100 Prozent in den Emissionskontrollgebieten und sind schon lange darauf vorbereitet. So sind in der Ostsee längst Fähren unterwegs, die Flüssiggas tanken - viel sauberer als Diesel, doch bislang gibt es kaum Häfen, in denen der Treibstoff getankt werden kann. Und die Gastanks nehmen an Bord viel Platz weg.
In Norwegen ist sogar eine Elektrofähre unterwegs. Das 80 Meter lange Schiff fasst 120 Autos und 360 Passagiere, zwischen den sechs Kilometer kurzen Überfahrten werden die Lithiumionen-Akkus innerhalb von zehn Minuten wieder aufgeladen. Ingenieure arbeiten auch an Designs für solar- und brennstoffzellengetriebene Schiffe.
Russland fährt indes in eine ganz andere Richtung: Bis 2016 will die Regierung den Atomfrachter „Sewmorput" wieder instand setzen, das 260 Meter lange Schiff wird dann die arktischen Gewässer unsicher machen. Technik aus der Vergangenheit - die „Sewmorput" wurde in den 1980er-Jahren gebaut.
Währenddessen gehen holländische Reeder noch weiter in der Geschichte zurück: Sie wollen den Segelantrieb zurück in die Frachtschifffahrt bringen. Wegweisend für diesen Trend ist der 2006 vom Stapel gelaufene Luxussegler „Maltese Falcon". Das 88 Meter lange Schiff hat drehbare Karbonfasermasten, an gebogenen Rahen hängen motorgesteuerte Segel, die auf Knopfdruck gehisst und gerefft werden können. Weil die ganze Segelfläche beweglich ist, kann das Schiff hoch am Wind kreuzen, die „Maltese Falcon" ist damit bis zu 18 Knoten schnell.
Dyna-Rigg heißt dieser Segelantrieb, den der Ingenieur Wilhelm Prölss schon vor über 40 Jahren entworfen hatte - ohne seine Idee verwirklichen zu können. Jetzt werden seine Zeichnungen erneut ausgerollt. In Amsterdam haben die Schiffsdesigner von Dykstra Naval Architects einen Frachter mit Dyna-Rigg entworfen, den Ecoliner. Die optimale Route wird nach den Windvorhersagen errechnet, und damit das Schiff nach Terminplan fahren kann, soll es als Ergänzung einen Dieselmotor an Bord haben.
Segelantrieb? Gab es da nicht dieses Unternehmen mit den Zugdrachen, die Frachter über die Meere ziehen sollten? Skysails heißt das Unternehmen, das eine Zeitlang im Rampenlicht stand - dann kam die Wirtschaftskrise und traf die Seefahrt besonders hart. Überkapazitäten, Preisverfall - schlechte Zeiten für Umweltinnovationen. Firmengründer Stephan Wrage musste etliche Mitarbeiter entlassen, jetzt setzt er große Hoffnungen auf die Einführung der strengeren Emissionsgrenzen: „Das Jahr 2020 ist der Innovationstreiber. Da die Konsumgüternachfrage steigen wird, geht es gar nicht anders, als die Schiffe immer effizienter zu machen."
Von seinen Segelsystemen konnte Wrage bislang zwar nur wenige Prototypen aufs Wasser bringen. Doch die Sensoren und die Software, die sein Unternehmen für die Überwachung der Zugdrachen entwickelt hat, brächten gutes Geld, sagt er. Für diesen Performance-Manager interessierten sich auch die Eigner herkömmlicher Schiffe, die mehr Daten über den Verbrauch ihrer Flotte brauchen. „Mit diesem System wollen wir den Kunden unseren Kite schmackhaft machen", sagt Wrage.
Wesentlich radikaler sind die Pläne der norwegischen Werft Lade: Beim „Vindskip" ist der Rumpf gleichzeitig das Segel. Wie eine senkrecht stehende Tragfläche ragt die Schiffshülle steil aus dem Wasser empor. Trifft der Wind von schräg vorn auf diese Fläche, dann entsteht eine Kraft in Längsrichtung, die das Schiff nach vorn schiebt. Bei Flaute springt ein gasbetriebener Propeller ein. 40 Prozent weniger Brennstoff als vergleichbare Frachter soll das Flügelschiff verbrauchen, das sein Erfinder Terje Lade 2019 vom Stapel lassen will.
Es wäre eine Revolution wie damals die „Selandia" - bleibt nur zu hoffen, dass das „Vindskip" dann unter einem besseren Stern fährt als sein Vorfahre: Knapp ein Jahr nach dem Stapellauf ging ihr Schöpfer Rudolf Diesel bei einer Geschäftsreise über Bord und ertrank im Ärmelkanal. Die „Selandia" selbst lief 1942 vor Japan auf Grund, zerbrach in zwei Teile und verschwand in den Fluten - als wollte sie das Zeitalter nicht mehr erleben, das sie eingeläutet hatte.*