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Lautloser Höhenflug

Bertrand Piccard kommt von ganz oben. Mit seinem Solarflieger war er 18 Stunden in der Luft von Madrid nach Rabat in Marokko gesegelt. Was das 1,6 Tonnen leichte Experimental-Flugzeug Solar Impulse bis nach Afrika trug, waren vor allem seine ausgezeichneten Gleiteigenschaften: Der Flieger hat eine Spannweite von über 60 Metern und fliegt extrem langsam. Auf diese Weise erreicht er eine minimale Sinkrate. Er braucht praktisch die ganze Nacht, um 9000 Meter abzugleiten, bevor er am nächsten Tag mit Motorkraft wieder aufsteigt. Damit die Solar Impulse nachts nicht absäuft, hat sie 400 Kilogramm Lithium-Ionen-Batterien an Bord, die werden tagsüber von den Solarzellen auf den Tragflächen aufgeladen.

Solar Impulse soll zeigen, dass die auch ohne fossile Treibstoffe funktionieren kann. Das haben die Segelflieger längst getan: Sie schrauben sich in über 15 Kilometer Höhe, gleiten 3000 Kilometer weit, sind bis zu 300 Kilometer pro Stunde schnell, segelten schon fast zweieinhalb Tage lang - ohne einen Tropfen Sprit.

Treibstoffverbrauch bremsen

Der globale Luftverkehr stösst jährlich 600 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 aus. 2050, heisst es, könnte es fünfmal so viel sein. Die wachsende Branche sucht daher nach Wegen, um Energie zu sparen. So mit einer perfekten Planung der Flüge, die alles verhindern soll, was den Verlauf bremsen und den Treibstoffverbrauch erhöhen könnte - etwa Warteschlaufen.

Zudem schweben manche Flugzeuge, Segelfliegern ähnlich, an bestimmten Flughäfen mit gedrosselten Triebwerken zur Piste. Voraussetzung dafür ist eine grossräumige Gliederung des Luftraums rund um den Flughafen durch die Flugsicherung.

Die Anfänge der Fliegerei

1891 flog Otto Lilienthal mit seinem "Normalsegelapparat" 25 Meter weit. Auf diesem basierte wenig später der erste Motorflieger der Welt: der Doppeldecker der Gebrüder Wright. Ein wahrer Flugrausch begann. Zentrum des Segelflugsports war die Wasserkuppe in der Rhön in Deutschland. Hier ersegelte sich der "Vampyr" 1922 seinen Eintrag in die Annalen der Luftfahrt: 8,9 Kilometer. Eine Sensation, die er einer neuen Flügelbautechnik verdankte. Sie erlaubte grössere Spannweiten und damit die Nutzung von Aufwinden.

Mit zunehmender Leistung wurden die Holzflügel immer dicker und verursachten zu grossen Widerstand. Erst Kunststofftechniken öffneten neue Horizonte. Sie ermöglichten dünne, hochfeste und extrem glatte Flügel. 1957 startete das weltweit erste, komplett aus Kunststoff gefertigte Flugzeug: der Segler FS 24 Phönix. Vor 30 Jahren liess sich der Segelflug auf die nächste Faserrevolution ein: kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff CFK - heute folgen Airbus und Boeing. "Wir sind der kommerziellen Luftfahrt meist 20 Jahre voraus", sagt Tilo Holighaus, Geschäftsführer des Segelflugzeug-Herstellers Schempp Hirth im deutschen Kirchheim Teck.

2015 um die Welt segeln

Der CFK-Einsatz gilt seit Einführung der Düsentriebwerke vor 50 Jahren als grösste Neuerung im Luftverkehr. Bei der neuen Boeing Dreamliner reduzierten die Ingenieure damit das Gewicht um ein Fünftel, entsprechend verringert das den Kerosinverbrauch. Die bis zu 300 Passagiere dürfen sich in dem Langstreckenflugzeug aus Kunststoff in Sicherheit wiegen. Segelflieger bewiesen, dass der Werkstoff den hohen Anforderungen standhält.

Einen wichtigen Anstoss für die Erforschung neuer Werkstoffe gibt auch Piccards Solar Impulse. Derzeit entsteht der Nachfolgeflieger, der eine Spannweite von bis zu 80 Metern haben wird und so noch längere Flüge zulässt. Bei diesem Flieger, der 2015 die Welt umrunden soll, wird ein neuartiges Cockpit eingebaut. Es wird geräumiger und besser isoliert sein. Auf dem Flug herrschen Temperaturschwankungen von plus 35 bis minus 40 Grad Celsius, spezielle Schäume und Kohlenstoff-Nanoröhrchen dämmen bei höchster Stabilität die Strukturbauteile.

Wasserstoffmotor im Testflug

Ein anderes Material könnte helfen, die Airliner von morgen mit Laminarflügeln auszurüsten. Die Profile solcher Flügel sind glatt und dünn und lassen die Luft ohne Turbulenzen strömen. Das Material heisst Dyneema, eine extrem reissfeste und ultraleichte Kunststofffaser. Der Kunststoffsegler FS 24 Phönix hatte bereits solche Laminarflügel. Doch die Tragflächen grosser Maschinen so zu konstruieren, dass sie laminar umströmt werden, ist ungleich schwerer. Verkehrsflugzeuge fliegen viel schneller. Ihre Flügel sind wegen der komplexen Steuertechnik im Innern dicker.

Aerodynamische Verbesserungen, kombiniert mit Solar-, Brennstoffzellen- und Akku-Techniken, könnten die Luftfahrt auf ein ganz neues Niveau heben. Auch bei den Antrieben sind die Segelflieger den Grossflugzeugen oft voraus. Die Motorisierung der Segler begann mit den Rucksackantrieben, ausklappbaren Motoren, die im Rumpf versteckt sind und nur bei Bedarf ausgefahren werden. Anfangs Verbrennungsmotoren, bald schon elektrische Einheiten - leise und umweltschonend.

Fliegende Labors

In den letzten Jahren wurden die Segler dann immer mehr zu fliegenden Experimentallaboren für neue Antriebe. Das Segelflugzeug Antares von Lange Aviation wurde vor fünf Jahren gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit einem Brennstoffzellenantrieb ausgerüstet. Er wandelt Wasserstoff in Strom um und treibt damit einen Elektromotor an. Die Antares H3 soll auf eine Reichweite von 7500 Kilometern kommen und bald einen Transatlantikflug in Angriff nehmen.

An der Universität Stuttgart entwickeln Forscher derzeit E-Genius, ein zweisitziges Elektro-Segelflugzeug. Der grosse, langsam drehende Propeller ist im Heck untergebracht. Das steigert, fanden die Forscher heraus, den Wirkungsgrad um 20 Prozent. Von den Testflügen verspricht sich auch Airbus wertvolle Erkenntnisse über den Betrieb von Elektroflugzeugen. "Wir schauen in die ferne Zukunft", heisst es bei Airbus.

Für Bertrand Piccard ist die schon zum Greifen nah: "Sind wir auf der Erde nicht alle in einer sehr ähnlichen Situation wie der Pilot der Solar Impulse?" fragt er. "Wenn er nicht die richtige Technik an Bord hat oder seine Energie sinnlos verschwendet, muss er landen, bevor ihm die aufgehende Sonne das Weiterfliegen ermöglicht." (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 17.01.2013, 07:43 Uhr)

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