"Ich kam, sah und siegte", soll Julius Cäsar einst gesagt haben. Würde er heute leben, würde dieser Satz wohl so aussehen: "Ich kam, sah und siegte - muss man denn immer alles selber machen?" Eine neue Unsitte greift um sich - die des Angebens, garniert mit einer Prise Bescheidenheit oder ein wenig Gejammer. In den USA hat sich dafür der schöne Begriff "Humblebrag" etabliert.
Auf Deutsch klingt die wörtliche Übersetzung "Bescheidenheitsprahlen" nicht ganz so elegant, ebenso wenig "Angeberheulen" oder "Scheinjammern". Vielleicht könnte man jemanden, der gleichzeitig prahlt und sich beschwert, als "Aufleider" bezeichnen?
Ganz egal, welchen Begriff man wählt, das Phänomen ist jedem bekannt: die Freundin, die sich in der Vorlesung beschwert, dass sie "so toooodmüde" ist von der wilden Feierei in diesem tollen neuen Club. Der Freund, der sich zwei Tage nach dem Erscheinen darüber beklagt, dass der neue Essayband von Jonathan Franzen "leider echt enttäuschend" sei. Ihnen genügt es nicht zu zeigen, wie aufregend ihr Partyleben ist oder wie schnell sie anspruchsvolle Bücher verschlingen. Sie wollen nicht nur Bewunderung, sondern - und das ist der Punkt, an dem es so schwer erträglich wird - auch noch Mitleid.
Es war Harris Wittels, Autor für amerikanische Fernsehserien wie "Parks and Recreation", der das Phänomen vor einigen Jahren auf den Namen "Humblebrag" taufte. Mit einem gleichnamigen Twitter-Konto sammelte und retweetete er besonders schauderhafte Fälle. Zum Beispiel ein Zitat des Regisseurs Lee Unkrich, der geschrieben hatte: "Nur falls jemand denkt, mir sei das alles zu Kopf gestiegen: 36 Stunden nachdem ich den Oscar gewonnen habe, bin ich schon wieder zu Hause und mache eine verstopfte Toilette sauber." Oder einen Tweet eines Mitgliedes der Band Two Door Cinema Club: "In dem Taxi, in dem wir sitzen, kam gerade ein Lied von uns im Radio. Total unangenehme Situation!" Der erfolglose Musiker, der in einem überfüllten Bus zum Arbeitsamt fährt, definiert "unangenehm" vermutlich anders.
Das Phänomen der falschen Bescheidenheit ist natürlich nicht auf Twitter oder Facebook beschränkt. Doch das Internet sei "das perfekte Medium dafür", meint Wittels (...)
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