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Farbenlehre für frische Luft. Berliner Umweltzone für weniger Schadstoffe

Seit dem 1. Januar 2010 hat Berlin eine der bundesweit strengsten Umweltzonen. Nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette dürfen in die Innenstadt. Diese neue Regelung trifft mehr Fahrzeuge als die erste Stufe, die vor zwei Jahren eingeführt wurde. Wurden damals nur etwa 80 000 Fahrzeuge ohne jegliche Umweltplakette ausgesperrt, müssen nun etwa 110 000 Fahrzeuge umgerüstet werden - oder draußen bleiben.

Genau darin liegt das große Potenzial der Maßnahme: "Die zweite Stufe der Umweltzone macht viel mehr Sinn als die erste," erklärt Hans-Joachim Hummel vom Umweltbundesamt, Referat Grundsatzfragen der Luftreinhaltung. "Während die erste Stufe nur eine Immissionsminderung um zwei Prozent brachte, erwarten wir von der zweiten Stufe zehn bis zwölf Prozent weniger Feinstaub."Und das ist nötig, um den EU-weit festgelegten und 2002 in deutsches Recht übernommenen Feinstaub-Grenzwert dauerhaft einzuhalten. An 35 Tagen pro Jahr und Messstelle darf der vorgeschriebene Tagesmittelwert überschritten werden. Ein Zugeständnis an ungünstige Wetterlagen mit geringem Luftaustausch oder mit hohem Ferneintrag, wenn Feinstaub aus anderen Regionen herangeweht wird.

Neu ab 1. Januar gilt der EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2), der angibt, wie hoch die gemessene NO2-Menge im Jahresdurchschnitt sein darf (40µg/m3). Er wurde 2008 und 2009 an fast allen Messstellen, die an verkehrsreichen Straßen liegen, überschritten.

Beide Grenzwerte sollen die Gesundheit der Anwohner schützen. Je kleiner die Feinstaubteilchen, desto tiefer können sie in die Lunge und weiter in den Organismus eindringen und desto größer ist das Risiko zu erkranken. Die Palette reicht von entzündlichen Veränderungen im Atemtrakt bis hin zu Beeinträchtigungen von Herz und Kreislauf. Auch Stickstoffdioxid führt zu Atemwegserkrankungen und es verstärkt die Reizwirkung anderer Luftschadstoffe.

Dass die Besitzer von Fahrzeugen ohne grüne Plakette von der neuen Regelung nicht begeistert sind, ist klar. Vor allem Unternehmen klagen über erhebliche finanzielle Belastungen. Und über großes Desinteresse für ihre Situation auf Seiten der Gesetzgeber und Behörden. "Für die erste Stufe der Umweltzone mussten wir bereits 50 Prozent der Fahrzeugflotte ersetzen oder nachrüsten. Jetzt ist die zweite Hälfte dran", sagt Michael Reitemann, Fuhrparkleiter der Firma Zapf Umzüge. "Für Unternehmen unserer Branche grenzen die neuen Vorgaben an Kapitalvernichtung, denn unsere Stadtfahrzeuge halten länger als zehn Jahre und fahren rund zwanzig Kilometer am Tag. Vier Jahre alte Fahrzeuge, die noch nicht einmal abgeschrieben sind, müssen jetzt ausgesondert oder kostspielig nachgerüstet werden", so Reitemann weiter.

Stefan Mathews, Branchenkoordinator Verkehr der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, sieht in der Umweltzone eine wirtschaftsfeindliche und zudem kaum zweckmäßige Maßnahme zur Verbesserung der Berliner Luft. Angesichts der großen Bedeutung des Ferneintrags von Feinstaub aus anderen Regionen sei der Einfluss der Umweltzone nur marginal. "Der geringen Wirkung stehen extreme Kosten gegenüber. Zumindest hätte man die Einführung der zweiten Stufe ins Jahr 2012 verschieben sollen, damit die Unternehmen genügend Zeit haben, ihren Fuhrpark nach und nach zu erneuern." Mathews kritisiert auch die bundesweit uneinheitliche Handhabung von Ausnahmegenehmigungen, die - jeweils begleitet von unterschiedlich hohen Gebühren - für jede Stadt mit Umweltzone gesondert beantragt werden müssen. Kommunen, die die vorgegebenen Grenzwerte noch nicht einhalten, können bei der Europäischen Kommission eine Fristverlängerung beantragen. Dafür müssen sie jedoch nachweisen, dass sie bereits mit geeigneten Maßnahmen begonnen, also beispielsweise eine Umweltzone eingeführt haben. Eine Fristverlängerung für den Feinstaub-Grenzwert gibt es maximal bis zum Jahr 2011, für NO2 bis 2015 - danach würde Berlin ein Vertragsverletzungsverfahren durch die EU-Kommission riskieren. Mit der zweiten Stufe der Umweltzone stehen die Chancen jedoch gut, dass es so weit nicht kommt, so das Umweltbundesamt: Bis zu 20 Tage mit zu hoher Feinstaub-Belastung lassen sich dadurch vermeiden. Für die Einhaltung des NO2-Grenzwertes ist die Umweltzone ebenfalls sinnvoll: Die neuen Motoren der Fahrzeuge mit grüner Plakette sind auch in diesem Bereich optimiert.

Und noch etwas gibt Hans-Joachim Hummel vom Umweltbundesamt zu bedenken: Im Zielkonflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen einerseits und dem Schutz der Gesundheit andererseits wurde nicht nur die Wirksamkeit sondern auch die Verhältnismäßigkeit von Umweltzonen wiederholt von Gerichten bestätigt - so zum Beispiel in Hannover, in Köln und gerade erst im Dezember auch in Berlin. "Man darf nicht immer nur die PKW- und LKW-Nutzer in den Mittelpunkt der Diskussion stellen", so Hummel. "Man muss auch die Anwohner im Blick haben, die die belastete Luft einatmen müssen."

Wissenswert:

Schonfrist: Sie gilt im Januar für Fahrzeuge mit gelber Plakette. Lange Lieferfristen der Filterhersteller verhinderten, dass Pkw rasch nachgerüstet werden konnten.Härtefälle: Nicht nachrüstbare Fahrzeuge mit gelber Plakette dürfen mit entsprechender Bescheinigung von TÜV oder DEKRA noch ein Jahr in die Umweltzone. Alle anderen müssen nachweisen, dass die Umrüstung eines Fahrzeuges wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Es gibt Ausnahmen. www.berlin.de/umweltzone.

Fördergelder: Das Umweltministerium möchte die Nachrüstung mit Partikelfiltern weiter fördern und auf leichte Nutzfahrzeuge erweitern. Das Haushaltsgesetz 2010 ist abzuwarten.

Entscheidungshilfen: Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) führt eine Umweltliste. Ecotopten empfiehlt umweltschonende Autos mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. www.vcd.org/vcd_auto_umweltliste.html

www.ecotopten.de/produktfeld_mobil.php



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