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Wenn Schüler selbst entscheiden, was sie lernen wollen - immer mehr Alternativschulen

Die Schulzeit verbinden viele mit Leistungsdruck. Mittlerweile gibt es aber einige Schulen, die es anders machen wollen. Doch ihr Weg ist nicht unumstritten.

Wenn Lizzy keine Lust auf Mathe hat, könnte sie es einfach mal sein lassen. Macht sie aber nicht. Lizzy geht in die neunte Klasse der Freien Aktiven Schule in Wülfrath (FASW) bei Düsseldorf. Und da ist vieles anders als an einer gewöhnlichen Schule.

Die FASW ist eine Private Ersatzschule. Zum Schuljahr 2017/2018 gab es landesweit 548 solcher Schulen mit 209 350 Schülern - Tendenz steigend.

Wer selbst entscheiden kann, was er lernen will, der lernt auch lieber - so das Grundprinzip Freier Schulen. Aber machen die Kinder überhaupt noch Mathe und Rechtschreibung, wenn sie nicht müssen? "Ja", sagt Robert Freitag, Schulleiter der FASW. Denn die Schüler verstehen demnach, dass bestimmte Dinge wichtig sind. Und widmen sich auch ungeliebten Fächern.

Dabei lernen sie neben dem Schulstoff noch ganz andere Dinge, ist Freitag überzeugt: Was liegt mir? Und wie lerne ich am besten? Das Netto-Lernergebnis sei am Ende wie an öffentlichen Schulen, sagt der Schulleiter. Allerdings legen Forschungsergebnisse auch nahe, dass nicht alle Schüler mit der Freiheit gleich gut klarkommen.

Lizzy guckt an diesem Tag erstmal auf dem Dienstplan im Matheraum nach, welcher Lehrer heute da ist. "Bei manchen verstehe ich es einfach besser", sagt sie. Volumenberechnung steht auf ihrem Plan. Den hat sie zu Beginn der Woche mit ihrem Mentor besprochen. Zusammen haben sie Ziele für die Woche festgelegt. Wann sie was macht, teilt Lizzy sich selbst ein.

Hinter Freien Alternativschulen stehen häufig Elterninitiativen und Vereine. Gab es 2007 noch 444 solcher Einrichtungen in NRW, waren es zehn Jahre später schon knapp ein Viertel mehr, wie Zahlen des NRW-Schulministeriums zeigen. "Oftmals sind die Initiatoren unzufrieden mit den bestehenden, öffentlichen Schulen", sagt Tilmann Kern, Geschäftsführer des Bundesverbands Freier Alternativschulen (BFAS), der etwa 100 Schulen und Initiativen vertritt.

Wer sich entscheidet, eine eigene Schule zu gründen, braucht eine Genehmigung von der zuständigen Bezirksregierung. Voraussetzung ist laut Schulministerium etwa, "dass die Schule in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht".

In Düsseldorf gibt es seit etwa 13 Jahren eine solche Initiative. Mittlerweile ist der Antrag für die Gründung der "Demokratischen Schule Düsseldorf" eingereicht - im Herbst 2019 könnte es losgehen. Tom Knevels ist Teil der Initiative. Er hat selbst Lehramt studiert und eine Schule gesucht, hinter deren Konzept er steht. "Schule, das ist für viele nur Zeit absitzen", erinnert sich Knevels an seine Zeit als Schüler. Viele hätten sich danach kaum auf die "wirkliche Welt" vorbereitet gefühlt.

Mittlerweile ist er selbst Vater und möchte, dass seine Kinder andere Erfahrungen machen - an einer Schule, an der man sie ernst nehme. Doch der Weg dahin ist nicht einfach - vieles muss lange vor dem Start genau ausgefeilt und geplant sein. Wie kommen Schüler an welchen Abschluss? Wie finanziert sich die Schule? Wer soll welche Inhalte vermitteln?

Steht dann am Ende die perfekte Schule? "Es gibt keine Patentlösung für alle Schulprobleme", sagt Professor Rainer Barz aus der Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Nicht für jeden sei ein freies Modell das Richtige. Trotz positiver Eindrücke einer Studie, für die 947 Kinder an 38 Freien Alternativschulen befragt wurden, zeigt sich demnach auch: Manche Schüler können mit den Freiheiten nicht umgehen. Gerade lernschwache Kinder wünschten sich mehr Struktur, Ordnung und Orientierung - und sogar Noten als Bewertung. Immer wieder seien Schüler verunsichert, ob sie den Abschluss, den sie wollen, schaffen werden.

Was den Freien Schulen sonst fehlt? "Geld und Anerkennung in der Forschung", sagt Heiner Barz. Zwar werden sie vom Land gefördert, ohne Beiträge der Eltern gehe es aber meist nicht. Und auch wenn - wie in Wülfrath - Wert darauf gelegt wird, dass Geld kein Hindernis für den Besuch ist, kann es doch sein, dass bildungsferne Familien mit kleinem Einkommen eher Abstand von diesen Schulen nehmen.

Lizzy geht gerne auf die FASW. Mit Hilfe ihres Lehrers hat sie ihre Matheaufgaben schnell erledigt. Ob sie denn wirklich mal Tage hat, an denen sie so gar nichts macht? "Nein", sagt die Schülerin. Sicher, es komme mal vor, dass sie einen schlechten Tag habe. "Da setze ich mich schon mal in den Kunstraum und male zwei Stunden vor mich hin", sagt Lizzy. Aber meist finde sie auch an solchen Tagen die Motivation, noch etwas Sinnvolles zu machen. (Carolin Scholz, dpa)

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