"Ankerzentrum" - was nach sicherem Hafen klingt, soll eine Durchgangsstation für Flüchtlinge werden. "Ankerzentrum", das steht für Ankunft, Entscheidung und Rückführung. Gedacht sind solche Zentren für Asylbewerber. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will so die Asylverfahren beschleunigen. In Sachsen soll demnächst die Erstaufnahmeeinrichtung in Dresden zu solch einem Ankernzentrum werden.
Mouse Bahloul und Yassine Agouli wohnen beide in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Hamburger Straße. Doch "wohnen" würde der 21-jährige Palästinenser Mouse Bahloul es nicht nennen. "Die Badezimmer sind ekelhaft, es ist immer dreckig. Und sie sind total voll, man kann nie ins Bad, weil immer besetzt ist", so der junge Asylbewerber.
Mouse Bahloul lebt seit 8,5 Monaten in der Massenunterkunft - zusammen mit knapp 500 Anderen. Wegen der vielen Menschen gäbe es immer wieder Streit. "Die Leute sitzen die ganze Zeit rum, niemand hat etwas zu tun. Klar gibt's da Probleme." Keine ideale Bedingungen. Menschen verschiedener Herkunft und Religion leben eng zusammen, mit ganz unterschiedlichen Bleibeperspektiven. Der Frust ist hoch.
Asylverfahren sollen gebündelt und beschleunigt werden
Die politische Idee: Jeder Flüchtling bleibt solange, bis über seinen Asylantrag entschieden ist. Alle beteiligten Behörden wie Bamf,
Jugendamt und sogar Gericht sitzen unter einem Dach. Wessen Antrag
abgelehnt wird, darf nicht länger bleiben und wird abgeschoben. Das
Ziel: Niemand soll im Ankerzentrum länger bleiben als 18 Monate.
Maximalkapazität: 1.500 Menschen.
Bayern: Viele Probleme in Vorläufer der "Ankerzentren"
Vorbilder der Anker-Idee finden sich in Bayern. In der
Aufnahmeeinrichtung in Bamberg sind schon jetzt alle Behörden
versammelt. Im März durften angemeldete Kamerateams bei einem
Presserundgang dort drehen. Das Bild: Bamberg - ein
Vorzeige-Flüchtlingsheim.
Wie es in der Unterkunft mit gut 1.400
Bewohnern wirklich aussieht, können wir nur erahnen. MDR-exakt liegen
Aufnahmen vor, die das Innere zeigen sollen: Verdreckte Küchen,
verwahrloste Zimmer.
Verunsicherte Asylbewerber, regelmäßige Konflikte
Ein Bewohner des "Vorzeige-Heims", in dem das Asylverfahren besonders schnell gehen soll, erzählte uns von seinen Erfahrungen. "Ich habe ein Infoblatt bekommen. Da steht drauf: Niemand soll hier länger als sechs Monate bleiben. Aber ich bin 13 Monate hier. Einer meiner Freunde 14 Monate", sagte der afghanische Flüchtling, der unerkannt bleiben will. Das Schlimmste sei für ihn, nicht zu wissen, wie es weitergeht und ob er uns seine Freunde eine Zukunft in Deutschland haben.
Die zuständige Regionalregierung schreibt uns: Nur jeder zehnte Bewohner
sei länger als sechs Monate dort untergebracht. Die Stadt Bamberg hat
das Zentrum von Anfang an kritisiert. So viele Flüchtlinge ohne
Perspektive führten unweigerlich zu Konflikten, sagte die
Stadtsprecherin Ulrike Siebenhaar MDR-exakt. "Wir sehen die Frustration
der Menschen, die da drin sind. 1.500 Menschen, die teilweise schwer
traumatisiert sind und nicht wissen, wie es weitergeht für sie, einfach
weil ihr Aufenthaltstitel noch ungeklärt ist. Wir sehen das nicht als
Vorbild. Und vor allem dürfen die Dinge nicht größer werden. Das ist
jetzt schon am Rande der Kapazität", so Siebenhaar.
Ein weiteres Problem: Die Kriminalität
Der afghanische Bewohner erzählt, dass in der Unterkunft viel geklaut
werde. Auch statistisch ist die Kriminalität in Bamberg gestiegen - 2017
um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut Polizei haben vor allem
Ladendiebstähle durch Menschen aus dem Camp zugenommen.
Die Kritikpunkte an den bereits bestehenden "Ankerzentren" häufen sich, auch in Sachsen. Flüchtlingsrat und Linkspartei lehnen die, wie sie sagen, "Lager" für Flüchtlinge kategorisch ab. Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt sieht das Problem in der Konzentration von Menschen, die keine Bleibeperspektive haben. Damit gehe eine unwahrscheinlich große Unzufriedenheit einher, die den Menschen jede Chance zur Integration nehme.
Warum will Sachsen trotz aller Kritik ein "Ankerzentrum"? Nachfrage beim sächsischen Innenminister Roland Wöller (CDU).
Wir wollen die Situation verbessern, weil wir wissen: Die Verfahren dauern nicht schnell genug. Sie sind auch nicht rechtssicher genug. Und eben das soll mit dem Ankerzentrum gelöst werden.
Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU)
Die Erfahrung in Bayern zeigen: Die zentrale Unterbringung hat hohes Konfliktpotenzial. Sachsen will sich dennoch an der Pilotphase für die geplanten Asyl- und Abschiebezentren beteiligen. Wie das konkret aussieht, wann es losgehen soll und wer dann überhaupt in das "Ankerzentrum" kommt - diese Fragen sind noch offen.
Erstausstrahlung: 30.05.2018, MDR, exakt
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