Auf den ersten Blick klingt es nach einer Schnapsidee: Zwei Brüder, Mitte 20, kinderlos, wollen den Kinderwagenmarkt auf den Kopf stellen. Ihr Versprechen: Hochwertig, chic, sicher und günstiger als die Markenkonkurrenz. Doch wer mit Markus Ott spricht, merkt schnell, dass hinter dem Bonavi-Kinderwagen mehr als ein Hirngespinst steckt. Doch von Anfang an: Vor drei Jahren ist der Betriebswirt noch an einem Matratzen-Start-up beteiligt. „Wir haben auch eine Babymatratze entwickelt. So kam ich das erste Mal mit dem Markt für Babyprodukte in Berührung", erzählt der Wahlberliner. Besonders zwei Faktoren reizen ihn: die Zielgruppe und ein konservativer Markt.
Gebaut auf Erfahrungen von ElternEltern haben hohe Ansprüche an Qualität, Sicherheit und Design, sind aber bereit, für den Nachwuchs tief in die Tasche zu greifen. Allein 2016 gaben sie rund 7,6 Milliarden Euro für Baby- und Kinderausstattung aus. Doch gerade große Anschaffungen - Möbel, Autositz oder der Kinderwagen - werden offline gekauft. Steffen Kahnt vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels wundert das kaum. „Werdende Eltern stehen vor vielen Fragen. Entsprechend glücklich sind sie über kompetenten Rat. Neben dem physischen Produkt zum Anfassen und Ausprobieren kann der Einzelhandel genau damit punkten", erklärt er. Gerade Kinderwagen seien eine teure, gut überlegte und vor allem einmalige Investition.
Kinderwagen ausschließlich im InternetDoch von solchen Einschätzungen lassen sich die Brüder nicht abschrecken. „Wir wollten von Anfang an alles anders machen", erklärt Ott. Noch mehr: Sie wollen den Kinderwagenmarkt gehörig auf den Kopf stellen. Ihr Kinderwagen wird deshalb ausschließlich über das Internet vertrieben. Den werdenden Eltern gewähren sie 30 Tage zum Testen. Gefällt der Wagen nicht, wird er kostenlos zurückgenommen. Der Vorteil: Ohne Zwischenhändler und ihre Margen sinkt der Preis. Und in Sachen Komfort, Sicherheit und Materialien müssten die Eltern laut Ott keine Abstriche machen.
Für die Entwicklung holten sie sich nicht nur den Rat von zahlreichen befreundeten Eltern, sondern auch von der Berliner Hebamme Luise Kaller, die 50 Berufsjahre hinter sich hat. Die gesammelten Erfahrungen und Anregungen haben sich offenbar positiv auf das Onlinegeschäft mit dem Kinderwagen ausgewirkt. Laut Ott schreibt das Familienunternehmen inzwischen schwarze Zahlen. Gerade wurde in Kooperation mit einem der größten chinesischen Hersteller für Babysachen ein zweites Modell auf den Markt gebracht. Verkauft wird Bonavi bisher in Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie England. Weitere Länder sollen folgen.
Verkaufsschlager Kinderwagen Nachhaltige ProduktionsbedingungenAusschließlich im Internet verkauft auch Angel Cab seine Kinderwagen, allerdings mit einer ganz anderen Philosophie. Vinzent Karger und sein Bruder Luis, ebenfalls kinderlos, setzen auf Nachhaltigkeit und Qualität „made in Franken", verstehen sich als soziale Unternehmer. Von den geflochtenen Körben bis zu den Stoffen und dem Gestell werden alle Bauteile in einem Umkreis von 90 Kilometern gefertigt, oft von kleinen Manufakturen. „Die meisten unserer Zulieferer kennen wir persönlich. Das garantiert nachhaltige Produktionsbedingungen und faire Löhne. Außerdem schonen die kurzen Transportwege die Umwelt", sagt Karger.
Die Materialien sind allesamt schadstofffrei, Baumwolle, Schafwolle, Kork, Holz und Kokos nach dem Nachhaltigkeitssiegel GOTS zertifiziert. Das sei ein klarer Unterschied zu vielen Konkurrenzprodukten auf dem Markt, sagt Karger. Tatsächlich entfallen auf einen Kinderwagen im Laden bis zu 50 Prozent Einzelhandelsaufschlag. Schnäppchenpreise von 300 bis 600 Euro sind da nur durch eine Produktion in Fernost realisierbar, nicht selten mit Abstrichen in Sachen Qualität oder Nachhaltigkeit.
Weniger Rendite, nachhaltiges Wachstum„Wir setzen dagegen lieber auf weniger Rendite, dafür aber auf nachhaltiges Wachstum. Zum Beispiel sind unsere Herstellungskosten deutlich höher als bei der Konkurrenz", räumt Karger ein. Um die Modelle dennoch für Kunden erschwinglich zu machen, verkaufen die Brüder ihre Wagen ebenfalls ausschließlich im Internet.
Neben dem Vertrieb wird auch an Werbung oder Marketing gespart. Stattdessen setzen die Gründer lieber auf Mundpropaganda. Auf der Website können Eltern ihr Wunschmodell außerdem nach dem Baukastenprinzip zusammenstellen. Die Kombinationsmöglichkeiten gehen dabei in die Hunderttausende. Ähnlich wie bei Bonavi kann man sich auch einen Testwagen für ein Wochenende bestellen - gegen eine kleine Schutzgebühr.
Ein Produkt für die Masse sei Angel Cab dabei nicht, stellt Karger klar. Die Kunden seien vor allem Menschen, die nicht nur einen schönen Kinderwagen kaufen wollen, sondern auch Wert auf Nachhaltigkeit legen. Dass eine Nische durchaus verkaufsfördernd sein kann, bestätigt Steffen Kahnt. Aus Sicht des Handelsexperten ist ein Kinderwagen schließlich mehr als nur „Grundausstattung" - er ist für viele Eltern ein Statussymbol mit Außenwirkung.
Von Birk Grüling/RND