Junge Eltern wünschen sich eine Gleichverteilung von Erziehung und Beruf. Doch nur wenige wagen den Schritt in die tatsächliche Gleichberechtigung. Kinder und Karriere partnerschaftlich zusammenzubringen ist möglich - aber noch nicht weit verbreitet.
Hannover. Die neue Generation Vereinbarkeit" - mit diesem Slogan wirbt das Bundesfamilienministerium für das Elterngeld plus. Sogar ziemlich erfolgreich, wie neue Zahlen nahelegen. Immer mehr Eltern nutzen das Angebot, nach der Geburt gemeinsam in Teilzeit zu arbeiten und dafür länger Elterngeld zu bekommen. Vorteil: Die Mütter kehren früher in den Beruf zurück, und die Väter bringen sich mehr in die Erziehung ein - jedenfalls bis zum Ende der Elternzeit. Dass sich junge Paare dauerhaft Erziehung und Beruf gleichberechtigt teilen, bleibt die Ausnahme.
Wie bringt man Familie und Beruf unter einen Hut?Hanna und Martin Drechsler wagten nach der Geburt ihres Sohnes Jonne genau dieses Vereinbarkeitsexperiment. In aller Konsequenz: Sie wechselten ihre Jobs und organisierten ihren Alltag neu. „Wir haben uns in der Schwangerschaft gefragt, wie wir als Familie leben wollen", sagt Hanna. Eine Rollenverteilung mit männlichem Ernährer und Vollzeitmama kam nicht infrage. Martin wollte viel Zeit mit dem Sohn verbringen und Hanna sich beruflich verwirklichen.
Zu den gemeinsamen Vorstellungen kam der Zwang zur Veränderung. Hannas alte Stelle wurde eingespart. Bei Martins Arbeitgeber, einem Spirituosenhersteller, stießen seine Teilzeitambition auf wenig Gegenliebe. „Die Kündigung war die einzige Chance, meine Vorstellungen von Vatersein umzusetzen", sagt der 36-Jährige. Zum Glück fand er schnell eine Anstellung bei einem Beratungsunternehmen - spezialisiert auf New Work und Familie. 30 Stunden arbeitet er dort. Hanna wagte einen Neustart. Nach zehn Monaten Elternzeit kehrte sie ins Berufsleben zurück und machte eine Coaching-Ausbildung. Heute unterstützt sie Jugendliche bei der Berufsorientierung und baut sich eine Existenz als Coach auf. Auch sie arbeitet 30 Stunden pro Woche.
Viele Absprachen sind im Alltag nötigIm Alltag erfordert die geteilte Berufstätigkeit viele Absprachen. Hanna beginnt früh mit der Arbeit, holt dafür Jonne aus der Kita. Nur am Dienstag arbeitet sie lange. Martin übernimmt den morgendlichen Gang in die Kita und hat dienstags und freitags einen Papa-Sohn-Nachmittag. „Inzwischen nutzen wir einen digitalen Familienkalender. So können wir alle privaten und beruflichen Termine koordinieren", sagt Hanna. Bei Krankheit oder wichtigen Terminen springen die Großeltern oder die Tante als Babysitter ein.
Junge Eltern wünschen sich mehr GleichberechtigungMit diesem Modell sind die jungen Eltern eher die Ausnahme. Zwar wünschen sich viele junge Eltern Gleichberechtigung, die Realität sieht aber anders aus. Laut der 2017 erschienen OECD-Studie „Dare to Share" dominiert in Deutschland der „Eineinhalbverdienerhaushalt". Der Mann ist Hauptverdiener, zu über 90 Prozent vollbeschäftigt. Die meisten Mütter arbeiten in Teilzeit und kümmern sich vornehmlich um Kinder und Haushalt.
„Eine partnerschaftliche Aufteilung ist noch nicht im gesellschaftlichen Mainstream angekommen", bestätigt Volker Baisch. Der Geschäftsführer der Väter gGmbH berät Unternehmen in Sachen Familienfreundlichkeit. Aus seiner Sicht mangelt es an Vorbildern für neue Rollenverteilungen. „Hart arbeitende Versorger sind gesellschaftlich anerkannt und lange Arbeitszeiten immer noch die Voraussetzung für die Karriere", sagt er. Auch das Geld ist ein Gleichberechtigungshindernis. Männer verdienen - auch bei gleicher Arbeit - mehr. Eine berufliche Gleichberechtigung können oder wollen sich viele Familien angesichts steigender Mieten und hoher Kita-Gebühren nicht leisten. Dazu kommen staatliche Anreize wie die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen oder das Ehegatten-Splitting.
Wirtschaft und Politik sind in der PflichtBaisch sieht aber nicht nur die Politik in der Pflicht. Verantwortung trage auch die Wirtschaft. „Eltern müssen immer noch zwischen Familie und Karriere entscheiden. Wir brauchen dringend einen Wertewandel, weg von langer Präsenzkultur, hin zu einer familienfreundlichen Arbeitswelt", sagt er. Angebote wie Führungspositionen in Teilzeit oder die bewusste Karriereförderung von Eltern stecken hierzulande noch in den Kinderschuhen - im Gegensatz zu Skandinavien. In Schweden und Dänemark kehren Mütter früher und häufiger in Vollzeit in den Beruf zurück. Väter gehen länger in Elternzeit oder arbeiten öfter Teilzeit - ohne Angst vor beruflichen Nachteilen. In Deutschland ist der Wunsch nach skandinavischer Gleichverteilung dagegen mit beruflichen „Einschnitten" verbunden.
Kind und KarriereDas haben auch Martin und Hanna Drechsler erfahren. Martin verdient in seinem neuen Job deutlich weniger, Aufstiegschancen gibt es nicht. Auch für Hanna ist der Aufbau einer freiberuflichen Existenz in Teilzeit alles andere als einfach. Grund zu hadern sehen die beiden trotzdem nicht. „Eine klassische Karriere hatte für uns nie Priorität. Viel wichtiger ist eine erfüllende Arbeit mit Sinn", sagt Hanna.
Die junge Mutter hilft nun jungen Menschen bei wichtigen Lebensentscheidungen. Martin engagiert sich für eine familienfreundliche Arbeitswelt und findet darin mehr Erfüllung als im Verkauf von Spirituosen. Noch wichtiger: Beide haben heute genug Zeit für die Familie und die Partnerschaft. Eine Lebensqualität, die ihnen mehr wert ist als dicke Boni oder ein großer Dienstwagen.
Von Birk Grüling/RND