Viele Eltern machen sich zu große Sorgen um ihre Kinder, glaubt Dr. Karella Easwaran. Die Kinderärztin rät deshalb in ihrem Buch „Das Geheimnis gesunder Kinder" zu mehr Gelassenheit.
Köln. Im Matsch spielen, auch mal ein bisschen Erde essen. Mit anderen Kindern spielen, wenn diese gerade einen Schnupfen haben - für einige Eltern unvorstellbar. Sie behüten ihr Kind rund um die Uhr. Die Kölner Kinderärztin Dr. Karella Easwaran hat zu den Sorgen und Ängsten der Eltern eine ganz eigene Meinung...
Wie schmal ist der Grad zwischen normaler Fürsorglichkeit und unnötigen Sorgen um mein Kind?Sich Gedanken um sein Kind zu machen, ist sehr wichtig. Entscheidend ist das „Wie". Natürlich macht man sich schnell Sorgen um ein fieberndes Kind. Auch eine Erkältung nach der anderen ist lästig und anstrengend. Doch das Immunsystem des Kindes braucht diese „Herausforderungen" um zu wachsen. Wenn Eltern ihrem kranken Kind einen Kamillentee machen, sich Zeit zum Kuscheln nehmen und es trösten, dann ist das positiv und trägt zur Genesung bei. Denken sie aber sofort beim ersten Husten an eine mögliche Lungenentzündung, erzeugt das nur unnötigen Stress. Und die Kinder spüren die elterlichen Sorgen sehr genau und der Stress überträgt sich. Genau das behindert die Genesung des Kindes.
Wie entstehen die Sorgen bei den Eltern?Sorgen entstehen aus einem negativen Kopfkino. Das Kind hat schon wieder eine Erkältung und schläft schlecht. Auch die Eltern machen kein Auge zu und grübeln vor sich hin, ob es vielleicht nicht doch etwas Ernstes ist. Nicht selten ist der Stress der Eltern schwerwiegender als die Krankheit des Kindes. Dazu kommt die Sorge, um eine mögliche Betreuung. Kann ich meinem Chef schon wieder sagen, dass mein Kind krank ist? Schnell entsteht so eine regelrechte Sorgen-Spirale, die zu einer Belastung für unseren Körper werden kann. Ständiger Stress ist die Ursache Nummer eins für Zivilisationskrankheiten wie Migräne, Bluthochdruck, Adipositas oder kann sogar zu einem chronischen Erschöpfungszustand führen. Davon sind auch immer mehr Eltern betroffen.
Eigentlich leben wir doch in sicheren Zeiten. Woher kommen die wachsenden Sorgen der Eltern?Alle Eltern wollen engagierte und gute Mütter und Väter sein. Bei diesem Streben nach Perfektion werden sie überhäuft mit Informationen und Ansichten wie man Kinder richtig erzieht oder wie schnell Entwicklungsschritte eintreten müssen. Gleichzeitig fehlt vielen Eltern die eigene Familie, die sie um Rat fragen können oder die sie bei Betreuung der Kinder unterstützt. Das sorgt für große Verunsicherung und überträgt sich auch auf die Erziehung. Ich erlebe in meiner Praxis immer mehr Eltern, die kaum Vertrauen in ihre Kinder haben und den eigenen Einfluss auf die kindliche Entwicklung völlig überschätzen. Wir müssen viel gelassener werden und mehr an unsere Kinder glauben.
Wie nehmen Sie den Eltern ihre Ängste und Unsicherheit?Einfach zu sagen, Machen Sie sich keine Sorgen, bringt nichts. Deshalb erkläre ich den Eltern ganz genau, wie schädlich Stress für die ganze Familie ist und was gerade im Körper ihrer Kinder passiert. Jede Erkältung, jedes Fieber beeinflusst die Abwehrkräfte. Kinder, die schon früh Infekte bekommen, entwickeln mit der Zeit ein starkes Immunsystem und sind im späteren Leben oft weniger anfällig für Krankheiten. Ich sage gern, „Jeder überstandener Infekt verlängert das Leben um fünf Jahre". Das ist natürlich nicht ganz wissenschaftlich korrekt, aber die Eltern lächeln und sind etwas beruhigter.
Wie können Eltern gelassener und entspannter werden?Das ist gar nicht schwer. Wir müssen nur einige Schrauben im Kopf in eine andere Richtung drehen. Wenn wir positiver denken und nicht immer gleich vom Schlimmsten ausgehen, können wir unseren Kindern mehr Geborgenheit und Sicherheit vermitteln und ihre Selbstheilungskräfte anregen. Außerdem werden wir selbst zum Ruhepol und ertragen stressige Situation viel gelassener. Dazu ist auch mehr Vertrauen in die Fähigkeiten unserer Kinder nötig. Sie werden auch die zehnte Erkältung gut überstehen und sich weiterentwickeln, auch ohne dass wir uns viele Gedanken darum machen müssten. Und wer sich trotzdem mal unsicher ist, sollte sich Rat und Unterstützung holen, dafür sind wir Kinderärzte schließlich dar. Lieber einmal zu viel im Wartezimmer sitzen, als selbst krank vor Sorge zu werden.
Lässt sich die Gelassenheit auf „Notfall"-Situationen übertragen?Ja, ein typischer Notfall ist ein Fieberkrampf oder ein Sturz vom Klettergerüst. Auch hier sollten die Eltern einen kühlen Kopf bewahren und nicht sofort in Panik verfallen. Mein Ratschlag: SADH: Stop, Atmen, Denken, Handeln: Sagen sie einen Moment lang Stopp und atmen tief durch. So bringen sie Ordnung in das eigene Handeln und fokussieren sich. Die kontrollierte Atmung sorgt außerdem dafür, dass weniger Stresshormone ausgeschüttet werden. Erst wenn der erste „Kämpfen oder Fliehen"-Reflex überwunden ist, können sie klar denken und handeln. In diesem Fall sollten sie das Kind beruhigen und unverzüglich ärztliche Hilfe rufen.
Von Interview: Birk Grüling/RND