Ein wichtiger Anlass dazu war die UN-Kinderrechtskonventionen. Diese fordert mehr Mitspracherecht für den Nachwuchs. Das Konzept der „Demokratie-Kita" gibt es schon länger. Das Land Schleswig-Holstein fördert seit Ende der 90er Partizipation. Dabei wurde auch ein Partizipationskonzept für Kitas mit dem Namen „Die Kinderstube der Demokratie" entwickelt. Zum Beispiel sollen die Pädagogen gemeinsam mit den Kindern über die Gestaltung von Räumen, die Anschaffung von neuem Spielzeug oder die Auswahl von Ausflugszielen entscheiden. Außerdem dürfen die Kinder selbst Rechte für sich einfordern oder eigene Vorschläge einbringen. Dieser Grundsatz wird seit 2002 bereits bundesweit in einzelnen Einrichtungen umgesetzt.
Kita-Verfassung und Kinderparlament Was ist die Besonderheit an dem Vorhaben der AWO in Schleswig-Holstein?Wir wollen das Konzept der „Demokratie-Kita" in allen 60 AWO-Kindertagesstätten in Schleswig-Holstein einführen. Die Kitas durchlaufen dafür eine Umsetzungsphase und werden bis 2020 zertifiziert. Sie müssen nachweisen, dass die Kinderrechte im Alltag verankert sind und eine eigene Verfassung mit den Kindern entwickeln. Darin werden alle Regeln und Rechte festgehalten. Außerdem werden Mitbestimmungsgremien für die Kinder geschaffen - zum Beispiel ein Kinderparlament.
Was sollen die Kinder durch dieses Projekt lernen?Im Prinzip geht es um die Vermittlung von demokratischen Grundwerten wie Meinungsfreiheit, ein Recht auf Mitbestimmung oder die eigene Entscheidungsfindung. Deshalb werden die Kinder schon sehr früh am Entscheidungsprozess beteiligt. Sie stimmen nicht nur über die Nutzung der Puppenecke ab, sondern entwickeln auch eigene Ideen. Das sind wichtige Kernelemente für jede Entscheidung in einer gelebten Demokratie. Auch vor eine Wahl beschäftigt man sich ja mit verschiedenen Positionen und Wahlprogrammen und entscheidet sich dann für eine Partei oder einen Kandidaten, der die eigene Meinung vertritt.
"So kamen sie selbst zum Schluss, dass die Haltung von Löwen und Pferden eher unpassend für eine Kita ist" Wie werden die Kinder an der Entscheidungsfindung beteiligt?Das erkläre ich am besten an einem Beispiel. In einer Kita sollte ein Tier angeschafft werden. Die Kinder wurden natürlich nach ihren Wünschen gefragt. Das Ergebnis: Sie wollten einen Löwen. Auf Platz Zwei stand ein Pferd. Die Erzieher haben diese Vorschläge nicht einfach abgelehnt. Stattdessen sollten die Kinder selbst recherchieren, wie man einen Löwen oder ein Pferd artgerecht halten kann. So kamen sie selbst zum Schluss, dass die Haltung von Löwen und Pferden eher unpassend für eine Kita ist. Am Ende wurden es dann Meerschweinchen. Auch ihre Betreuung in den Ferien organisierten die Kinder selbst. Diese übernimmt nun ein befreundetes Tierheim.
Wie können die Kinder sonst noch ihre eigenen Wünsche einbringen?In einer Kindertagesstätte wurde vor einigen Jahren das Bällebad aus der Turnhalle entfernt. Die Erzieher wollten so mehr Platz zum Spielen schaffen. Die Kinder waren an dieser Entscheidung noch nicht beteiligt. Inzwischen gibt es einen Kinderrat. Ein kleiner Junge äußerte dort den Wunsch nach der Rückkehr des Bällebades. Mit dieser Idee ging er von Gruppe zu Gruppe und warb um Stimmen. Der Kitarat hat daraufhin eine Abstimmung einberufen. Am Ende konnte sich der Junge mit seiner Forderung durchsetzen und das Bällebad kehrte in die Turnhalle zurück.
Wie haben die Fachkräfte vor Ort auf die Einführung der Demokratie-Kita reagiert? Immerhin ist die Arbeitsbelastung auch ohne kindliche Mitbestimmung schon hoch.Natürlich gab es anfangs auch kritische Stimmen. Das änderte sich häufig nach den ersten positiven Erfahrungen mit dem Kinderrat und der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Die Kollegen erleben Kinder, die sehr wohl in der Lage sind verantwortungsvolle Entscheidungen für sich und ihre Kita zu treffen. Diese Erfahrung motiviert die pädagogischen Fachkräfte. Inzwischen sehen fast alle Pädagogen die Vorteile für die Kinder und sind selbst Feuer und Flamme für das Projekt. Immerhin steigt das Selbstbewusstsein der Mädchen und Jungen. Sie übernehmen mehr Verantwortung und sagen offen ihre Meinung. Das bereichert den Kita-Alltag ungemein.
"Der Kinderrat entschied sich für eine drastische Strafe" Müssen sich die Kinder daran gewöhnen, dass sie nach ihrer Meinung gefragt werden?Kinder freuen sich, wenn Erwachsenen sie ernst nehmen, nach ihrer Meinung fragen und sie bei wichtigen Fragen mitbestimmen dürfen. Mit diesem Recht gehen sie sehr verantwortungsbewusst um. Ein Beispiel dafür ist die Tümpelgeschichte. Neben einer unserer zertifizierten Kitas ist ein eingezäunter Tümpel. Lange Zeit machten sich die Kinder einen Spaß daraus, vom Kletterturm aus Schaufeln und Eimer in den Tümpel zu werfen und ihnen beim Versinken zuzusehen. Trotz Ermahnungen und Verbotsschilder haben die Erzieher das Problem nicht in den Griff bekommen. Im Zuge der Demokratie-Kita wurden nun die Kinder selbst nach einer Regelung gefragt. Der Kinderrat entschied sich für eine drastische Strafe. Wenn jemand eine Schaufel und einen Eimer in den Tümpel wirft, wird das gesamte Spielzeug für einen Tag weggeschlossen. Selbst die Erzieher haben erstmal geschluckt. Das Ende der Geschichte: Es wurde nur eine Schaufel im letzten Jahr über den Zaun geworfen. Die Kinder passen nun selbst auf, dass keine Eimer und Schaufel versenkt werden.
Wo liegen die Grenzen der Mitbestimmung?Unser Prinzip ist nicht alle Macht den Kindern, sondern eine verbindliche Übergabe von Verantwortung. Natürlich entscheiden die Pädagogen im Alltag immer noch viel selbst. Die Grundregeln des Zusammenlebens werden zum Beispiel nicht in Frage gestellt. Wenn ein Kind einem anderen weh tut oder etwas kaputt macht, wird kein Kinderparlament einberufen. Hier gelten weiterhin klare Regeln.