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Vom PR-Manager zum Hausmann: Rolle rückwärts - SPIEGEL ONLINE - KarriereSPIEGEL

Sebastian H. nimmt einen letzten Schluck aus der Kaffeetasse, lehnt sich gegen die Balkonbrüstung und atmet durch. Ein arbeitsamer Vormittag liegt hinter dem 38-Jährigen. Das Geschirr ist gespült. In der Altbauwohnung riecht es nach frischer Wäsche. Selbst der Boden des Kinderzimmers ist für die nächsten Stunden bauklotzfrei. "Jetzt kann ich Bennett aus der Kita holen und wir gehen wie jeden Tag zusammen auf den Spielplatz", sagt der Hamburger und verstaut zwei Brotdosen in seiner Umhängetasche. Eine mit Reiswaffeln, eine mit Apfelspalten.

Die Kinderkarre steht bereits schwer beladen im Hausflur. Aus dem Gepäcknetz ragt ein Laufrad samt buntem Helm. Seit zwei Jahren ist er nun Vollzeitpapa. Seinen Job als PR-Manager für eine Whiskeymarke gab er vor der Elternzeit auf. Statt um Events mit Rockstars und Festival-Aktionen kümmert er sich seitdem um Kind und Haushalt.

Anfangs war die Umstellung groß. "Der Alltag mit Kind ist fremdbestimmt. Privatsphäre oder etwas Zeit, um mal eine Serie zu gucken, hat man erst, wenn der Lütte im Bett liegt", sagt er. Auch der Austausch mit Kollegen und die Herausforderungen im Job fehlten ihm manchmal - gerade in der Zeit als sein Sohn noch nicht sprechen konnte. Für Sebastian allerdings kein Grund zu hadern. "Auch wenn die geistigen Herausforderungen und der Berufsalltag mir schon manchmal fehlen, habe ich keine Minute der Elternzeit bereut. Die Chance das Aufwachsen so hautnah zu begleiten, gibt einem keiner wieder."

Seine Frau arbeitet in Vollzeit als Berufsschullehrerin. Bevor Vater und Sohn am Morgen aufstehen, verlässt sie leise die Wohnung. An diesem Dienstag ist ihr Stundenplan besonders voll. Die letzten Klausuren vor den Zeugnissen müssen korrigiert werden. Vor 18 Uhr wird sie nicht zu Hause sein - gerade früh genug für das gemeinsame Abendbrot, ein bisschen Toben und die Gute-Nacht-Geschichte.

Deutsche Familien bleiben traditionell

Mit ihrer Rollenverteilung sind die jungen Eltern eine Ausnahme. Erst vor Kurzem bescheinigte die OECD-Studie "Dare to Share" Deutschland ein weiterhin traditionelles Familienbild. Von einem gesellschaftlichen Wandel ist demnach wenig zu spüren. Väter sind noch immer Hauptverdiener - 93,7 Prozent von ihnen in Vollzeit.

Zwar hat die Zahl der berufstätigen Frauen in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Mütter arbeiten jedoch meist in Teilzeit und steuern im Schnitt nur knapp 25 Prozent des Familieneinkommens bei. Zum Vergleich: In Schweden sind es über 35 Prozent. Umgekehrt ist das Verhältnis bei der unbezahlten Hausarbeit. Hier übernehmen die Mütter 62 Prozent der Arbeit.

Grund für das Festhalten am Modell des Allein- oder Hauptverdieners ist oft das Geld. Männer verdienen - auch bei gleicher Arbeit - immer noch meist mehr. Eine berufliche Gleichberechtigung können oder wollen sich viele Familien nicht leisten. Dazu kommen staatliche Anreize wie die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen in der Krankenkasse oder das Ehegattensplitting.

Auch beim Rollentausch von Sebastian H. und seiner Frau spielte das Geld eine wichtige Rolle - und die Sicherheit ihres Jobs im Öffentlichen Dienst. Ihr Gehalt als Lehrerin reicht, um den Lebensstandard der jungen Familie zu halten. Gleichzeitig wollen die beiden ihren Sohn nicht den gesamten Tag in die Betreuung geben.

Die Entscheidung, seine Karriere hinten anzustellen fiel leicht, wie er sagt: "Ich habe mich als Mann noch nie über eine klassische Versorgerrolle definiert. Ich stand auch früher schon oft in der Küche und habe im Haushalt geholfen." Klingt toll und total modern. Allerdings steckt Sebastian H. jetzt in einer Position, von der Frauen seit Jahrzehnten dringend abgeraten wird. Denn sie birgt Gefahren: Altersarmut und wirtschaftliche Unsicherheit, falls die Ehe zerbricht. Darüber mache er sich schon manchmal Gedanken, räumt der Hamburger ein.

Allein unter Frauen

Von Freunden und Bekannten bekommt der Vollzeitpapa für seine Entscheidung Zuspruch. Andere junge Väter beneiden ihn um die viele Zeit mit seinem Sohn. Dabei erhält er als Mann für ein Lebensmodell kräftig Zuspruch, dass bei einer Frau heute eher müde belächelt würde. Und selbst in der Großstadt tun es ihm nur wenige Geschlechtsgenossen gleich. Das zeigt sich auch am Nachmittag auf dem Spielplatz.

Während der 38-Jährige einen schattigen Platz für die Kinderkarre sucht, saust Bennett los zum Klettergerüst. Kein anderer Vater weit und breit zu sehen. "Die meisten Papas verschwinden nach zwei oder drei Monaten Elternzeit wieder", sagt er. Ihn stört das nicht. Längst ist er akzeptiertes Mitglied der Spielplatz-Mütter-Gang. Die Kinder teilen Spielzeug und Knabberkram, die Erwachsenen Interesse und Gesprächsthemen - die neuesten Erlebnisse im Kindergarten, die letzte Wachstumsphase oder eine anstehende Impfung. Die Gespräche am Sandkasten helfen allen über Rolf Zuckowski in Dauerschleife hinweg.

Noch etwas anderes verbindet sie, auch wenn dieses Thema nur selten zwischen den Klettergerüsten diskutiert wird: Sie alle sind von ihren Partnern abhängig. Sebastian jobbt inzwischen wieder ein bisschen: Zwei Vormittage pro Woche als 450-Euro-Aushilfe in einer Suppen-Bar. Mittelfristig will er mehr arbeiten, am liebsten jeden Vormittag. Aber am wichtigsten ist ihm, dass genug Zeit mit Bennett bleibt.

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