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Kinderbetreuung - Tagesvater: Jeden Tag ein neues Abenteuer - Goettinger-Tageblatt.de

Hamburg. Der Frühstückstisch auf dem Waldboden ist reichlich gedeckt. In aufgeklappten Brotdosen warten Beeren, Obst und kleingeschnittene Käsebrote auf die fünf Jungs. „Es wird brüderlich geteilt. Jeder nimmt sich, was er mag", sagt Tagesvater Steven Spyrou und angelt sich selbst eine Apfelspalte. Lange hält es ohnehin niemanden am Buffet. Bei besten Sonnenschein, in Hamburg bekanntlich eine Seltenheit, erkunden die Kinder lieber umgestürzte Bäume oder die Krabbeltiere zwischen den Blättern auf dem Erdboden. „Mobilen Waldkindergarten" nennt Spyrou sein pädagogisches Konzept. Mit dem Bollerwagen oder Radanhänger bricht er täglich in die grünen Ecken von Blankenese und Umgebung auf. Bei jedem Wind und Wetter erkunden die Jungs den Elbstrand, spielen im Wald oder besuchen einen nahegelegenen Bio-Bauernhof. „Ich mache die Kinder so zu kleinen Umwelt-Aktivisten", sagt Spyrou augenzwinkernd. Seit über 13 Jahren ist der schlaksige Mann mit den braunen Haaren bereits Tagesvater. Täglich von 9 bis 14.30 Uhr kümmert er sich um fünf Kinder zwischen einem und drei Jahren.

Alles begann mit der Geburt der ersten von drei Töchtern. Damals war der Hamburger noch Rock-DJ auf St. Pauli und veranstaltete Konzerte mit Bands aus dem In- und Ausland. Dieses turbulente (Nacht-)Leben gab er auf und wurde Hausmann, während seine Frau an ihren Arbeitsplatz in der Handwerkskammer zurückkehrt. Anfangs hütete er nur gelegentlich die Kinder befreundeter Paare. Dann erfuhr Spyrou von der Ausbildung zur Kindertagespflegekraft. In heute 300 Unterrichtstunden lernen Tageseltern alles über den Umgang mit Kleinkindern und ihre pädagogische Förderung. Für den Einstieg in den Beruf sind noch ein Führungszeugnis, Versicherungen und Erste-Hilfe-Kenntnisse nötig. Außerdem führen die Jugendämter Eignungsgespräche mit allen Interessenten.

Die Zahl der angehenden Tagesväter ist dabei gering - auch wenn der Männer-Anteil in frühpädagogischen Berufen langsam steigt. Ein Grund dafür sind wohl die Rahmenbedingungen. Gerade der Start ist schwierig. Gründungswillige Tageseltern müssen geeignet große Räume anmieten und Spielzeuge anschaffen. Außerdem sind die Auflagen in Sachen Hygiene oder Sicherheit hoch. Natürlich sind diese Qualitätsansprüche beim Umgang mit kleinen Kindern begrüßenswert. Sie setzen aber auch ein finanzielles Polster voraus. Außerdem müssen sich die Tageseltern selbst um ihre ersten Kinder kümmern.

„Nachwuchssorgen" kennt der 49-Jährige längst nicht mehr. Sein mobiler Waldkindergarten ist bekannt wie ein bunter Hund. Fast täglich gibt es neue Anfragen. Die eigene Warteliste ist bis 2018 gut gefüllt. Eltern wie Heike Müller entscheiden sich bewusst für den Tagesvater. „Eine Freundin erzählte mir von Steven. Ich mag die familiäre Atmosphäre in seiner kleinen Gruppe. Außerdem sind die Kinder jeden Tag draußen und erleben Abenteuer", erklärt sie. Ihr kleiner Sohn ist gerade in der Eingewöhnungsphase.

Doch selbst mit langer Warteliste bleibt ein großes Problem bestehen - und zwar die schlechte Bezahlung. Tageseltern sind faktisch selbstständig. Sie zahlen die Hälfte der Beiträge für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung aus eigener Tasche. Nur die Preise selbst gestalten, dürfen sie nicht. Stattdessen entscheidet jede Kommune selbst, wie viel sie für die Betreuung zahlt. Der Flickenteppich der Vergütung reicht von 2,50 bis 7,50 Euro pro Kind pro Stunde. Mehr als fünf Kinder dürfen nicht gleichzeitig betreut werden. Mancherorts gibt es immerhin Zuschüsse zur Gründung, für die Anschaffung von Spielzeug oder Möbel oder die Übernahme von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen.

In Hamburg ist die Bezahlung nach Qualifizierungsstufen aufgeteilt. Spyrou erreicht durch regelmäßige Weiterbildungen bald die dritte und höchste Stufe. Damit verdient er genauso viel wie ein Erzieher in einer städtischen Kita. Grund mit der eher mauen Bezahlung zu hadern, sieht der Tagesvater trotzdem nicht. „Meine Arbeit mit den Kindern gibt mir so viel. Das ist mehr Wert als ein hoher Lohn. Ich bereite sie auf den Gang in den Kindergarten vor und kann ihnen ein Gefühl für die Umwelt vermitteln", erklärt er. Seinen Bildungsauftrag hat Tagesvater für heute erfüllt. Nach einer großen Erkundungstour im Wald und dem Fund einiger versteinerter Muscheln sind die fünf Jungs müde und glücklich. Mit dem Fahrrad geht es zurück in die Wohnung. Im Kühlschrank wartet bereits ein selbstgemachter Pfannkuchenteig. Schließlich haben auch kleine Umweltaktivisten irgendwann Hunger.

Tagesvater werden

Die Ausbildung zum Tagesvater dauert 300 Stunden - von ihr ausgenommen sind Tageseltern mit einer frühpädagogischen Berufsausbildung. Das Jugendamt verlangt außerdem ein Führungszeugnis, eine Unfall- und Haftpflichtversicherung und ein Erste-Hilfe-Kurs vorgewiesen werden. Zusätzlich gibt es Auflagen für die Räumlichkeiten. Sie müssen ausreichend groß sein, jedes Kind braucht ein eigenes Bett. Außerdem wird großer Wert auf Sicherheit und Hygiene gelegt. Nach der Ausbildung und der Erlaubnis vom Jugendamt sind regelmäßige pädagogische Fortbildungen und Erste-Hilfe-Kurse Pflicht. Mehr Infos zur Ausbildung und Gründung gibt es unter http://kindertagespflege.fruehe-chancen.de/

Von Birk Grüling/RND

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