Ein Typ mit Bart lächelt niedlich in die Selfiekamera. Er sitzt an einem Rasthof hundert Kilometer vor Wien, hinter ihm ein Schild der Autobahngesellschaft Asfinag. In seinem Blick liegen die Naivität und Selbstsicherheit von einem, der in 25 Lebensjahren noch nie auf die Schnauze geflogen ist. Zumindest nicht so, dass es wirklich wehgetan hätte. Er hatte noch nie echten Liebeskummer, er war noch nie auf einer Beerdigung. Eine Krise ist für ihn, wenn der FC Bayern München zweimal hintereinander verliert. Er sieht aus wie ich, aber er ist mir fremd. Gleich steigt er wieder in seinen roten Renault Twingo, und in einer Stunde beginnt dann das nächste Abenteuer, Studienbeginn in Wien. Er schickt seiner Freundin noch schnell das niedliche Selfie, aus dem Auto noch eine Sprachnachricht.
„Fest & Flauschig“ ist ein Podcast, den sie oft zusammen hören. Am Schluss der Nachricht macht er ein Kussgeräusch. Wie er redet. Für seine Freundin hat er eine eigene Tonlage, höher als seine normale Sprechstimme. In seinen ersten Tagen in Wien schickt er seiner Freundin jeden seiner Blicke: Blick aus dem Fenster, Blick aus der Küche, Blick aus dem Bett. Selfie vom Schreibtisch und Selfie vom Balkon. Gute-Nacht-Sprachnachrichten in dieser Tonlage, die wenig mit seiner tatsächlichen Stimme zu tun hat.
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