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DAS FLEISCH DER GÖTTER

(Bild © Thomas Albdorf)

Nicht Tier, nicht Pflanze: Pilze sind eigenständige Organismen mit viel unentdecktem Potenzial. Forscher setzen daher Hoffnungen auf die Geheimnisse der Fungi-Welt.

„Sie tragen dich dorthin, wo Gott ist", antworteten ihm indigene Bewohner des Dorfes ­Huautla de Jiménez, als er wissen wollte, warum um Himmels willen sie Pilze verehrten. Hier, in den Hochebenen Südmexikos, sollte ­Roger ­Gordon ­Wasson, New Yorker Banker und Hobbyforscher, im Jahr 1955 finden, was er 30 Jahre lang gesucht hatte: den Pilz Teonanacatl - das „Fleisch der Götter". Wasson wusste, dass Menschen im Laufe der Jahrhunderte in verschiedenen Teilen der Welt einen Pilzkult betrieben, fand aber in modernen Aufzeichnungen keinen Nachweis, warum dem so war. Wie die meisten seiner Zeitgenossen unterschied er Pilze schlicht in zwei Kategorien: essbar oder giftig. Die indigene Schamanin ­María ­Sabina weihte den neugierigen Großstädter in ein tiefer gehendes Geheimnis ein. Er durfte an einer Zeremonie teilhaben, deren wichtigster Programmpunkt auf die religiösen Riten der Maya und Azteken zurückgeht: den Verzehr psilocybinhaltiger Pilze.


Der im Teonanacatl (auch: Mexikanischer Kahlkopf) in großen Mengen vorhandene Wirkstoff verursacht unter anderem starke Halluzinationen und eine Aufspaltung des Bewusstseins. Was ­Wasson erlebte, nachdem er ein paar Kappen und Stile des kleinen Pilzes verspeist hatte, schilderte er später, tief beeindruckt, in der Reportage „Seeking the Magic Mushroom" im US-Magazin „Life": „Was wir sahen, erinnerte an nichts, was wir je mit eigenen Augen gesehen hatten", schrieb Wasson und schlussfolgerte: „Irgendwo in uns muss ein Aufbewahrungsort liegen, in dem diese Visionen schlafen, bis sie gerufen werden. Sind die Visionen eine unterbewusste Transmutation unserer Erfahrungen? Oder führen uns die Pilze tiefer und öffnen Türen ins wirklich Unbekannte?"


Wassons Erfahrungsbericht avancierte im Laufe der Jahre nicht nur zur Lieblingslektüre von sinn- und rauschsuchenden Hippies. Er gilt bis heute als wichtiger Ausgangspunkt für die Wiederentdeckung der Pilze in der westlichen Kultur. Als Medizin und Mysterium, das in vielen Bereichen noch immer unerforscht ist. Schwamm- oder lamellenbestückte Fruchtkörper, wie sie bei Champignons, Steinpilzen und Pfifferlingen oder bei den verehrten Kahlköpfen aus Mexiko verzehrfertig aus dem Boden sprießen, sind dabei nur die sichtbaren Arme der Pilzwelt. Der weitaus größere und bedeutendere Teil des Fungi-Reichs existiert unter der Erde. „Die wahren Pilze sind versteckt lebende Fadenwesen im Boden oder Holz. Sie sind manchmal unheimlich anmutende, fremde, alienartige Kreaturen ohne Augen und Fell", schreibt der österreichische Biologe ­Robert ­Hofrichter im Buch „Das geheimnisvolle Leben der Pilze" (2016). Menschen, so ­Hofrichter, falle es nicht leicht, diesen unbekannten Geschöpfen gegenüber Empathie zu entwickeln - „erst recht nicht, wenn sie schleimig oder mit unbekannten Giften ausgestattet sind." Auch die ARTE-Dokumentation „Im Königreich der Pilze" beschwört die Andersartigkeit der Fungi: „Wir wissen viel über Einzeller wie Bakterien und Vielzeller wie Pflanzen und Tiere", erklärt Mark ­Fricker, Biologe an der Oxford University. „Pilze hingegen sind ungewöhnlich, weil sie ein einziges, verbundenes Netzwerk sind." Nur ein Bruchteil der schätzungsweise rund zwei Millionen existierenden Arten sei derzeit ordentlich erforscht.


Unstrittig ist, dass Pilzen in der Evolution eine Schlüsselfunktion zukommt. Wie Bakterien zählen sie zu den Destruenten (Zersetzer), die organische Substanzen abbauen und in anorganische Bestandteile zerlegen. So schufen Pilzkolonien, die sich unter anderem von Gesteinsmineralien ernährten, vor rund einer Milliarde Jahre die Grundlage für unser heutiges Leben auf der Erde. Vor 500 Millionen Jahren, als die ersten Algen aus dem Meer aufs Land übersiedelten, waren es schließlich Pilze, die neue Symbioseformen ermöglichten und so die Evolution entscheidend beschleunigten.


Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Mai-Ausgabe des ARTE Magazins!


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