SZ: Erstmals seit 175 Jahren unterstützt SciAm einen Präsidentschaftskandidaten. Wieso gerade jetzt?
Laura Helmuth: Natürlich gab es früher schon Präsidenten, die wissenschaftliche Erkenntnisse infrage gestellt haben. Donald Trump ist aber der Erste, der sie aktiv ablehnt, Experten anzweifelt, Fehlinformationen und Verschwörungsmythen verbreitet. Er ist ein Nationalist, der mit seinen Reiseverboten die internationale Zusammenarbeit behindert - dabei lebt Wissenschaft von Kooperation. Er will mit den USA aus dem Pariser Klimaabkommen und der Weltgesundheitsorganisation austreten. Und auch sein Management der Pandemie ist katastrophal: Weil er Evidenz und Expertise ablehnt, sterben viele Menschen.
SciAm engagiert sich also weniger für die Demokraten, als vielmehr gegen Trump? Haben Sie intern diskutiert, ob man Partei ergreifen sollte?Genau. Wir sprechen bewusst nicht von Demokraten oder Republikanern, weil wir unparteiisch bleiben wollen. Diese Wahl geht über die Parteien hinaus: Es geht darum, für Fakten einzustehen und sich gegen Fehlinformationen zu wenden. Dass Trump Republikaner ist, ist zweitrangig. Wir hoffen, dass viele traditionell republikanische Wähler das ähnlich sehen.
Oh ja. Alle Redakteure haben mitdiskutiert. Wir haben die Entscheidung sehr ernst genommen - und waren uns dann alle einig, dass gerade wir unsere Stimme erheben müssen: Wir Menschen, die sich viel mit Wissenschaft, Gesundheit, Forschung, Umwelt beschäftigen. Dafür hat unser leitender Redakteur Josh Fischman dann mit allen aus der Redaktion gesprochen, ihre Ideen und Anmerkungen gesammelt. Er hat den Leitartikel geschrieben, aber wir alle haben unsere Gedanken einfließen lassen.
SciAm veröffentlichte den Artikel vergangene Woche, kurz zuvor hatte Trump den Klimawandel erneut öffentlich geleugnet. War Ihre Veröffentlichung eine Reaktion darauf? Wie reagierten Ihre Leser auf die Wahlempfehlung?Interview am Morgen
Für diese Entscheidung gab es auch Kritik. Der Psychologe Geoffrey Miller beschuldigte Sie auf Twitter des Verrats an 175 Jahren Objektivität, Integrität und Überparteilichkeit. Was entgegnen Sie?Nein, der Termin stand schon lange fest. Aber Trump sagt ja mehrmals die Woche etwas, das der Forschung widerspricht. Im Grunde war es also egal, wann wir den Artikel veröffentlicht haben.
Es gab viel Unterstützung. Viele Leser haben sich bedankt: Unser Text habe ihnen gezeigt, wie schlecht das Kabinett Trump wirklich ist. Denn als faktenbasiertes Wissenschaftsmagazin sollten wir es eigentlich nicht nötig haben, eine Empfehlung auszusprechen. Wissenschaft sollte kein großes Wahlkampfthema sein. Historisch war sie das ja auch nie, doch dieses Mal muss sie es sein. Wir hoffen, dass wir nie wieder einen Präsidentschaftskandidaten unterstützen müssen - leider sehen wir uns jetzt aber dazu gezwungen.
SciAm hat sich immer schon positioniert, wenn es um soziale Fragen ging. Vor allem während des Kalten Krieges: Wir engagierten uns gegen das atomare Wettrüsten, die Entwicklung der Wasserstoffbombe, Ronald Reagans Raketenabwehrsystem Star Wars. Später unterstützten wir Stammzellenforschung und Evolutionslehre. 2016 äußerten wir in einem Leitartikel Zweifel an Trumps Eignung für das Präsidentenamt, warnten, dass er die Wissenschaft verachtet. Aber wir haben nie gesagt: "Wählt Hillary Clinton!" Nun mussten wir diesen letzten Schritt gehen. So schlimm und dringlich wie jetzt war es noch nie.
Original