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Maßregelvollzug: Zwischen Heilung und Flucht | MDR Aktuell

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07.04.17 | Eine große Steinmauer umgibt das Klinikgelände - die Gebäude der Psychiatrie und des Maßregelvollzugs, die sogenannte forensische Psychiatrie, liegen in Bernburg direkt nebeneinander. Erst auf den zweiten Blick zeigen Überwachungskameras, Stacheldrahtzaun und Eisenstangen vor einigen Fenstern den Unterschied.

Seit 25 Jahren behandelt Ärztin Heike Mittelstedt hier Straftäter, die wegen einer Alkohol- oder Drogensucht therapiert werden und denen vor Gericht eine Aussicht auf Erfolg bescheinigt wurde. Die Voraussetzung in Bernburg untergebracht zu werden, bestünden darin, dass die Patienten im Zusammenhang mit der Suchterkrankung Straftaten begangen hätten, so Mittelstedt.

Der Plan ist, durch Behandlung der Suchtkrankheit die Patienten in die Lage zu versetzen, dass sie künftig ein suchtmittel- und damit straffreies Leben führen können.
Heike Mittelstedt, Ärztin in der forensischen Psychatrie Bernburg
Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben

Anders als Suchtkranke in Bernburg, werden in Uchtspringe, der anderen Maßregelvollzugs-Einrichtung in Sachsen-Anhalt, hauptsächlich psychisch kranke Straftäter untergebracht. Sie waren nicht oder sind nur eingeschränkt schuldfähig. Beide Einrichtungen stehen vor dem Balanceakt die Öffentlichkeit zu schützen, aber auch die Patienten auf ein eigenständiges Leben vorzubereiten. Dafür gibt es sechs Lockerungsstufen, angefangen beim Ausgang mit einem Mitarbeiter bis hin zum unbeaufsichtigten Probewohnen zum Schluss. Wenn jemand die Ausgangsregeln in Bernburg verletzt, schießt der ärztlichen Direktorin Mittelstedt auch heute noch das Adrenalin ins Blut. Auch wenn es oft keine lange geplante Flucht sei. Manchmal reiche schon ein Anruf von der Freundin, die sagt, sie habe jetzt einen anderen. Oder abgesagte Besuche oder wenn der Kontakt zum Kind verwehrt werde.
Qualifizierte Pfleger fehlen besonders in Ostdeutschland

Richtige Ausbrüche aus gesicherten Gebäuden sind selten - vier waren es in Sachsen-Anhalt in den vergangenen fünf Jahren. Dass jemand beim Ausgang entwischt oder nicht pünktlich zurückkehrt, kommt öfter vor. Laut Sozialministerium gab es seit 2012 in Bernburg 30 sogenannte Entweichungen und in Uchtspringe 14. Die entkommenen Straftäter hätten niemanden verletzt.

Diese Fälle bilden weniger als ein Prozent aller Lockerungsmaßnahmen. Über die Lockerungsstufen entscheidet ein Team aus Ärzten, Psychologen und Pflegern individuell - überwacht von der Staatsanwaltschaft. Dafür sei besonders die Einschätzung der Pfleger wichtig, weil sie viel Zeit mit den Patienten verbringen, sagt Werner Stuckmann, der Sprecher eines bundesweiten Netzwerks, zu dem sich Pflegedienstleiter im Maßregelvollzug zusammengeschlossen haben.

Er bemängelt, dass in den ostdeutschen Bundesländern der Anteil qualifizierter Pfleger zu gering sei. Das sei eine Gefahr für die Sicherheit, so Stuckmann. Auch müsse man das Krankheitsbild des Patienten kennen, um eine Gefährlichkeit einschätzen zu können.

Man muss wissen, in welchen Situationen ein Rückfall entstehen könnte. Je geringer die Qualifikation ist, desto größer ist das Risiko, dass man da laienhaft einschätzt.
Werner Stuckmann, Sprecher des Netzwerkes Forensik

Fehlende Fachkräfte hatte auch der Landespsychiatrieausschuss Sachsen-Anhalts in der Vergangenheit beklagt. Ärztin Heike Mittelstedt wünscht sich für den Maßregelvollzug durchaus mehr Fachkräfte, es würden ständig Pfleger weitergebildet.

Aber sie glaubt, Missbräuche könnten nie einhundertprozentig ausgeschlossen werden, wenn Menschen mit Menschen arbeiten. Das Sozialministerium prüft nach dem Ausbruch aus dem Maßregelvollzug im Januar aber auch die bauliche Sicherheit der Bernburger Anlage.