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Ehefrau werden, Feministin bleiben

Oft heißt es, mit dem ersten Kind drohe jungen, emanzipierten Frauen der Rückfall in alte Geschlechter rollen. Unsere Autorin stellt fest: Während der Hochzeitsvorbereitungen ist die Gefahr ähnlich groß.


Als ich im vergangenen Herbst auf einem Holzschemel stehe, rascheln um mich herum etliche Zentner Tüll. Die Verkäuferin klatscht in die Hände, meine zukünftige Schwiegermutter hört gar nicht mehr auf, mir Komplimente zu machen. Hätte mich jemand ein Jahr früher gefragt, hätte ich prophezeit: In ein Brautmodengeschäft gehe ich höchstens als Begleitung und zum Proseccotrinken. Mir selbst tue ich den Stress nicht an. Auf dem Weg nach Hause fühle ich mich überführt: So schnell werfe ich also meine Prinzipien über den Haufen. Ein klassisches, langes, vor allem neues Brautkleid wollte ich eigentlich gar nicht haben. Und während viele andere Bräute an diesem Punkt wohl bereits grübeln, welche Haare zu ihrem Kleid passen, frage ich mich vor allem: Wie viele Zugeständnisse werde ich in den kommenden Monaten noch machen


Mir war schon klar, dass dieses Hochzeitsthema schwierig werden könnte. Im Jahr 2017, in dem wir über Frauenquoten diskutieren und wieder mit pinken Mützen gegen Sexismus auf die Straße gehen, kleiden sich Frauen in jungfräuliches Weiß und lassen sich vor dem Altar von Papa an Schatz übergeben. Wirklich? Andererseits: Wie schwer kann es schon sein, sich von dieser patriarchalen Gruselshow fernzuhalten? und Feminismus das muss sich gegenseitig nicht ausschließen. Oder doch?


Ich will nicht auf den Antrag warten

Der Anfang zumindest war noch leicht. Sommer 2016, mein Freund und ich sind zurück in unsere Heimatstadt gezogen. Seit neun Jahren sind wir zusammen, wir haben oft über die gescherzt, unsere Großeltern werden schließlich auch nicht jünger. Eigentlich wäre das also ein guter Zeitpunkt für einen Antrag. Doch mein Freund fragt nicht. Geduld war noch nie meine Stärke. Zu Hause auf dem Sofa mache ich es also selbst: "Möchtest du mich heiraten?" "Ist das jetzt ein Antrag?", fragt er grinsend.


"Ja." "Dann möchte ich." Wir lachen. Und sind plötzlich verlobt. Zum erwartet niemand von mir, dass ich meinen Auserwählten mit einem Brillanten markiere. Das spart Geld. Doch obwohl ich den Antrag selbst gemacht habe, frage ich mich auch: Weshalb ist mir das eigentlich wichtig? Und bin damit Teil eines bemerkenswerten Trends: Der soziale Druck zu heiraten, nimmt immer weiter ab. Der Trauschein ist seit gut 40 Jahren nicht mehr nötig, um als Paar eine Wohnung zu mieten. Jedes dritte Kind wird in Deutschland außerhalb einer Ehe geboren. Wenn man ähnlich verdient, lohnt sich auch das Ehegattensplitting kaum. Trotzdem steigt die Anzahl der Eheschließungen. Zwei von drei Deutschen unter 40 finden das Konzept Heirat zeitgemäß.


Die Niedlichkeitsfalle in all ihrer Pastelligkeit

Und doch ist die Ehe auch immer noch Ausdruck einer Ungleichheit. Eine Zeit lang hatte ich mir deshalb vorgenommen, das Heiraten so lange zu boykottieren, bis es rechtlich vom Geschlecht entkoppelt ist. Denn die eingetragene Lebenspartnerschaft ist eben nur ein eheähnliches Konstrukt. Dass Angela Merkel ein ungutes Gefühl hat, wenn gleichgeschlechtliche Paare ein Kind adoptieren, erzeugt bei mir ungute Gefühle. Doch ich bin gut darin, mir Dinge schönzureden, wenn mir für den Verzicht darauf die Disziplin fehlt. Ich will feiern, dass ich die Liebe meines Lebens gefunden habe.


Doch nach dem Antrag merke ich schnell: Bei dem institutionalisierten Event Hochzeit lauert an jeder Abbiegung, egal ob in Stuckenborstel oder München, egal wie viel Geld man ausgibt, die Niedlichkeitsfalle in all ihrer Pastelligkeit.


Herbst 2016, wir fangen an zu planen, entscheiden uns für das Datum 24.6.2017 , schreiben die Gästeliste und entwerfen Einladungskarten. Zur Inspiration klicken wir uns durch das Internet. Wer dort nach Hochzeit sucht, dem flirren bald die Augen vor lauter rosafarbenen Herzen. Ich lande bei Hochzeitsblogs wie "Lieschen heiratet", "Fräulein K sagt ja" und "The Little Wedding Corner". Überall gibt es Inspiration zu Frisuren, Kleidern, Locations, Menüs. Alles natürlich superindividuell und trotzdem in einer raumübergreifenden Rüschigkeit, die mir bald auf die Nerven geht. Außerdem sind die Tipps stets aus Brautsicht erzählt. Das erinnert mich sehr an das Ideal der Hausfrau, deren höchstes Ziel darin besteht, alles schön herzurichten und gut zu kochen.


Die echten und vermeintlichen Unterschiede

Die Sozialwissenschaftlerinnen Andrea Bührmann und Ulrike Thiele-Manjali schreiben in einem Aufsatz, dass vor allem bei Hochzeiten "vermeintlich natürlich gegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf 'ihren' Geschlechtscharakter, 'ihre' Verhaltensweisen und eine damit verbundene Arbeitsteilung bekräftigt" würden. Heißt: Bevor sich Mann und Frau auf Lebenszeit aneinander binden, zelebrieren sie erst einmal echte und vermeintliche Unterschiede. Sie hat nun mal ein Auge für Deko, er verhandelt so geschickt. Das mag im Einzelfall gute Gründe haben, doch wenn sich diese Zuweisungen über die Hochzeit hinaus fortsetzen, können sie irgendwann sehr konkret Lebensentwürfe beschneiden.


Kann mir das auch passieren? Eher nicht, denke ich. Der künftige Bräutigam und ich entwerfen die Einladungen gemeinsam, suchen zu zweit im Blumenladen Gestecke aus. Wir beschließen, uns nach der Hochzeit auch um einen Ehevertrag zu kümmern. Denn wer auch immer von uns beiden im Beruf später mehr zurücktritt, um kleine Hansens großzuziehen, soll für den Fall einer Scheidung finanziell besser abgesichert sein, als die Gesetzeslage das hergibt.


Zweifel bleiben

Trotzdem bleibt der Zweifel, ob das überhaupt geht: heiraten und dabei Feministin bleiben? Die englische Autorin Julie Bindel sagt: "Die Ehe kann niemals ein feministischer Akt sein." Da gäbe es nichts zurückzuerobern, und wir sollten gar nicht erst so tun, als sei es eine subversive Handlung, als Feministin zu heiraten.

Ich finde: Es muss möglich sein, bei der Hochzeit und danach seinen Idealen treu zu bleiben. "Mein" Feminismus hat nämlich wenig mit Verboten und viel mit Rückeroberung zu tun. Ich stelle Dinge infrage und mache sie dann gegebenenfalls trotzdem. Oder drehe sie bewusst um.


Aber ich merke, wie viele Erwartungen von Freundinnen und Bekannten beim Thema Hochzeit mitschwingen. Als Frischverlobte werde ich beispielsweise ständig nach DEM KLEID gefragt. Ich antworte mit größtmöglicher Lässigkeit: "Hauptsache, nicht teuer, wahrscheinlich etwas Gebrauchtes." Ich lasse mich von diesem Hochzeitszirkus bestimmt nicht verrückt machen, hängt die Stimme in meinem Kopf hinten an. Warum ein Kleid kaufen, das so viel kostet wie ein (sehr kleiner, sehr alter) Fiat Cinquecento? Ich suche mir lieber im Internet ein gebrauchtes.


Die stoffliche Entsprechung des schönsten Tages meines Lebens

Doch als ich im November auf diesem Holzschemel stehe und an weißer Spitze im Downton-Abbey-Stil hinunterblicke, haben sie mich eben doch bekommen. Nach mehreren Stunden in der Brautscheune ist mein Widerstand unter einer Tüll-Lawine begraben. Auch ich bin nun überzeugt, dieses Kleid sei "wie für mich gemacht!!!" Beim Ausziehen fragt die Verkäuferin: "Wie viel wollen Sie denn noch abnehmen?" Sie lächelt aufmunternd. "Äh, nichts." Es folgt eine irritierte Entschuldigung. Bei den meisten Bräuten sei es eben Standard, sich bis zur Hochzeit ein Abnehmziel zu setzen. Auf der Heimfahrt ärgere ich mich, dass ich ihr nicht gesagt habe, wie bescheuert ich dieses Ritual finde. Andererseits fühle ich mich in dem Moment selbst ein wenig bescheuert: Ich habe mein Brautkleid-Budget spontan verdreifacht.


Laut der Sozialanthropologin Hilde Schäffler gehört das zur "mythischen Überhöhung der Braut". Ich suche nicht einfach nur ein Kleid, ich suche die stoffliche Entsprechung des schönsten Tages meines Lebens. Dass mein Freund den Anzug trägt, den er sich letztes Jahr fürs Bewerbungsgespräch gekauft hat geschenkt. Die Hochzeit ist ein Fest der Braut. Schäffler zufolge geht dieses Tamtam auf das europäische Bürgertum im 18. und 19. Jahrhundert zurück. Ziel war es, den Abschied der verheirateten Frau aus dem öffentlichen Leben zu beschönigen. Ich werde mich nicht verabschieden. Das teure weiße Kleid steht bei mir für die teuerste Party meines Lebens. Preis gerechtfertigt, nicht?


Über die "sexuelle Leistungsfähigkeit des Mannes"

Frühjahr 2017. Auf dem Standesamt lassen wir vermerken, dass wir beide Hansen heißen wollen. "Darf ich fragen, warum?", fragt die Beamtin. Es sei noch immer ungewöhnlich, dass die Eheleute den Namen der Braut wählen. Wir haben uns aus pragmatischen Gründen dafür entschieden: Für eine Journalistin ist der Name nun einmal wichtiger als für einen Softwareentwickler, der gerade erst in den Beruf startet.


Das Vorbereitungsgespräch mit dem Pfarrer läuft anders als gedacht. Ich bin katholisch aufgewachsen, ich möchte in der Kirche heiraten, mir bedeutet der Segen viel. Trotzdem ist es seltsam, ihm zuzuhören. Das Ziel einer Ehe, sagt der Pfarrer, sei das Kinderkriegen. Außerdem sei sie auf Lebenszeit angelegt. Potenz ist für die katholische Kirche deshalb ein wichtiges Thema. Es wäre problematisch, wenn der Bräutigam keinen mehr hochkriegen und die Frau daraufhin abhauen sollte. Der Pfarrer drückt sich vorsichtiger aus, redet aber sehr ausufernd über die "sexuelle Leistungsfähigkeit des Mannes". Wieder bin ich unschlüssig: Ist das jetzt fortschrittlich, weil die Kirche anerkennt, dass eine Frau sexuell frustriert sein kann? Oder furchtbar, weil die Option, dass sie nicht kann oder möchte, gar nicht erst in Erwägung gezogen wird?


April 2017, wir treffen die Hochzeitsfotografin zum Probetermin. Vor einer alten Mauer bekommen wir Regieanweisungen: Ich soll mich an die Brust meines Freundes lehnen. Ich erkläre, dass ich nicht die Schutzbedürftige spielen möchte.


Mir wäre es lieber, wir würden als Brautpaar etwas steif, würdevoll und gleichberechtigt nebeneinanderstehen. So wie früher. Nach dem Shooting rufe ich meine 90-jährige Schwiegeroma an. Sie hat 1952 geheiratet. Schon die Frage nach dem Heiratsantrag irritiert sie. "Da wurde gemeinsam beschlossen, wir heiraten jetzt, und das war's." Und wie lief das mit dem Hochzeitsfoto? Hochzeitsfotografen, so was hatten wir nicht. Wir standen nebeneinander im Hof, und jemand aus der Familie hat das Foto gemacht." Keine große Show; der Ehe hat's nicht geschadet. Das ist mein Vorbild.


Mai 2017, nur noch wenige Wochen bis zur Hochzeit. Ich habe das Tüll-Trauma langsam verarbeitet, klicke keine Hochzeitsblogs mehr an und rede dafür öfter mit meiner Oma. Hochzeitsvorbereitungen, das weiß ich jetzt, haben etwas von Waschstraße. Das System sieht vor, den Gang rauszunehmen und auf das Standardprogramm zu warten. Bestimmt kommen viele Frauen auf diese Weise perfekt rausgeputzt und bester Laune zum schönsten Tag ihres Lebens. Mir ist es eine Nummer kleiner lieber: Es muss nicht der schönste Tag unseres Leben werden, er muss nur uns gehören.


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