Die Angriffe gegen die Gender-Studies kommen von ganz unterschiedlichen Seiten. Oft widersprechen sich die Vorwürfe sogar gegenseitig. Rechtspopulisten und Maskulinisten werfen dem Fach vor, eine feministische Agenda zu betreiben, also nicht wissenschaftlich objektiv zu sein, sondern eine Ideologie zu verfolgen. Andere beschuldigen die Gender-Theoretikerinnen, nicht feministisch genug zu sein, sondern sich in akademischen Spitzfindigkeiten zu verheddern und die wirklichen Anliegen von Frauen aus dem Blick zu verlieren. Beide Argumente stehen einander zwar diametral entgegen, können im konkreten Fall aber Hand in Hand gehen.
Manche Einwände gegen die Gender-Studies sind bloße Polemik, wie zum Beispiel der Vorwurf, es würden zu viele unverständliche Fremdworte benutzt. Die Verwendung von Fremdworten ist ja weitgehend Usus an den Universitäten. Warum wird bei den Gender-Studies kritisiert, was sonst als Ausweis von Differenziertheit und Belesenheit gilt? Es ist ganz normal, dass akademische Themen übersetzt und vermittelt werden müssen, wenn sie einem breiten Publikum nahegebracht werden sollen. Das kann man bedauern oder falsch finden, mit den Gender-Studies im Speziellen hat es nichts zu tun.
Für eine solche Vermittlung gibt es üblicherweise wissenschaftliche Fachjournalistinnen und -journalisten. Sie klären uns in Grafiken und verständlicher Sprache darüber auf, welche astronomischen Kräfte bei einer Sonnenfinsternis wirken, welche physikalischen Gesetze dazu geführt haben, dass irgendwo eine Brücke eingestürzt ist, oder sie erläutern uns die Besonderheiten der chinesischen Kultur, wenn die Bundeskanzlerin dort auf Staatsbesuch ist. Nur die Erkenntnisse der Gender-Studies, die erklärt uns niemand. Ein Experte, der neueste Studien zu Männlichkeitsbildern vorstellt, wenn sich irgendwo Vergewaltigungen häufen? Eine Sondersendung über das Zusammenwirken von Sexismus und Rassismus, wenn der niedrige Bildungsgrad bestimmter Bevölkerungsgruppen auffällt? Sucht man vergeblich.
Gender-Debatte
Derzeit wird erbittert gestritten über den Sinn der Gender-Studies, der akademischen Fachrichtung, die sich mit der Rolle des Geschlechts in der Gesellschaft befasst.
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Möglicherweise liegt das sogar ein Stück weit in der Natur der Sache: Gender-Studies betreffen uns viel direkter als andere akademische Fächer. Sie erforschen nämlich nicht Phänomene, die in unserem Alltag kaum eine Rolle spielen - das Weltall, Brückenstatik, China - sondern das, was wir alle ständig tun: Geschlecht darstellen, Geschlechterbilder konstruieren oder untergraben, "doing gender" eben. Die Gender-Studies erforschen uns. Vielleicht meinen wir deshalb, wir hätten dabei ein Wörtchen mitzureden und wüssten sowieso viel besser, was Sache ist, als irgendwelche "Expert*innen".
Zumal wenn die Ergebnisse ihrer Forschung unserem Ego wenig schmeicheln. Da kommt etwa heraus, dass vieles von dem, was wir unserem eigenen freien Willen zuschreiben, in Wirklichkeit das Nachplappern uralter Stereotype ist. Dass all das dumme Gender-Getue von uns selbst gemacht ist, dass wir also selbst die Verantwortung dafür tragen, anstatt es auf den lieben Gott oder die Evolution schieben zu können.
Am Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gegenüber den Gender-Studies wird deutlich, wie stark auch in unserer Kultur, die doch so stolz auf ihren Rationalismus ist, die Widerstände dagegen sind, sich von wissenschaftlicher Forschung von Vorurteilen abbringen zu lassen. Da mögen Myriaden von Studien mehr oder weniger zu dem Ergebnis kommen, dass es in der typischen Unternehmens- und Organisationskultur starke Verzerrungen in der Wahrnehmung von Frauen und Männern gibt und dass deshalb Männer strukturell bevorzugt werden und Frauen weniger Chancen haben: Die meisten Menschen sind trotzdem der felsenfesten Überzeugung, sie behandelten Frauen und Männer objektiv und unparteiisch gleich. Was sind schon wissenschaftliche Beweise gegen einen tiefen Glauben? Nichts. Daran hat sich seit den Zeiten Galileos leider nicht viel geändert.
Etwas anders gelagert ist der Vorwurf, die Gender-Studies seien nicht feministisch genug, sondern theoretisch abgehoben und verlören die Parteilichkeit für die Anliegen von Frauen aus den Augen. Dieser Vorwurf ist verständlich und oft auch zutreffend. Aber er richtet sich an die falsche Adresse: Wissenschaftlerinnen, die von Universitäten bezahlt werden, können ganz zu Recht keine vorab festgelegte politische Agenda verfolgen, auch keine "gute". Sie müssen und sollen unvoreingenommen und ergebnisoffen forschen. Ob ihnen das immer gelingt, ist eine andere Frage, aber man kann ihnen auf keinen Fall vorwerfen, dass sie es tun.