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Im Zweifel gilt die Hausordnung

Identitäre, die Veranstaltungen stürmen, Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Studierenden. Wir stark sollten Hochschulen bei politischen Aktionen und Übergriffen eingreifen?

Dieser Text ist in der Ausgabe 02/2019 der Deutschen Universitätszeitung erschienen.

Immer wieder berichten Medien in jüngster Zeit über Zwischenfälle mit extremistischen Studierenden. In Greifswald stürmen Mitglieder der Identitären Bewegung eine Veranstaltung. Ebenfalls in Greifswald wird eine Identitäre zur studentischen Senatorin gewählt. In Magdeburg kommt es bei einer Veranstaltung zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Studierenden. In Göttingen schießt ein Burschenschafter mit Soft-Air-Geschossen auf linke Studierende, ein Schuppen am Haus einer Burschenschaft wird angezündet. In Eisenach treffen sich Burschenschaftler zum “Wartburgfest” und singen “Deutschland, Deutschland über alles”. In Hamburg wird eine Mitglied des Ring Christlich-Demokratischer Studierender am Rande einer Sitzung des Studentenparlaments tätlich angegriffen.

Wird es politischer an den Hochschulen, wird es gewalttätiger? Und müssen die Hochschulen tatsächlich fürchten, dass Studierende mit extremen politischen Ansichten mehr Raum für sich einfordern? Zahlen gibt es nicht, die diesen Trend belegen könnten. Und auch wenn in den Medien verstärkt über die Aktionen rechter Studierender berichtet wurde, gilt immer noch, dass Studenten in Deutschland in der Regel politisch eher links sind, so auch das Ergebnis einer aktuellen Studie von Forschern der Ludwig-Maximilian-Universität München. Die Politologin Alexandra Kurth von der Universität Giessen, die ihre Forschung vor allem den Burschenschaften widmet, meint, dass man die Situation nicht überbewerten sollte, mahnt aber trotzdem zur Achtsamkeit: “Man sollte Entwicklungen an Universitäten immer ernst nehmen, weil Universitäten ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen sind.”

Was klar ist: Selbst wenn sie wollten, könnten die Hochschulen juristisch gegen die meisten Vorfälle nicht vorgehen. Die Landeshochschulgesetze sind nicht sehr restriktiv und solange sich ein Studierender an die Gesetze, sowie an die Hausordnung hält, kann er für seine politische Meinung, so extrem sie auch sei, nicht angegangen werden. Studieren oder promovieren darf jeder, ob Neonazi, wie im Fall des Greifswalder Promotionsstudenten Maik Bunzel, oder verurteilter Kindermörder, wie im Fall von Marcus Gäffgen, der 2003 den Bankierssohn Jacob entführte und tötete und der heute im Gefängnis Jura studiert.

Die Reaktionen der Hochschulen auf Vorkommnisse auf ihren Campi fallen dementsprechend unterschiedlich aus. Viele scheinen den Grundsatz zu folgen: Zurückhaltung üben. Aber auch diese Haltung kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. “Wenn die Hausordnung nicht gestört wird, handeln wir nicht,” sagt Jan Meßerschmidt, Sprecher der Universität Greifswald. Auch zu der jüngsten Aktion der Identitären bei der sie eine Vorlesung unterbrachen, um Parolen zu grölen und ein Banner auszurollen, hat sich die Universität nicht geäußert. “Es gab keine Beschwerde vom Veranstalter, deswegen gab es von unserer Seite keinen Anlass zu reagieren”, sagt Meßerschmidt. und fügt hinzu: “Wir könne uns nicht ständig verbal positionieren; wichtig ist jedoch, Positionen und Haltung durch Handeln zu verdeutlichen.“

Position beziehen oder doch lieber den Mund halten? Das ist die Frage, die sich wahrscheinlich viele Hochschulleitungen derzeit stellen. Bauscht man ein Geschehen auf, wenn man sich dazu äußert, oder kehrt man etwas unter den Tisch, wenn man es unterlässt? Die Wissenschaftlerin Kurth hat dazu eine eindeutige Meinung: “Es ist ein Unterschied ob man etwas nicht gut findet und das äußert oder sagt, ‘das ist uns egal’. Hochschulen haben durchaus die Möglichkeit, ein Selbstverständnis und eine Werteorientierung zu entwickeln.” Eine Erklärung dafür, warum viele Hochschulen sich eher ruhig verhalten, hat Professor Andreas Zick vom Bielefelder Interdisziplinären Zentrum für Konflikt- und Gewaltforschung: “Viele Hochschulen haben einfach keine Strategie, um mit Extremismus umzugehen. Wahrscheinlich befürchten sie, ein Extremismusproblem angehängt zu bekommen.”

Die Universität Bielefeld, an der Zick forscht und lehrt, wurde 2013 vor die Situation gestellt, handeln zu müssen. In dem Jahr wurde bekannt, dass mehrere Rechtsextreme in der rechtswissenschaftlichen Fakultät eingeschrieben waren. “Da gab es viel Unruhe und wir mussten reagieren”, sagt Ingo Lohuis, Pressesprecher der Universität. Unter der Federführung von Zick entwickelte die Universität die Kampagne “Uni ohne Vorurteile”, das Logo der Kampagne findet man heute überall auf dem Campus und unter anderem auf Buttons, die an Erstsemester verteilt werden. Der Rektor verfasste einen Appell, es wurde ein Arbeitskreis gebildet, der bis heute aktiv ist und Vorträge und Schulungen zum Umgang mit rechtsextremen Studierenden organisiert. “Uns hat dieses Ereignis dazu gebracht, uns als Hochschule zu positionieren”, sagt Sprecher Lohuis im Rückblick.

Besonders heftig ging es Anfang 2017 an der Universität Magdeburg zu. Fünf Studierende kündigten an, die Hochschulgruppe Campus Alternative gründen zu wollen. Als Auftaktveranstaltung meldeten sie eine Vorlesung des Biologen Professor Gerald Wolff an. Wolff wollte über Geschlechterunterschiede referieren und der AfD Politiker André Poggenburg sollte ein Grußwort halten. “Ich hätte die Veranstaltung nicht genehmigen müssen”, sagt der Rektor der Universität Magdeburg, Professor Jens Strackeljan. Er genehmigte sie trotzdem, sagte zeitgleich aber auch den Organisatoren einer Gegen-Veranstaltung den Vorraum des Hörsaals zu. “Es war klar, dass es zu Auseinandersetzungen kommen würde, die ich aber in Kauf genommen habe. Ich wollte die Veranstaltung der Campus Alternative nicht unkommentiert lassen.” Im Vorfeld der Veranstaltung zeichnete sich dann aber ab, dass die Auseinandersetzungen vermutlich heftiger werden würden, als gedacht. “Wir haben verschiedene Optionen durchgespielt. Für mich war aber klar, dass es keine Polizei und keinen Extra-Wachschutz geben würde. Die haben auf einem Campus nichts zu suchen.” Die Situation eskalierte, es gab Rangeleien und die Polizei musste doch eingreifen. Die Universität hat aus dem Vorfall ihre Konsequenzen gezogen. Der Senat hat eine Erklärung zur Freiheit der politischen Meinungsbildung abgegeben. Es gibt ein neues Regelwerk für die Anmeldung von Veranstaltungen, in dem genau beschrieben ist, was erlaubt ist und was nicht. Strenger wird es deswegen nicht: “Ich genehmige fast alles, auch wenn ich die Veranstaltung für Quatsch halte. Es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu urteilen. Meine Meinung tue ich trotzdem kund”, sagt Rektor Strackeljan. Genauso handhabt er es mit den Hochschulgruppen. “Ich finde es wichtig, verschiedene Interessensgruppen auf dem Campus zu haben, deswegen wird fast jede Gruppe angenommen.”

Für Strackeljan persönlich hatte die Veranstaltung böse Folgen. Er erhielt Drohungen und vor einigen Monaten manipulierten Unbekannten einen Vorderreifen seines Familienautos, was einen schweren Unfall zur Folge hatte. Seitdem steht seine Familie unter Staatsschutz. Ob die Straftat von Rechten oder von Linken begangen wurde, kann er nicht sagen, denn die Drohungen kamen von beiden Seiten.

Die Campus Alternative ist schließendlich nicht zu den Wahlen für den Studierendenrat angetreten. Für Strackeljan gibt es deswegen trotzdem keinen Grund zur Entwarnung. “Die AfD hat in Sachsen-Anhalt bei den letzten Wahlen 24 Prozent geholt. Die Universität ist zwar kein Spiegelbild der Gesellschaft, aber bei so einem Wahlergebnis müssen wir davon ausgehen, dass auch AfD-Wähler hier arbeiten.”

Die Hochschule will nun selber Vorlesungen und Diskussionsrunden zu politisch relevanten Themen organisieren, um keiner politischen Gruppe das Feld zu überlassen. Eine Haltung, die auch Expertin Kurth unterstützt: “In Hochschulen liefert der wissenschaftliche Diskurs den Rahmen für Auseinandersetzungen. Es gibt also keinen besseren Ort als die Universitäten, um über gesellschaftlich relevante Themen zu sprechen.”