Viel schreiben, viel einreichen, viel überarbeiten und neu einreichen – und das auch dann, wenn man als Autor selbst weder am Anfang noch am Ende der Autorenzeile genannt wird. Unter dem heutigen Publikationsdruck haben insbesondere Nachwuchswissenschaftler zu leiden.
Dieser Text ist Teil der Titelstrecke der Ausgabe 06/2017 der Deutschen Universitätszeitung. In dem Schwerpunkt "Auf der Suche nach der verlorenen Qualität" geht es um die Frage, ob und wie die Qualität von wissenschaftlichen Publikationen tatsächlich noch durch das Peer-Review-Verfahren gesichert werden kann.
Prof. Dr. Karin Modig veröffentlicht rund vier bis fünf Artikel pro Jahr. Das ist eher wenig für ihr Fachgebiet. Die meisten ihrer Fachkollegen bringen es auf neun oder zehn Publikationen im gleichen Zeitraum. Modig ist Epidemiologin am Karolinska Institut in Stockholm und hat ihre eigene Strategie. Sie setzt auf Klasse statt Masse: „Ich veröffentliche fast nur Artikel, in denen ich entweder Erst oder Letzt-Autorin bin.“ Die erstgenannte Autorin hat den größten Teil der wissenschaftlichen Arbeit geleistet, als letztes genannt wird die Autorin, die die größte Expertise hat. Modig glaubt, dass sie mit diesem Vorgehen am besten aufgestellt ist, wenn es darum geht, Drittmittel einzuwerben: „Als Autorin irgendwo in der Mitte der Autoren Zeile zu stehen, das lässt sich nicht so gut verkaufen.“
Klasse statt Masse
Auch Dr. Elisabeth Härtig hat ihre eigene Strategie entwickelt. Härtig ist Mikrobiologin und leitet eine kleine Arbeitsgruppe an der Tech nischen Universität Braunschweig. „Wenn ich einen Drittmittelantrag zu einem bestimmten Thema stelle, dann muss ich zusehen, dass ich genau zu diesem Thema vorab etwas veröffentliche." Denn Geldgeber schauten auch danach, ob der Antragsteller in dem Gebiet bereits geforscht hat. „Das ist am Anfang einer Wissen schaftlerKarriere nicht trivial. Wenn man schon eine Arbeitsgruppe hat, kann man eher einen Doktoranden ransetzen, der ein paar Versuche macht. Diese Manpower haben junge Arbeitsgruppen wie meine anfangs nicht.“ Ihre Artikel versucht Härtig meist zuerst bei einem hochrangigen Journal einzureichen. „Da hofft man, dass man gutes Feedback erhält und dass man dann, indem man die Anregungen der Gutachter umsetzt, den Artikel irgendwann durchkriegt.“ Das dauert, und diese Zeit hat sie nicht immer: „Wenn ich weiß, dass ich bald einen Antrag stellen will, und genau diese Publikation brauche, dann reiche ich den Arti kel auch mal direkt bei einer Fachzeitschrift mit einem geringeren Impact Factor ein. Einfach, damit man die Publikation auf der Liste hat.“ Modig und Härtig sind zwar keine Nachwuchswissenschaftlerinnen mehr, stehen aber trotzdem noch ziemlich am Anfang ihrer Forscherkarriere. Die beiden kennen es nicht anders, als ständig unter Publikationsdruck zu stehen. Und wie ihre Karriere wei terverläuft, das hängt ganz maßgeblich da von ab, wie viele Drittmittel sie einwerben, da sind sich beide einig. „Das ist einfach“, erklärt Härtig, „mit Drittmitteln kann man Leute einstellen. Wenn man mehr Leute hat, kann man mehr publizieren.“ Und damit be ginnt im optimalen Fall die Aufwärtsspirale in der Karriere.
Risiko eingehen
Am Anfang seiner Forscherlaufbahn steht auch Medienwissenschaftler Dr. Sven Stollfuß. Allerdings ist der Juniorprofessor kein Natur, sondern ein Geisteswissenschaftler, und das macht bisher noch einen Unterschied, der aber langsam schwindet. Denn zunehmend häufiger ist auch in den Geisteswissenschaften die Anzahl der Publikationen in englischsprachigen Fachjournalen mit Peer Review das Maß, mit dem entschieden wird, ob es Drittmittel gibt oder nicht. „Die deutschsprachigen Sammelbände werden immer mehr verdrängt“, sagt Stollfuß. Er bedauert das. Modig, Härtig und Stollfuß sitzen noch nicht so fest im Sattel, als dass sie sich dem mächtigen Leistungsbewertungssystem ent ziehen könnten. Anders ist das bei Dr. Volkhard Krech. Der Religionswissenschaftler hält eine Professur an der Universität Bochum. „Ich muss mir keine Gedanken mehr über meine Zukunft machen“, sagt der 54Jährige lapidar. Und das macht ihn experimentierfreudig. Sein aktuelles Forschungs projekt ist die Entwicklung einer Theorie zur Evolution der Religion. Wie Religion entstan den ist und sich weiterentwickelt hat, wird immer wieder in Einzelstudien von Wissenschaftlern verschiedener Fachgebiete thematisiert. Krechs Ziel: Er will all diese Disziplinen an einen Tisch, beziehungsweise auf eine Online-Plattform bringen. Dafür geht er in Vorleistung und stellt seine eigenen Thesen schon einmal online, in der Hoffnung, dass andere Wissenschaftler sich dazu äußern. Die Ergebnisse der Diskussionen sollen dann in einem Buch veröffentlicht werden. Ob dieses Vorhaben gelingt, weiß er nicht. Und er weiß auch nicht, ob er einen Verlag finden wird, der die Ergebnisse, die bereits online verfügbar sind, druckt. „Aber dieses Risiko muss man bei der Forschung in Kauf nehmen, wenn man Raum für Neuerungen schaffen möchte.“
Neues ausprobieren
Volkhard Krech sieht das Experiment nur als Ergänzung, nicht als Alternative zum Peer Review: "Wir müssen neue Formen der wissenschaftlichen Kommunikation ausprobieren, vor allem wenn wir interdisziplinär arbeiten. Das fachspezifische Peer Review kann dadurch nicht ersetzt werden."
Auch Karin Modig, Elisabeth Härtig und Sven Stollfuß finden nicht, dass das Bewer tungsverfahren ersetzbar sei. Handlungsbe darf besteht ihrer Meinung nach trotzdem. Die meisten Reviews ihrer Artikel seien fair, sagt Härtig, und doch passiere es immer mal wieder, dass sie auch stümperhafte Gutachten erhalte: „Da merkt man, dass der Gutachter nicht verstanden hat, worum es geht.“ Sie führt das darauf zurück, dass es den Fach zeitschriften nicht mehr gelingt, ausreichend qualifizierte Gutachter zu finden. „Ich sehe das daran, für welche Gutachten ich selbst angefragt werde. Ich muss häufiger absagen, weil der Artikel sich mit Dingen beschäf tigt, die von meiner Forschung zu weit weg sind“, sagt Härtig. Gleichzeitig müsse sie als Gutachterin auch immer wieder Papiere le sen, die wirklich schlampig verfasst seien: „Da sind dann noch nicht einmal die Abbildungen ordentlich durchnummeriert.“ Krech kann das bestätigen: „Ich bekomme manchmal Texte vorgelegt, die selbst als Seminararbeit schlecht beurteilt werden müssten.“
Fach-Review erhalten
Mehr Transparenz könnte Abhilfe schaffen – wer seinen Namen nennen muss, überlegt sich vermutlich eher, ob er ein schludriges Manuskript abgibt oder ein unqualifiziertes Gut achten. Härtig fände das gut: „Sachliche Kritik sollte man eigentlich mit offenem Visier üben können.“ Während Modig sich ebenfalls für einen transparenten Peer-Review-Prozess ausspricht, sieht Krech das kritischer: „Es wür de sicherlich dazu führen, dass nicht so viel genörgelt wird. Aber der, der sein Manuskript verrissen bekommt, könnte die nächstbeste Gelegenheit nutzen, um dem anderen einen Artikel zu zerpflücken.“
In einem Punkt sind sich alle vier Wissenschaftler einig: Nur mit einer besseren Grundfinanzierung der Forschung könne der Teufelskreis aus Publikationsdruck und Drittmittelakquise durchbrochen werden. Karin Modig resümiert: „Ein bisschen Konkurrenz um Forschungsgelder ist gut. Aber wenn das Schreiben von Anträgen und das Einreichen von Artikeln mehr Zeit in Anspruch nimmt, als die eigentliche Forschung, dann läuft etwas schief."