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Juso-Chef Kühnert kritisiert Haltung der CDU "Seltenes Maß an Irrsinn"

Kevin Kühnert, SPD-Parteivize und Juso-Chef.−Foto: dpa

Kevin Kühnert, SPD-Parteivize und Juso-Chef, kritisiert die Haltung der CDU in Thüringen scharf und fordert vom Koalitionspartner, sein Verhältnis zur AfD zu klären.


Trauer und Entsetzen nach dem rassistischen Attentat von Hanau – wird die Gefahr von rechtsextremer Gewalt immer noch unterschätzt?


Kühnert: Von einigen offenbar schon. Wir haben es nicht erst seit gestern ganz klar mit Rechtsterrorismus in Deutschland zu tun. Zum dritten Mal in weniger als neun Monaten wurden hier Menschen durch Rechtsterroristen ermordet. Rechtsextreme bewaffnen sich, erstellen Todeslisten und letztendlich sind sie zum Töten bereit. Ich finde es unerträglich, dass sich Menschen mit Migrationsgeschichte und nicht-weißer Hautfarbe in Deutschland nicht uneingeschränkt sicher fühlen können. Sie zu schützen und solidarisch zu sein ist unser aller Aufgabe. Innenminister Horst Seehofer und die Sicherheitsbehörden sind jetzt in der Pflicht. Der Rechtsstaat muss alle Mittel ausschöpfen, um den rechtsextremen Sumpf trocken zu legen.


Die politische Hängepartie in Thüringen geht weiter. Wie lässt sich die Krise dort beenden?


Kühnert: In Thüringen muss es so schnell wie möglich Neuwahlen geben. Das ist nicht nur der Wunsch der Parteien in Berlin, wie von manchen behauptet wird. Es ist auch der Wunsch der großen Mehrheit der Menschen in Thüringen. Mit den handelnden Personen, die das Chaos herbeigeführt haben – insbesondere bei CDU und FDP – ist eine vertrauensvolle und sachgemäße Arbeit auf Dauer nicht denkbar. Die CDU trifft ihre Entscheidungen offensichtlich nur noch danach, wie sie ihre Mandate verteidigen kann. Und weil sie in den Umfragen gerade abschmiert, will sie den Weg für Neuwahlen nicht freimachen. Dass die CDU aus diesem Grund noch nicht einmal bereit war, eine CDU-Frau zur Ministerpräsidentin zu wählen, ist ein Maß an Irrsinn, das man selten erlebt.


Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Hilfe der AfD hat auch in Berlin für ein politisches Erdbeben gesorgt. Wie wirkt sich das auf die Zusammenarbeit von Union und SPD in der Großen Koalition aus?


Kühnert: Im Verhältnis zwischen Union und SPD gibt es im Moment viele Fragezeichen. Seit Monaten hören wir von unserem Koalitionspartner Union die Beteuerung, es gebe eine klare Abgrenzung nach Rechtsaußen. Es ist aber klargeworden, dass die CDU-Spitze nicht nur in Thüringen, sondern auch in anderen Bundesländern nicht mehr in der Lage ist, für die Breite der Partei zu sprechen. Es gibt mancherorts einen offenen Aufstand gegen die Positionierung des Bundesvorstandes gegen Rechtsaußen. Dabei sind Leute wie Björn Höcke der parlamentarische Arm des Rechtsterrorismus. Bei Pegida ruft er dazu auf, die Zivilgesellschaft "trockenzulegen" – in Hanau werden seine Wünsche exekutiert. Für die SPD ist es ein Grundprinzip, dass mit dem rechten Rand nicht gearbeitet wird. Und es ist ein Prinzip der liberalen Demokratie und wichtig für viele Wählerinnen und Wähler. Bei der CDU besteht offenbar ein größerer Klärungsbedarf. Als SPD brauchen wir keine Verlautbarungen der CDU-Parteispitze, sondern die Sicherheit, dass die Vertreter der CDU und CSU vor Ort zu dem Konsens stehen, mit Rechtsradikalen nicht zusammenzuarbeiten.


Die CDU sucht einen neuen Vorsitzenden. Was raten Sie dem Koalitionspartner?


Kühnert: Sie müssen selbst wissen, was sie tun. Wenn Grundsätzliches in einer Partei zu diskutieren ist – wie jetzt der Umgang mit der AfD – kann man das aber nicht mit Personalentscheidungen kaschieren. Dann sind Debatten erforderlich. Die SPD hat Jahre gebraucht, um ihre Hartz-IV-Diskussion zu einem Abschluss zu bringen. Das ist uns mit dem Parteitag im letzten Dezember gelungen, indem wir uns von dem Hartz-IV-Dogma verabschiedet und ein besseres und sozialeres Sozialstaatskonzept entworfen haben. Der CDU stehen jetzt ähnlich grundlegende Diskussionen bevor. Sie können nur selbst beantworten, ob sie dies mit ihrer Vorsitzfrage verbinden. Jede Partei muss ihr eigenes Tempo bestimmen, das weiß die SPD nur zu gut. Auch im Rückblick bleibt es richtig, dass wir keine übereilten Entscheidungen zum Vorsitz getroffen haben. Es war auch richtig, die Mitgliedschaft einzubeziehen. Denn es gab zwischen Mitgliedschaft und Funktionärsebene einen Vertrauensverlust. Das war für Außenstehende gelegentlich etwas quälend, aber wir haben die Regierungsarbeit nicht schleifen lassen und sind jetzt sortiert.


Die Vorsitzsuche der SPD war quälend lang…


Kühnert: Der Prozess hätte ein bisschen kompakter sein können, hinterher ist man immer schlauer. Die öffentliche Bewertung unserer Vorsitzsuche wäre aber nicht freundlicher ausgefallen, wenn wir uns fünf Regionalkonferenzen gespart hätten. Wenn Parteien etwas zu klären haben, haben sie etwas zu klären. Das ist für Außenstehende immer irritierend. Die Öffentlichkeit muss aber auch ein Interesse daran haben, zu wissen, woran sie ist und mit wem sie es zu tun hat. Wir haben am Ende für Klarheit gesorgt. Wir haben jetzt Vorsitzende, die den Rückhalt der Mitglieder genießen. Das verschafft eine andere Autorität, als das bei einer im Hinterzimmer zusammen geschusterten Parteispitze der Fall ist. An der Abstimmung haben 53 Prozent der SPD-Mitglieder teilgenommen, das heißt bei uns in absoluten Zahlen mehr als 200 000 Menschen. So viel Rückhalt hat noch nie eine Parteispitze in einer deutschen Partei gehabt.


Wie bewerten Sie die ersten Monate des neuen SPD-Führungsduos?


Kühnert: Die SPD arbeitet nun mit einem anderen Stil. Das ist erfreulich. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind mit der Ansage angetreten: Die SPD mag zwar in einer Großen Koalition sein, aber sie ist selbstverständlich trotzdem eine eigenständige Partei. Wir haben Vorstellungen über die Wahlperiode und die Kompromisse der Großen Koalition hinaus. Die SPD erlaubt sich, diese stärker zu betonen. Manche müssen sich daran noch gewöhnen. Zudem ist jetzt die Breite der Partei, von Vertretern der Regierung wie Hubertus Heil bis hin zu mir als Juso-Vorsitzenden vertreten. Wir sind eine Partei mit einem bunten Meinungsspektrum, bis in die Spitze hinein. Aber wir kommen zu Kompromissen und treten nach außen als eine SPD auf. Und so dürfen das die Wähler auch von uns erwarten.


Vom Ausstieg aus der Großen Koalition ist keine Rede mehr. Was hat sich verändert, dass die SPD in der Regierung bleiben will?


Kühnert: Ich habe nicht gefordert, dass wir rausgehen. Die Jusos und ich haben eine Kampagne gemacht, dass wir gar nicht in die Groko reingehen. Dann haben wir die Abstimmung bei den SPD-Mitgliedern verloren. Die Jusos und ich halten uns an das Abstimmungsergebnis. So ist die Lage. Das ändert nichts an unserer Haltung zur Großen Koalition. Wir halten sie nicht für förderlich für die politische Debatte. Wir konzentrieren unsere Kraft deshalb aber darauf, nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierung der Klarheit bilden zu können. Es muss eine Richtungsentscheidung für die Zukunft der großen Fragen getroffen werden – Europa, das Rentensystem, die Gesundheitsversorgung. Diese Themen werden seit Jahren nicht abschließend entschieden, weil es zu große Meinungsunterschiede zwischen Union und SPD gibt.


Hält die schwarz-rote Regierung bis Ende 2021?


Kühnert: Der Parteitag im Dezember hat beschlossen: Wir gehen nicht aus der Groko, aber in die Regierung muss mehr Schwung. Er hat uns Themen mit auf den Weg gegeben: Höherer Mindestlohn von zwölf Euro, ein riesiges Investitionspaket für die Infrastruktur und die Kommunen, der bessere Ausbau von erneuerbaren Energien. Darüber wird im Moment verhandelt. Anfang Januar gab es die erste Gesprächsrunde. Die Union hat viele Projekte blockiert, wie den höheren Mindestlohn. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe zu den höheren Investitionen. Wir harren der Ergebnisse weiterer Gespräche. Danach muss der SPD-Vorstand entscheiden, wie er sie bewertet – ob es neuer Schwung für die Große Koalition ist oder ob wir doch andere Schritte gehen müssen. Wir erlauben uns, diese Gespräche zu Ende zu führen. Im Interesse der Mehrheit im Land, die wir dabei im Blick haben.

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