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Flucht aus der Ukraine: Sechs Monate warten

Franklin Udoye ist vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Weil er in Nigeria geboren wurde, darf er vorerst nur bis November in Deutschland bleiben. Und dann?

In seiner ersten Woche in Hamburg schläft Franklin Udoye in einem Holzbett, unter einer tiefblauen Bettdecke. Dreht er sich nach links, kann er in einen Garten sehen. Meist liegt er hier ganz still, bewegt sich über Stunden nicht. Dann klopft seine Gastgeberin, eine 68-jährige Yogalehrerin, an seine Tür und sagt, etwas Bewegung täte ihm gut. Er fängt an mit Spaziergängen durch Eimsbüttel, erst nachts, später auch am Tag. In der zweiten Woche geht er ein paar Schritte weiter, ins Fitnessstudio. Er macht Krafttraining, weniger für die Muskeln, sondern vor allem für den Kopf. Damit er nicht verrückt wird, sagt er.


Udoye hat drei Jahre in Kiew studiert und ist Anfang März vor dem russischen Angriffskrieg geflohen. Weil er aus Nigeriastammt und keinen ukrainischen Pass hat, nennen ihn die Behörden einen Drittstaatler. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten in Deutschland vorübergehenden Schutz nach Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes. Damit können sie arbeiten, studieren, zur Schule gehen und müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Menschen wie Franklin Udoye aber wird der befristete Aufenthaltstitel nur dann gewährt, wenn eine sichere Rückkehr in ihr Herkunftsland ausgeschlossen ist. In Nigeria ist kein Krieg. In der Ukraine aber schon – und dort hat Udoye sich ein ganzes Leben aufgebaut. "Bomben interessiert es nicht, welchen Pass man hat", sagt er.

Am 10. Mai, acht Wochen nach seiner Flucht, sitzt Udoye vor einem Café im Schanzenviertel und erzählt: wie er mit 18 Jahren allein mit all seinem Ersparten nach Kiew aufbrach, weil Nigeria für ihn tägliche Unsicherheit und Gewalt bedeutete. Wie er sein Studium zum Bauingenieur begann und nebenher erst als Taxifahrer und dann in der Baubranche arbeitete. Kurz vor dem Krieg, da ist er 21, beginnt sein letztes Semester. In wenigen Monaten könnte er sich Bauingenieur nennen, ein Jobangebot hat er schon. Doch dann flieht er mit dem Auto über die polnische Grenze. Unterwegs ruft sein Vater ständig an. Er solle sofort nach Nigeria zurück, vielleicht breite sich der Krieg in Europa aus. Udoye aber fährt weiter, weg vom Krieg, bis nach Deutschland. Wenn er jetzt in seine Heimat zurückgeht, denkt er, bekommt er nie wieder die Chance auf ein Visum für die Ukraine und darauf, sein Studium zu beenden. Für ihn bedeutet Nigeria, dass alles passieren kann. Dass er abends angehalten werden kann, erpresst wird, sein Geld verliert. Die Ukraine war für ihn das Gegenteil: ein Ort, an dem man etwas aufbauen kann. ...

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