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Der Mücke und die Hummel.

Michael Mücke

Porträt: Accor-Deutschland-Chef Michael Mücke.

Irgendwie war Michael Mücke schon immer da - bei Accor. Und so sorgte es auch kaum für Schlagzeilen, als er 2013 Deutschland-Chef wurde und 2014 sogar COO Hotel Services Central Europe. Die neue AccorHotels-Digitalstrategie dürfte dies allerdings ändern.

Eigentlich ist Michael Mücke Lebensmittel-Ingenieur. Und Jurist. Ach: und Ossi. Aber das war in seinem ersten Leben. Damals, in Berlin Pankow. "Ich bin mit dem Sonderzug gekommen ..." Sein zweites, sein jetziges Leben spielt in München sowie der ganzen Welt und begann vor genau 25 Jahren. Ganz genau: am 6. August 1990. Das war der Tag, an dem der gerade 33-Jährige seinen Job als Hotelentwickler bei den AccorHotels antrat und zu lernen begann, "wie der Westen funktioniert". Das Angebot dazu hatte ihm der damalige AccorHotels-Chef höchstpersönlich gemacht. Denn Volker Rathe war einer von jenen Investoren, die nach der Wende im Fünf-Minuten-Takt bei Interhotel angerufen hatten, um die begehrte Kette zu übernehmen. Als einziger mit passablen Englisch-Kenntnissen war der in der dortigen Rechtsabteilung tätige Mücke dann vorgeschickt worden, um mit den Franzosen zu verhandeln.

Ein Ossi in München

Danach ging's Schlag auf Schlag: Nachdem der Interhotel-Deal geplatzt war - Schuld war übrigens die Treuhand -, lud Rathe den pfiffigen Juristen zum Gespräch nach München und unterbreitete ihm sein Angebot. Dieser wiederum war nach der Landung seines PanAm-Flugs in München-Riem so überwältigt, dass er zunächst erst gar nicht fassen konnte, wie ihm geschah. "Als ich in der Grenznacht nach West-Berlin spazierte, war meine erste Reaktion: Das sieht nicht so viel anders aus. In München dacht' ich dann, ich fall' vom Rad." Nach einem kurzen Telefonat mit seiner Frau, der anschließenden Zusage und weiteren fünf Jahren "wusste ich dann, wie der Westen funktioniert: Die verkaufen sich einfach hervorragend - oft besser als das, was sie dann liefern".

Bei Michael Mücke ist das genau andersherum: Nichts liegt diesem immer freundlichen Herrn mit der randlosen Brille ferner, als sich in den Vordergrund zu drängen. Stattdessen hält er sich im Hintergrund, hört zu, analysiert - und liefert dann. "Am Anfang hat es mir das Leben leicht gemacht, dass die Leute mich unterschätzt haben", erklärt Mücke und grinst übers ganze Gesicht. "Denn wenn die Leute keine Erwartungen an dich haben, kannst du immer positiv überraschen."

Die Hummel kann gar nicht fliegen

Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er sich - außer für die Uni - niemals hat bewerben müssen. Im Gegenteil: Er war fünf Jahre bei AccorHotels, als Volker Rathe ihm anbot, "in die Operations" zu wechseln; als Hotelentwickler jedenfalls lande er irgendwann in einer Sackgasse. Mücke fand die Idee gut. Anfänglich jedenfalls. Denn dann schickte ihn sein Chef an die Académie AccorHotels nach Paris. Für acht Monate. Ohne dass Mücke auch nur ein Wort Französisch konnte. "Sie lernen das!", habe Rathe ihm nur gesagt - und recht behalten. Nach seiner Rückkehr erhielt Mücke seine erste Managementposition, als Regionaldirektor für ein Dutzend deutscher Etap Hotels. "Danach kamen dann jedes Jahr neue, erweiterte Aufgaben dazu", ab 2013 eben auch der Vorsitz der Geschäftsführung der AccorHotels Deutschland sowie die Verantwortung für Österreich und Skandinavien. An dieser Stelle will Michael Mücke die Geschichte von der Hummel erzählen. Jenem knuffigen Insekt, das im Grunde genommen gar nicht fliegen kann. Jeden Physiker und jeden Aeronautiker könne man da fragen: Sie ist viel zu dick und zu rund und zu schwer, und überdies hat sie nur zwei unterentwickelte Flügel. Kurzum: Die Hummel kann nicht fliegen. Gott sei Dank aber, und deshalb liebt Michael Mücke diese Geschichte, weiß die Hummel davon nichts: "Es kümmert sie einen Sch..., was andere sagen - und daher fliegt sie einfach." Genau wie Michael Mücke, der einfach immer nur den anstehenden Job macht. Innerhalb von 25 Jahren schon den 17. Dass er es damit mal an die Spitze bringen würde ... "Selbst nach der Versetzung von Peter Verhoeven hätte ich nie gedacht, dass ich jemals diesen Job machen würde."

Sterne auf der Schulter? Argumente sind wichtiger!

Als es dann doch soweit war, ab Januar 2013, handhabte Mücke "diesen Job" genauso unaufgeregt und pragmatisch wie alles andere sonst eben auch: Nicht nach Kriterien innerhalb der Hierarchie trifft er seine Entscheidungen. Sondern mit Fokussierung auf das Ziel als solches. "In meinen Board Meetings hat keine Stimme mehr Gewicht als eine andere", erläutert der AccorHotels-Chef anno 2015. "Ich habe zwar die meisten Sterne auf der Schulter, aber Argumente sind mir wichtiger." Das sei, na klar, anfänglich nicht eben leicht gewesen: "Dafür muss man Vorbild sein und sich die richtigen Leute suchen." Doch nach dem einen oder anderen Weggang verstünden er und sein Team sich heute "blind in puncto Managementkultur".

"Glocal": Think global, act local!

Den Grundstein für diese Kultur habe übrigens schon sein Vorgänger gelegt, besagter Peter Verhoeven. Doch erst mit Sébastian Bazin als neuem CEO bei AccorHotels habe sich die Managementkultur der Franzosen insgesamt geändert: "Bazin gibt Verantwortung in die Länder ab", erklärt Mücke, "sodass es keinen reinen Zentralismus mehr gibt." Klar, Konzern sei nun mal Konzern. Bazin aber habe erkannt, wie wichtig es ist, Leute mit einem Draht zu den lokalen Märkten vor Ort zu haben. Und Deutschland, das nach Frankreich wichtigste Land für den Konzern, habe immerhin 77 Prozent deutsche Gäste. "Glocal" sei das entsprechende Wort dafür: Think global, act local! Eine Strategie mit Erfolg, wie Mücke betont: "Die Zahlen zeigen, dass dies der richtige Weg ist."

17 Jobs in 25 Accor-Jahren

Seine Karriere bei Accor startete Michael Mücke (*26.5.1957) 1990.

bis 1995: verantwortlich für die Ent­wicklung neuer Hotels in Deutschland

bis 1999: als Regionaldirektor

2000 bis 2004: Generaldirektor für die Economy-Marken ibis, Etap, Formule 1 und Suitehotel

ab 2004: auch für die Marken Dorint-Novotel und Novotel

ab Mai 2006: Generaldirektor für die Marken Suitehotel, all seasons, ibis, Etap und Formule 1

Mai 2010: Ernennung zum Senior Vice President Operations ibis, ibis Styles, ibis budget

ab 2012: Geschäftsführer der Accor Hospitality Germany GmbH, ehemals Accor Hotellerie Deutschland GmbH

ab Januar 2013: Vorsitzender der Geschäftsführung

ab Januar 2014: zusätzlich Chief Operating Officer HotelServices Central Europe Hotel Operations der AccorHotels in Skandinavien, Deutschland und Österreich

Die Hotellerie ist überhaupt kein Innovationstreiber.

Und in genau diesem Moment, in dem es um den Erfolg der Sache geht, ums Liefern, zeigt der hummel-zugeneigte Mücke, dass ihm auch die Aggressivität des Moskitos nicht fremd ist: "Ich bin schnell, ungeduldig und direkt", behauptet er von sich selbst. Auf der Farbskala der Persönlichkeitstypen sei sein Wert entsprechend tiefrot. "Im Grunde treffe ich eine Entscheidung lieber schnell, als sie ewig hinauszuschieben." Und wo wir schon mal beim Thema sind, kann er sich ein Sticheln in Richtung Hotellerie nicht verkneifen: "Die Hotellerie ist überhaupt kein Innovationstreiber", sagt er mit Missvergnügen. "Alles, was wir heute sehen, kommt aus der Technologiebranche - bis hin zum Vertrieb. Alles andere entspricht eher der Steinzeit." Aus diesem Grund sei es allerhöchste Zeit, die Branche mal zu schütteln. Gerade jetzt! "Das Businessmodell Hotellerie wandelt sich komplett, und wer die technologischen Möglichkeiten nicht integriert, sondern ablehnt, der wird bald zum Grüßaugust verkommen. Doch die, die scheitern werden, sollen sich dann bitte nicht beklagen: Sie haben es verschlafen!" Kurzum: Nach Jahren des gemächlichen Foxtrotts werde die Hotellerie in Deutschland schon sehr bald Rock 'n' Roll tanzen. Und wieder legt sich dieses einnehmende Lächeln über das braungebrannte Gesicht. Und wie will Mücke die Branche aufrütteln beziehungsweise fit machen? Mit der Öffnung des AccorHotels-eigenen Buchungsportals auch für unabhängige Hotels? "Das Portal ist ein internationales Thema", erklärt der Vorsitzende des Vorstands. Aber in Deutschland habe es wegen der starken Bindung der Hotellerie an OTAs eine besonders hohe Relevanz. "Denn beim Thema Distribution steht die Branche wie das Kaninchen vor der Schlange. Daher ist unsere Strategie eine Initiative, die der Marktführer tun muss, soll und kann. Immerhin bedeutet Marktführer mehr als nur der größte Anbieter zu sein, was wir mit 340 Häusern in Deutschland zweifellos sind. Marktführer ist der, der den Markt führt."

AccorHotels als OTA? Nö!

Bislang ist Mücke jedenfalls sehr zufrieden mit dem Ergebnis seines Aufrüttelns. "Manche fragen mich sogar, ob wir denn jetzt ein neues OTA sind", grient er. Die Antwort darauf laute aber ganz klar: "Nö!" Doch unabhängig davon, ob die Reaktionen nun positiv ausfallen, negativ oder abwartend: Die Aufmerksamkeit sei groß. Selbst HRS Chef Tobias Ragge hat sich geäußert und sogar gratuliert: Als Unternehmer habe er immer "Respekt vor mutigen Entscheidungen". Zumal er den neuen Marktplatz nicht als Konkurrenz zu seinem Buchungsportal wertet. Für Mücke hingegen hat die neue Digitalstrategie seines Konzerns weniger mit Mut zu tun als vielmehr mit unternehmerischer Konsequenz angesichts der sich rasant wandelnden Märkte und Technologien. Denn wenn es AccorHotels tatsächlich gelänge, die Zahl der über AccorHotels.com buchbaren Hotels von heute 3.600 weltweit auf 10.000 in 300 Städten zu steigern, stärke dies sowohl den Direktvertrieb als auch die Relevanz von AccorHotels.com. Und natürlich werde AccorHotels kein neues OTA, denn die Öffnung ziele ausschließlich auf ausgewählte unabhängige Stadthotels im Mid- und Up­scale-Bereich. "Da haben wir ganz klare Kriterien: Klasse vor Masse, Erfüllung bestimmter Qualitätskennziffern und keine Kannibalisierung der eigenen Produkte. Schließlich sind wir nicht die Mutter Theresa des Marktes." Eine Tatsache, die so mancher unterschätzt haben dürfte

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