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Wie viel Recycling in der Plastikflasche steckt

Was passiert mit dem gelben Sack, sobald er das Haus verlässt?

Der gelbe Sack geht über. Schon wieder. Doch was passiert mit dem gesammelten Plastik - und wie viel wird tatsächlich recycelt?


Eine Freundin ist frustriert. Sie will auf Plastik verzichten. Doch es gelingt ihr nicht. Plastik ist überall, das Gemüse ist darin eingewickelt, die Zahnbürste besteht daraus. Und selbst in dem Glas Eistee, denn der Kellner gerade serviert, schwimmt ein Plastikstrohhalm.


Probleme beim Plastikverzicht klingen wie ein Luxusproblem für Ökologiebesessene. Wir Österreicher recyceln fleißig: Nur die Deutschen stopfen im EU-Vergleich noch mehr in den gelben Sack. Doch dann kommen Zweifel, als man beim Ratatouille-Kochen die Zucchini, die Tomaten und die Melanzani zuerst aus dem Plastik befreien muss. Es kommen Zweifel als man feststellt, dass der gelbe Sack schon wieder übergeht. Es kommen Zweifel, ob denn wirklich all der Kunststoff recycelt wird - und ob wir dadurch das Problem des Plastikmülls lösen.


Die Autorin dieser Zeilen lebt in der Stadt Salzburg in einem Haus mit drei Wohnungen. Sechs Personen wohnen hier insgesamt. Alle vier Wochen wird der Plastikmüll abgeholt, doch meist ist schon vor Ablauf der Zeit kein Platz mehr in dem Sack. "Das liegt vielleicht daran, dass Sie den Plastikmüll falsch sortieren", sagt Bernhard Leitner. Er ist in der Stadt Salzburg für den Kunststoff zuständig. "In den gelben Sack gehören in der Stadt nur PET-Flaschen und Tetrapack wie Saft- und Milchpackerl." Der Kunststoff, der das Gemüse umhüllt, wirft man indes in den Restmüll. Aber: Jede Gemeinde definiert ihr eigenen Regeln.


Die Suche nach dem wertvollen Stoff

Wenn das Müllauto den gelben Sack eingesammelt hat, bringt es den Plastikmüll nach Siggerwiesen. Dort suchen die Mitarbeiter von Josef Weilhartner nach dem wertvollen Stoff: den PET-Flaschen. Denn diesen Müll könne Siggerwiesen an Firmen verkaufen, die die Behälter wieder zu neuen Verpackungen verarbeiten. "Wir sortieren die Flaschen nach Farben und pressen sie getrennt zu Ballen", sagt Weilhartner. Die Würfel landen auf den Lastwagen, die die Verwertungsgesellschaften organisieren. Zu 75 Prozent ist das in Salzburg die ARA, die Altstoff Recycling Austria. 4000 Tonnen PET-Flaschen verließen Siggerwiesen vergangenes Jahr.


Dem gegenüber steht eine weitere gewaltige Menge. 60.000 Tonnen Plastik filtern Luft und Sieb aus dem Restmüll. Die dünnen Folien seien leichter als andere Materialien, weshalb der Windzug sie aufsteigen lässt, sagt Siggerwiesen-Chef Weilhartner. Diese Zehntausend Tonnen werden thermisch verwertet. Das heißt: Sie werden verbrannt. "Kunststoff besteht zu einem großen Teil aus Erdöl, deshalb kann es als Energielieferant verwendet werden", sagt Weilharter. 90 Prozent dieses Plastikmülls schmeiße die oberösterreichische Lenzing AG in ihre Öfen. Der Rest geht an die Zementindustrie, wie etwa die Leube in St. Leonhard.



"Das ist kein Müll, sondern Ersatzbrennstoff"

Das Wort Plastikmüll will Günter Waldl nicht hören. Er ist im Zementwerk Leube für die Technik zuständig. Zum Kunststoff sagt er "qualitätsgesicherter Ersatzbrennstoff". Seit 20 Jahren verbrennt das Werk diesen Stoff, begonnen haben sie mit Altreifen. Voriges Jahr fingen 50.000 Tonnen Plastik Feuer. "Dadurch sparen wir 70 bis 80 Prozent des primären Brennstoffes, sprich Erdöl oder Kohle." Und der Brennstoff reise nicht mehr so weit. Erdöl und Kohle hätten einen Anfahrtsweg von 300 Kilometern, das Plastik stamme aus einem Umkreis von 100 Kilometern.


Die Energie braucht Leube, um Klinker herzustellen. Das ist das Ausgangsmaterial für den Zement. Aber was passiert mit den Rückständen der Verbrennung? "Die Aschebestandteile haben eine ähnliche Zusammensetzung wie der Klinker. Sie werden einfach eingeschmolzen", sagt Waldl. Und die Luft? "Wir haben Filter für den Ofen."


Gibt es wirklich keine Alternative zum Verbrennen?

Aus 4000 Tonnen Plastik entsteht etwas Neues, 60.000 Tonnen werden verbrannt. Wieso kann nicht mehr Kunststoff wieder als Zahnpastatube ins Regal eingeräumt werden? Gibt es wirklich keine Alternative zum Verbrennen?


An der Universität für Bodenkultur Wien ist Gudrun Obersteiner die Expertin für das Durchsichtige. Sie erklärt, dass Plastik nicht gleich Plastik ist. Grob unterscheidet sie zwischen Polyethylen (das sind die Reinigungsflaschen im Haushalt), Polypropylen (Joghurtbecher), Polystyrol (darauf liegt das abgepackte Steak), Polyvinylchlorid (daraus ist der Boden) und PET (Getränkeflaschen). Das klingt wahnsinnig kompliziert. Ist es auch. "In den Kunststoffen befinden sich dann noch Zusatzstoffe wie Weichmacher und Stabilisatoren", sagt Obersteiner. Das hat eines zur Folge: Theoretisch müsste alles extra recycelt werden. Die verschiedenen Sorten sind aber nur sehr schwer voneinander zu unterscheiden. "Am besten funktioniert das Recycling bei Hohlkörpern", sagt Obersteiner.

Deshalb sind die PET-Flaschen so begehrt, sagt Simone de Raaij von der ARA. Die Aufgabe ihrer Firma und deren Mitbewerbern ist es, das Sammeln, Sortieren, Verteilen und Verwerten zu organisieren. 30 Prozent allen Plastiks, das in Österreich in den Supermarktregalen steht, werde recycelt. Wohin die Flaschen aus dem gelben Sack aus Salzburg kommen, könne sie jedoch nicht genau sagen. Ihre Firma habe 36 Partner. "Ein Großteil geht aber nach Müllendorf im Burgenland." Dort ist der Sitz der Firma Pet2Pet.


Die Reise in das Burgenland

Wer die Homepage von Pet2Pet aufruft, den springt in weißen Lettern auf grünem Hintergrund das Wort Rekord an. 23.300 Tonnen beziehungsweise 930 Millionen PET-Flaschen verarbeitete das Unternehmen 2017 zu Flakes und Granulat. Nicht alle Flaschen standen jedoch in Österreich im Regal: "Wir beziehen selbstverständlich auch Getränkeflaschen aus europäischen Nachbarländern", sagt Florian Hajek, Pressesprecher.


Die Flakes und das Granulat verkauft die Firma weiter, damit daraus wieder PET-Behältnisse entstehen. 1,6 Millionen Plastikflaschen kommen jährlich in Österreich auf dem Markt. Die Verpackung bestünde jedoch nur zu 30 bis 40 Prozent aus altem Kunststoff. Eine Flasche aus 100 Prozent recyceltem Material herzustellen sei zwar möglich, sagt Hajek. Aber: "Wenn der Kunststoff immer wieder eingeschmolzen und zu neuen Flaschen verarbeitet wird, werden die werkstofflichen Eigenschaften irgendwann nachlassen - und damit die Qualität der Flasche. Das ist keinesfalls Ziel eines gesunden Wertstoffkreislaufs."


Das klingt so, als wäre alles gut. Ist das so?

Der Plastikmüll der Autorin fährt also zuerst nach Siggerwiesen, ein Großteil wird dann rückstandslos verbrannt. Ein kleiner Teil wird zu neuen Flaschen. Das klingt so, als wäre alles gut. Ist das so? "Tatsache ist, dass wir in Österreich eines der besten Abfallwirtschaftssysteme der Welt haben", sagt Nunu Kaller. Sie ist Konsumentensprecherin bei der Umweltorganisation Greenpeace. "Das heißt aber nicht, dass der Plastikmüll unproblematisch ist: Die Müllmengen nehmen extrem zu." Die Ressourcen der Erde seien endlich. Und ein Sackerl werde nur wenige Minuten gebraucht - und dann verbrannt.


Ja, die Müllberge werden größer, sagt auch Weilharter in Siggerwiesen. Der Chef der Müllsortierung hat aber wenig Hoffnung, dass sich das ändert. "Die Einpersonenhaushalte nehmen zu, sie verbrauchen pro Kopf mehr Plastik als ein Vierpersonenhaushalt." Zudem übernehme die Verpackung immer mehr Funktionen: Die Kunststofffolien schützen etwa durch eine UV-Schicht das Gemüse vor Licht, die Melanzani bleibt dadurch länger frisch. Das Plastik können die Firmen zudem mit ihrem Logo und Informationen versehen.


Wir können uns aus der Verantwortung nicht herausrecyceln, sagt Kaller von Greenpeace. Auf Plastik zu verzichten, wie die Freundin der Autorin, sei ein guter Weg. Aber: "Warum wird dem Konsumenten überhaupt ein schlechtes Produkt angeboten, also die in Plastik eingewickelte Melanzani?" Der Verzicht müsse deshalb schon früher ansetzen: beim Produzenten. Die Lebensmittelkonzerne argumentierten, dass die Menschen den Kunststoff wollen. Sonst würden sie ihn nicht kaufen. "Dem Konsumenten wird so die Verantwortung für den Planeten umgehängt. Das ist zu viel."


Die Freundin verzichtet mittlerweile seit einem halben Jahr auf Plastik. Es sei einfacher geworden, erzählt sie. Sie wisse mittlerweile, wo sie Tomaten in Kartons kaufen kann. Sie würde sich dennoch wünschen, dass Supermärkte mehr darauf achten würden, sagt sie. "Jeder Kunde freut sich, wenn er seine Lebensmittel im Papiersackerl bekommt - und nicht eingewickelt in Plastik."

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