Vice x Disney+: Oxy, Heroin, Fentanyl – Die Original Serie "Dopesick" auf Disney+ zeigt die skandalöse Geschichte hinter der Krise, die seit über 20 Jahren die amerikanische Gesellschaft im Griff hat: die Sucht nach Schmerzmitteln.
Betsy will weg. Weg von ihrer konservativen Familie, weg von der kräftezehrenden Schufterei in den Bergwerken von Virginia. Doch das Geld ist knapp und die Schmerzen von der harten körperlichen Arbeit machen ihr jeden Tag mehr zu schaffen. Als Betsy von ihrem Hausarzt das neue Schmerzmittel OxyContin verschrieben bekommt, schöpft die Minenarbeiterin zum ersten Mal wieder Hoffnung, ihr Leben zum Besseren verändern zu können. Doch das angeblich harmlose "Wundermittel" OxyContin hält die Versprechen seines Herstellers Purdue Pharma nicht – mit gravierenden Folgen für Betsy, die Bergbau-Gemeinde von Virginia und bald die gesamten USA.
"Dopesick", eine Miniserie von Executive Producern Danny Strong und Michael Keaton, der auch in der Hauptrolle zu sehen ist, erzählt die Anfänge der bis heute unerbittlich wütenden Opioid-Krise in den USA, die laut US- Gesundheitsministerium seit 1999 fast eine halbe Million Menschen das Leben gekostet hat. Mit dem gleichnamigen New-York-Times-Bestseller von Journalistin Beth Macy als Vorlage nimmt die Disney+ Miniserie Zuschauer:innen mit in das Epizentrum der US-amerikanischen Schmerzmittelsucht-Epidemie und zeigt mit teils fiktionalen, teils realen, aber immer glaubhaften Charakteren, wie die Tragödie in den 1990er-Jahren ihre fatalen Anfänge nehmen konnte.
In drei sich überschneidenden Handlungssträngen bringt "Dopesick" uns das harte Leben von Minenarbeiter:innen wie Betsy näher, die die harte körperliche Arbeit nur mit Schmerzmittel ertragen, und gutmeinenden Ärzt:innen wie Dr. Samuel Finnix, gespielt von Keaton ("Birdman", "Batman"), die Patient:innen immer höhere Dosen des angeblich harmlosen OxyContin verschreiben. Das starbesetzte True-Crime-Drama nimmt uns auch mit hinter die Kulissen des skrupellosen OxyContin-Herstellers Purdue Pharma, der das Schmerzmittel als "Wundermittel" mit angeblicher schwindend geringer Suchtwahrscheinlichkeit an Ärzt:innen vermarktet, und begleitet die Arbeit von Anwält:innen und Beamt:innen der Drogenvollzugsbehörde DEA, die wegen steigender Verbrechens-, Todes- und Suchtraten in Virginia Verdacht schöpfen und schließlich beginnen, gegen Purdue Pharma zu ermitteln.
So realistisch ist "Dopesick"
Die Ermittlungen gegen Purdue Pharma und die Familie Sackler, die hinter dem Pharmaunternehmen steht, haben im echten Leben übrigens erst letztes Jahr ein (vorläufiges) Ende gefunden – so aktuell ist das Thema. Auch sonst ist "Dopesick" trotz der fiktionalen Aufmachung schmerzhaft realistisch. Denn auch in echt hat die Opioidkrise ihre Anfänge in den Kohleabbaugebieten im Zentrum der US-amerikanischen Appalachen, genauer im sozioökonomisch schwachen Lee County im Westen Virginias – im US-amerikanischen Hinterland sozusagen. Auch abseits der Leinwände führte die Profitgier von Pharmafirmen, allen voran Purdue, die höchst süchtig machende Schmerzmittel an den Markt brachten und die Risiken dramatisch herunterspielten, zu der Opioid-Krise, die bis heute jährlich Tausende Tote fordert.
Die Tragik der Schicksale ist ebenfalls echt: Meist beginnt eine Opioidsucht mit einem Schmerzmittel-Rezept, nach Operationen oder Verletzungen. Aufzuhören ist dann aber fast unmöglich, denn Opioide wie OxyContin verändern nach einer Zeit die Chemie des Gehirns. Die meisten Erkrankten greifen bald zu immer stärkeren Opiaten und rutschen schnell immer weiter in die Sucht ab. Trotz alldem mussten bisher vor allem genau diese als Sündenböcke für die Folgen der Krise herhalten – vor der Gesellschaft und auch vor dem Staat.
"Im Grunde legale Drogendealer"
In den Interviews, die wir mit einigen der "Dopesick"-Mitwirkenden führen, wird vor allem eines klar: Auch sie waren geschockt und ergriffen von der Geschichte hinter der US-amerikanischen Opioidkrise und den fehlenden Konsequenzen für die Verantwortlichen. Der britische Schauspieler Will Poulter ("Midsommar", "Black Mirror"), der den Purdue-Vertreter Billy spielt, erzählt uns im Interview etwa von dem Stigma um Sucht, das bisher nicht mit der nötigen Menschlichkeit adressiert worden sei, und der Unrechtmäßigkeit, die noch immer kein Ende gefunden habe. "Für mich ist Dopesick eine Geschichte, die die bisherige Narrative um die Opioid-Krise infrage stellt und sie korrigieren will." Dass sein Charakter Billy dabei auf der dunklen Seite der Geschichte steht, sei nicht immer einfach gewesen: "Am Ende vieler Szenen fühlt man sich nicht mehr wohl in seiner Haut. Um voranzukommen, handelt Billy ziemlich böswillig. Das hat mich schon mitgenommen."
Allgemein seien sich am Set alle der Tragweite der Serie bewusst gewesen, erzählt Betsy-Darstellerin Kaitlyn Dever ("Booksmart", "Unbelievable") im Interview. Obwohl Dever in dem Drama "Unbelievable" bereits eine ähnliche, auf wahren Begebenheiten basierende Rolle spielte, sagt sie im Interview, "Dopesick" sei das Schwerste gewesen, das sie jemals habe tun müssen. "Bei Projekten wie diesen neige ich dazu, meine Gefühle komplett zu vergessen. Ich habe mich voll und ganz auf diese Figur eingelassen. Das hat mir viel abverlangt. Aber so schwierig es für mich auch war: Selbst das, was ich an meinen schwersten Tagen durchmache, ist nichts im Vergleich zu dem, was Opfer von Opioidmissbrauch durchmachen müssen." Für diese Geschichte habe sich all die Mühe gelohnt, sagt Dever. "Ich habe das Gefühl, dass diese Serie großen Einfluss haben kann und Menschen helfen kann, zu lernen und zu verstehen."
Dem Emmy-ausgezeichneten "Dopesick"-Produzenten und Drehbuchautoren Danny Strong ("Empire", "The Butler") ist die Empörung über die Geschichte hinter der Serie das gesamte Interview über anzumerken. "Je mehr ich recherchierte, desto schockierter, entsetzter und fassungsloser war ich über die Lügen, die Blendungen und die Manipulation von Purdue Pharma. Ich konnte nicht glauben, womit dieses Unternehmen, das von einer einzigen Familie geführt wurde, durchkam und wie sie damit Milliarden verdienten", erzählt Strong. Purdue Pharma seien korrupt, kriminell und "im Grunde legale Drogendealer mit Label von der FDA" gewesen. Er hofft, dass die Serie neben Aufmerksamkeit für das Thema vor allem auch eines zu schaffen vermag: eine hoffnungsvolle Botschaft vermitteln und einen Weg nach vorne, um diese Krise endlich zu überwinden.
Über 20 Jahre Opioid-Krise in den USA
Eine hoffnungsvolle Botschaft ist bitter nötig, denn ein Ende der Epidemie ist noch lange nicht in Sicht, im Gegenteil: Laut US-Gesundheitsministerium hat sich die Zahl der Todesfälle durch Überdosen seit 1999 sogar vervierfacht. Seit 2013 befinden wir uns laut US-Gesundheitsministerium in der dritten Welle der Opioid-Krise. Nach Schmerzmitteln wie OxyContin und später Heroin sind es heute vor allem Überdosierungen mit synthetischen Opioiden wie Fentanyl, die in den USA zu vielen Todesfällen führen. In die lange Liste der Opfer der Opioid-Krise reihen sich mittlerweile auch Rapper wie Mac Miller, Lil Peep oder Juice WRLD ein, die alle innerhalb der vergangenen vier Jahre an versehentlichen Überdosen mit Fentanyl gestorben sind. Spätestens das sollte die Aktualität und Brisanz des Themas von "Dopesick" deutlich machen.
"Dopesick" gibt den Hunderttausenden Toten der Opioid-Krise ein Gesicht und eine Geschichte. Aus der Sachbuch-Vorlage von Beth Macy ist eine von der ersten Minute an fesselnde Serie entstanden, die Zuschauer:innen ohne belehrend zu wirken aufklärt über die Anfänge der US-amerikanischen Opioid-Epidemie, die unglaubliche Rolle des familiengeführten Pharmaunternehmens Purdue und die Held:innen, die sich trotz des Machtgefälles getraut haben, sich zu wehren. "Dopesick" ist eine spannende, emotional aufreibende, vor allem aber enorm wichtige Serie, die endlich die verantwortlichen Pharmaunternehmen zur Rechenschaft und diejenigen aus der Schusslinie ziehen will, die den Großteil der Folgen bisher unrechtmäßig getragen haben: die Opfer von Opioidmissbrauch und ihre Familien.
Neben Michael Keaton, Kaitlyn Dever und Will Poulter gehören Stars wie Rosario Dawson, Peter Sarsgaard, Michael Stuhlbarg und John Hoogenakker zum Cast von "Dopesick". Die achtteilige Serie startet am 12. November auf Disney+. Bis dahin kannst du dir schon einmal den Trailer anschauen.