Wir organisiert man eigentlich einen Staatsbesuch? Der Ex-Protokollchef der Bundesregierung weiß es.
Die Obama-Visite in Hannover an diesem Sonntag rückt näher. Und es wird immer deutlicher: Der Spagat zwischen der Sicherheit des US-Präsidenten und dem Wunsch vieler Menschen nach einem Blick auf den berühmten Staatsgast ist äußerst schwierig. Welche Tücken die Planung solcher Besuche hat und wie die Mitarbeiter des Protokolls allzu eigenwillige Regierungschefs wieder einfangen können, kann Alexander von Fircks im Gespräch mit NDR.de aus eigener Erfahrung berichten: Er war mehr als zehn Jahre im Bundesinnenministerium unter anderem verantwortlich für Staatsgäste, deren Empfang und Betreuung.
Herr von Fircks, Sie haben viel Erfahrung mit Besuchen ausländischer Regierungschefs. Warum wird der Obama-Besuch in Hannover aus Ihrer Sicht so ausführlich diskutiert?Alexander von Fircks: Im Protokoll gibt es einen wichtigen Grundsatz: Vergleichbarkeit. Egal ob ein Staatsoberhaupt aus den USA oder aus Luxemburg - prinzipiell werden Staatsgäste gleich behandelt. Denn international reden auch Politiker miteinander und vergleichen: "Ich war dort im Fünf-Sterne-Hotel, aber es gab nur ein Drei-Gänge-Menü." Um zu vermeiden, dass es da Unfrieden gibt, behandelt man alle gleich. Zudem gibt es Wünsche der Gäste, was Gesprächspartner angeht: Wirtschaft, Politik, Kultur, Bürger? Auch darauf wird individuell eingegangen. Und schließlich wird auch sehr unterschiedliches Besuchsprogramm gewünscht: Museum, Szenelokal, Shopping in einem Einkaufszentrum oder doch eher ein Mahnmal?
Vom Grundsatz der Gleichheit weicht man hier aber deutlich radikaler ab. Über die Vorbereitungen für den Besuch des US-Präsidenten wird seit Wochen intensiv berichtet, die Einschränkungen für die Hannoveraner erscheinen manchen überzogen. Ist das alles noch vermittelbar?Von Fircks: Wenn der amerikanische Präsident kommt, ist die Gefährdungslage besonders hoch, deshalb wird er auch deutlich intensiver geschützt. Wenn in einer Stadt erst kürzlich eine Straftat mit möglichem Terror-Hintergrund verübt wurde, und ein Fußballspiel wegen Terror-Gefahr abgesagt wurde, dann ist eben Alarmstufe Rot angesagt.
Der Umgang mit berühmten Besuchern ist Ihnen vertraut - Sie haben für die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover das Besuchsprogramm hochrangiger Gäste geplant, und als Protokollchef bei der Bundesregierung viele Staatsbesuche organisiert, den G8-Gipfel in Heiligendamm intensiv erlebt. Was ist die wichtigste Aufgabe des Protokolls?Von Fircks: Der Protokollbeauftragte ist vor und während eines Staatsbesuchs immer auch mit zwei Zielgruppen im Gespräch: Sicherheit und Presse. Denn natürlich darf bei der Sicherheit nichts dem Zufall überlassen werden, die Lage kann sich ja von einer Minute zur nächsten ändern. Und auch mit den Medien wird eng kommuniziert, schließlich will man ja anschauliche Bilder und Texte haben, die später verbreitet werden. Dafür müssen der Presse etwa auch Kontakte zum Gast ermöglicht werden, und nicht alles abgeblockt werden. Das kann ein ziemlicher Spagat sein.
Wenn Sie als Protokoller einen solchen Besuch planen, muss es doch zu den schönsten Aufgaben gehören, den Bürgern einen Blick auf den berühmten Gast zu ermöglichen. Das bringt nicht zuletzt schöne, positive Bilder. Warum wird das beim Obama-Besuch so konsequent vermieden?Von Fircks: Gullydeckel wurden immer schon versiegelt, auch als George W. Bush 2007 (der damalige US-Präsident, Anm.d.Red.) nach Heiligendamm zu Besuch kam. Das ist also nicht weiter verwunderlich. Aber die internationale Sicherheitslage hat sich leider sehr verschärft. Deshalb legen die Sicherheitsplaner andere Maßstäbe an. Dass etwa Anwohner nicht aus dem Fenster schauen oder ihre Besucher anmelden sollen, um Attentate zu vermeiden, ist auch für mich völlig neu. Beim G8-Gipfel wurden zwar auch angrenzende Wohnhäuser überprüft. Aber diese Verschärfung der Sicherheitsbedingungen in Hannover ist schon eine vollkommen neue Dimension und für die Bürger sicher auch sehr bedauerlich. Ich habe Verständnis für beide Positionen.
Wie meinen Sie das?Von Fircks: Weil ein weiterer Grundsatz des Protokolls ist: Die Sicherheit und das Wohlbefinden des Gastes stehen über allem. Wenn ich privat einen Gast empfange, lasse ich auch keinen Hund auf ihn los. Wenn etwas passiert, ist das einfach äußerst peinlich. Dann wird man sagen: Wie konnten die deutschen Behörden das zulassen? Wir können die Sicherheit Obamas schließlich nicht nur den US-Sicherheitsbeamten überlassen - die Verantwortung teilen sich beide: das Gastgeberland und das Land des Gastes.
Sicherheit ist wichtig. Aber gibt es bei einem solchen Besuch auch Augenblicke, bei denen die Politiker sich einmal komplett jenseits der Kameras entspannt geben können?Von Fircks: Das wird vom Protokoll tatsächlich in jedes Programm - je nach örtlicher Gegebenheit - eingebaut, man nennt das "Waldspaziergang". Bei einer solchen Gelegenheit können sich etwa Merkel und Obama ganz entspannt über Familie und private Dinge unterhalten. In Hannover wird das wohl ein Gartenspaziergang werden, im wunderschönen Herrenhäuser Großen Garten.
Nach ihrem Spaziergang eröffnen Obama und Merkel am Sonntagabend dann feierlich die Hannover Messe, 3.000 Gäste werden im Kuppelsaal dabei sein. Was ist für Sie als Planer anstrengender: Die Gästeliste für ein solches Event schreiben oder die Sitzordnung festlegen?Von Fircks: Beides ist protokollarischer Sprengstoff pur. Denn man kann es nie jedem recht machen. Wer nicht eingeladen ist, will wissen: Warum bin ich nicht wichtig genug? Und bei der Sitzordnung regelt eigentlich die protokollarische Rangordnung, wer wie weit vorn sitzt. Aber meist ist niemand mit seiner Platzierung zufrieden, und es gibt oft endlose Diskussionen. Das ist eine ziemlich nervige Aufgabe. Immerhin: Als Protokoller ist man ja nur ausführendes Organ, der letztlich entscheiden andere. Dafür haben sich schon vor ein paar Wochen die Verantwortlichen von Bundesregierung, amerikanischer Regierung und Hannover Messe getroffen und alles geregelt.
Als Protokollchef hatten Sie Umgang mit weltberühmten Menschen, sind aber selbst nicht in Erscheinung getreten. Hat Sie das eigentlich nie gestört?Von Fircks: Dann hätte ich meinen Job nicht gut gemacht. Einen guten Protokoller sieht man niemals auf einem Foto, weil er immer die Funktion hat, in der dritten Reihe zu stehen. Ohne uns sind die Auftraggeber dafür oftmals fast hilflos. Mich haben schon Bundespräsidenten gefragt: Welche Tür muss ich jetzt nehmen? Die sind dann so beschäftigt damit, ihre Rede vor Hunderten Staatsgästen gedanklich vorzubereiten, da muss jemand anderes ihnen den Weg weisen. Genau dafür ist das Protokoll dann da. Es ist eine Welt im Schatten, aber diejenigen im Scheinwerferlicht brauchen sie ganz dringend.
Von Papst Franziskus wird erzählt, dass er seinen Bewachern, der Schweizer Garde, regelmäßig ein Schnippchen schlägt und spontan zu einem Optiker an der Spanischen Treppe in Rom gefahren werden will, wo auch Tausende Touristen flanieren. Dann sind alle Planungen hinfällig und es muss schnell ein halbwegs sicherer Weg gefunden werden, ihn dorthin und wieder zurück zu bringen. Sind Ihnen solche Episoden ebenfalls bekannt?Von Fircks: Durchaus. Solche spontanen Ideen und Ausflüge sorgen bei Protokoll und Sicherheit für feuchte Hemdkragen. Das ist schwierig, aber man muss dann eben schnell Lösungen finden. Wir hatten einmal einen Staatsbesuch mit festgelegtem, sicheren Weg durch eine Innenstadt. Plötzlich scherte ein Regierungschef aus, ging durch die Absperrung und umarmte einen Bekannten, der am Wegesrand stand. Wir konnten den Politiker mühsam einfangen und ihn wieder auf den rechten Weg lotsen. Da klingelten sämtliche Alarmglocken, aber es ging gut.
Erzieherische Maßnahmen helfen dann bei solch selbstbewussten Promis sicher wenig?Von Fircks: Wir haben durchaus unsere Spezialsprache und bestimmte Höflichkeitsfloskeln. Wenn wir sagen: "Könnten Sie bitte wieder auf den Weg zurückkehren? Wir haben Bedenken, ob das hier wirklich sicher ist", dann sind die sofort wieder in der Spur. Denn meist sind Leute wie Obama oder andere Prominente selbst hoch interessiert an ihrer Sicherheit.
Das Gespräch führte NDR.de-Mitarbeiter Alexander Nortrup.