Mehrfach checkt der Taxifahrer auf der einstündigen Fahrt seine Routen-App, um auch ja die richtige Ausfahrt zu finden. Nach einer letzten Rechtskurve geht es aber schnurgerade auf einen siebenstöckigen Glaszylinder zu. Vor dem Bürokomplex empfängt einen ein standesgemäß Twitter-tauglicher Schriftzug in grünen Lettern: #INNOPOLIS.
Perfekte Arbeitsbedingungen für die klügsten Köpfe des Landes: das war die Idee hinter dem Stadtkonzept des Star-Architekten Liu Thai Ker, der auch Singapurs markante Silhouette entworfen hat. 2.000 Menschen leben hier derzeit, 155.000 sollen es bis 2035 werden. Es ist keine ganz neue Idee in Russland. Schon in der Sowjetunion entstanden solche Wissenschaftsstädte, etwa das sibirische Akademgorod.
Von außen wirkt das Gebäude wie ein überdimensionierter Kühlergrill, drinnen dominieren freihängende Glaskuben das mehrstöckige Atrium. "Das erinnert mich immer an die IT-Uni Kopenhagen", sagt Karapetjan grinsend und schiebt etwas peinlich berührt hinterher: "Sagen wir mal, die Architekten haben sich inspirieren lassen."
554 Studierende gibt es aktuell an der Hochschule. Mehr als 9.000 haben sich vergangenes Jahr für das anspruchsvolle Auswahlverfahren beworben. Innopolis ist die erste reine IT-Uni Russlands, erklärt Karapetjan: "Innerhalb dieses Themenfeldes bieten wir vier Masterstudiengänge an: Big Data, künstliche Intelligenz und Robotik, Softwaretechnik, sowie Cyber Security."
Gagarin ist lange nicht so komplex, steckt dafür aber in einem menschenähnlichen Roboter. "Jetzt die Emotionserkennung", freut sich Reutskij und positioniert sein Gesicht gegenüber Gagarins Kopf. Als er lächelt, dauert es ein paar Sekunden, dann spannt Gagarin sein Gesicht an und lächelt zurück. "Du siehst glücklich aus", ertönt es aus dem Laptop. Glück, Ärger, Wut: Gagarin könne sieben Grundemotionen unterscheiden, erklärt Reutskij stolz. Wenn er einmal fertig ist, soll Gagarin so als Mensch gewordener Sprachassistent im Alltag eingesetzt werden. Etwa als Hotel-Concierge oder Kundenbetreuer in Einkaufszentren.
Auch danach kümmert sich die Stadtverwaltung um die Anliegen der Community, sagt Girfanowa. Und zwar Online, über die Messenger-App Telegram. "Wir haben Gruppen für alle möglichen Themenbereiche: Wohnungen, Kinderbetreuung, Sport, Medizin. Unser Krankenhaus hat zum Beispiel eine eigene Gruppe, in der man Termine ausmachen oder einfach Fragen stellen kann."
Der Standortvorteil ist immens. Die ersten Jahre zahlt das kleine Startup keine Steuern. Hinzu kommt der Know How-Austausch mit der Uni. "Einer der Professoren berät uns und einige seiner Studenten absolvieren auch Praktika hier. Unsere Mitarbeiter geben wiederum Seminare an der Universität. Die Verbindung ist also sehr eng," sagt Sakhanow.
Doch das Uni-Startup ist eher die Ausnahme. Die meisten ansässigen Unternehmen sind russische Großkonzerne, die ihre Entwicklungs- und Forschungsabteilungen in das kleine Steuerparadies verlegt haben. Internationale Konzerne sucht man trotz des hohen Anspruchs vergebens. Deshalb greife das Konzept global auch zu kurz, kritisieren Experten wie Dimitrij Kononenko von der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer in Moskau. Die von oben verordnete Innovationsstadt würde das Potential kleiner kreativer Startups gar nicht abrufen. "In zehn Jahren schauen wir mal, was daraus wird", sagt er nüchtern.
An vielen Ecken zeigen Löcher in Fundamenten auch, dass einiges an staatlichen Mitteln eher in die Taschen von regionalen Beamten, als in die Bausubstanz geflossen ist. Und als Medwedew 2015 zur pünktlichen Eröffnungszeremonie kam, gab es nicht mal Kühlschränke in den Wohnheimen, erzählt ein Dozent. Daraufhin habe man schnell einen in einem nahen Shopping-Zentrum gekauft und mit Obst und Softdrinks aus der Kantine gefüllt. Der Premier nahm es offenbar mit Humor. "Kein Bier? Sind sie sicher, dass hier Studenten wohnen", soll er süffisant gefragt haben.
Die Pioniere in Innopolis schreckt das nicht ab. Sie sehen in der Stadt auch einen Lebensentwurf. Und der stehe ganz im Gegensatz zum stressigen Großstadtalltag in Wirtschaftszenten wie der 12-Millionen-Metropole Moskau. Karapetjan hat selbst dort gelebt und freut sich noch heute über seinen Umzug nach Innopolis: "Man braucht täglich zwei Stunden, vielleicht eineinhalb, um zur Arbeit zu kommen. Und genauso viel zurück. Hier braucht man fünf Minuten. Also hat man verdammt viel Zeit, um sich persönlich weiter zu entwickeln. Oder einfach mal ein Buch zu lesen."